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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salv",

ihre Waffen und ihre Bekleidung betrifft, nach den Entdeckungen Schliemanns
in Mykenae und Ilion konstruirt zu haben. Man sieht an ihnen nichts mehr
von der frisirten Eleganz, mit welcher David seine Griechen und Römer auf¬
geputzt hat. Mit ihren hohen, steifen, mähnenartigen Federbüschen auf den
Helmen erinnern diese Krieger sogar an die nordamerikanischen Indianer, an
die Sioux, und dadurch erhält die ganze, so pathetisch und überzeugungsvoll
vorgetragene Szene einen fast grotesken Anstrich, der auch von jedermann, nur
von der Negierung nicht, die kein Gefühl mehr für das Lächerliche zu haben
scheint, herausgefunden worden ist. Die Franzosen können eine tüchtige Portion
von gemalten Greuelthaten und Schlächtereien vertragen. Ihre Empfindung
ist nach dieser Richtung hin durch die Gewöhnung, durch die blutige Geschichte
ihrer letzten vierzig Jahre außerordentlich abgestumpft worden. "Warum soll
man nicht auch Ereignisse malen, die wir mit eignen Augen angesehen haben?"
fragen sie ganz naiv in der Erinnerung an die Greuel der Kommune. Aber
diese "Andromache" ging den meisten doch über die Grenzen des Erlaubten,
über das durch die Tradition geheiligte Maß. Weit entfernt jedoch, über diese
Rohheit in Entrüstung auszubrechen, überließen sie es den Witzblättern, dies
blutige Jahrmarktsbild des Herrn Rvchcgrvsse zu verhöhnen, und den ernst¬
haften Kritikern, dem jungen Maler die Freude an seiner Auszeichnung gründ¬
lich zu verbittern.

Glücklicherweise lehrt die Erfahrung, daß dieser Blutdurst unter den saugen
Malern nicht lange anhält. Einen wirklichen Schaden davon hat mir der
Luxembourg, welcher die groteske Mordgeschichte, die der Staat angekauft hat,
aufnehmen muß, und dessen Süle allmählich bereits die Physiognomie von
Schreckenskammern angenommen haben. Aime Morvt ist ein Beispiel für
jenen Erfahrungssatz. Im Salon von 1879 sah man von ihm eine Episode
aus der Schlacht bei Aquae Sextiae, ein kolossales Gemälde, auf welchen"
die gallischen Weiber sich mit ihren Fingernägeln und ihren Zähnen gegen die
römischen Reiter verteidigen, die ihre Wagenburg angreifen. Im folgenden
Jahre hatte sich sein heißes Blut bereits abgekühlt, indem er einen barmherzigen
Samariter malte, den er in jener realistischen, aber echt menschlichen Weise
aufgefaßt hatte, die durch Ernest Renan und David Strauß für die Behandlung
biblischer Stoffe maßgebend geworden ist, mehr allerdings in Deutschland als
in Frankreich. Hier hält mau ziemlich allgemein an der mystisch-transzendentalen
Auffassung religiöser Motive fest, die namentlich dnrch Hippolyte Flandrin be¬
gründet worden ist und als deren erfolgreichster Vertreter Puvis de Chavannes
gilt. Morot hat in diesem Jahre einen gekreuzigten Christus unter dem Titel
"Martyrium Jesu von Nazareth" und mit Hinzufügung eines Citats aus
Rennens "Leben Jesu" ausgestellt. Es ist ein hochherziger Mensch, der mit
vollem Bewußtsein für eine große Idee den Märtyrertod erleidet. Das edle,
ausdrucksvolle Haupt ist auf die rechte Schulter herabgesunken. Von lichten:


Der Pariser Salv»,

ihre Waffen und ihre Bekleidung betrifft, nach den Entdeckungen Schliemanns
in Mykenae und Ilion konstruirt zu haben. Man sieht an ihnen nichts mehr
von der frisirten Eleganz, mit welcher David seine Griechen und Römer auf¬
geputzt hat. Mit ihren hohen, steifen, mähnenartigen Federbüschen auf den
Helmen erinnern diese Krieger sogar an die nordamerikanischen Indianer, an
die Sioux, und dadurch erhält die ganze, so pathetisch und überzeugungsvoll
vorgetragene Szene einen fast grotesken Anstrich, der auch von jedermann, nur
von der Negierung nicht, die kein Gefühl mehr für das Lächerliche zu haben
scheint, herausgefunden worden ist. Die Franzosen können eine tüchtige Portion
von gemalten Greuelthaten und Schlächtereien vertragen. Ihre Empfindung
ist nach dieser Richtung hin durch die Gewöhnung, durch die blutige Geschichte
ihrer letzten vierzig Jahre außerordentlich abgestumpft worden. „Warum soll
man nicht auch Ereignisse malen, die wir mit eignen Augen angesehen haben?"
fragen sie ganz naiv in der Erinnerung an die Greuel der Kommune. Aber
diese „Andromache" ging den meisten doch über die Grenzen des Erlaubten,
über das durch die Tradition geheiligte Maß. Weit entfernt jedoch, über diese
Rohheit in Entrüstung auszubrechen, überließen sie es den Witzblättern, dies
blutige Jahrmarktsbild des Herrn Rvchcgrvsse zu verhöhnen, und den ernst¬
haften Kritikern, dem jungen Maler die Freude an seiner Auszeichnung gründ¬
lich zu verbittern.

Glücklicherweise lehrt die Erfahrung, daß dieser Blutdurst unter den saugen
Malern nicht lange anhält. Einen wirklichen Schaden davon hat mir der
Luxembourg, welcher die groteske Mordgeschichte, die der Staat angekauft hat,
aufnehmen muß, und dessen Süle allmählich bereits die Physiognomie von
Schreckenskammern angenommen haben. Aime Morvt ist ein Beispiel für
jenen Erfahrungssatz. Im Salon von 1879 sah man von ihm eine Episode
aus der Schlacht bei Aquae Sextiae, ein kolossales Gemälde, auf welchen«
die gallischen Weiber sich mit ihren Fingernägeln und ihren Zähnen gegen die
römischen Reiter verteidigen, die ihre Wagenburg angreifen. Im folgenden
Jahre hatte sich sein heißes Blut bereits abgekühlt, indem er einen barmherzigen
Samariter malte, den er in jener realistischen, aber echt menschlichen Weise
aufgefaßt hatte, die durch Ernest Renan und David Strauß für die Behandlung
biblischer Stoffe maßgebend geworden ist, mehr allerdings in Deutschland als
in Frankreich. Hier hält mau ziemlich allgemein an der mystisch-transzendentalen
Auffassung religiöser Motive fest, die namentlich dnrch Hippolyte Flandrin be¬
gründet worden ist und als deren erfolgreichster Vertreter Puvis de Chavannes
gilt. Morot hat in diesem Jahre einen gekreuzigten Christus unter dem Titel
„Martyrium Jesu von Nazareth" und mit Hinzufügung eines Citats aus
Rennens „Leben Jesu" ausgestellt. Es ist ein hochherziger Mensch, der mit
vollem Bewußtsein für eine große Idee den Märtyrertod erleidet. Das edle,
ausdrucksvolle Haupt ist auf die rechte Schulter herabgesunken. Von lichten:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/203>, abgerufen am 08.09.2024.