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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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die größere Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks und eine reichere, lebhaftere
Färbung übernommen. Was sie, während sich diese Verschmelzung vollzog,
an ganz neuen Elementen aufnahm, war die unersättliche Freude an grauener¬
regender Momenten aus der Weltgeschichte, welche geeignet sind, die Nerven
aufs höchste zu reizen und anzustacheln. Das Blut ist schon als rein kolo¬
ristisches Mittel so überaus wirksam, daß man sich um die schönsten Effekte
bringen würde, wollte man es aus ästhetischen Rücksichten, wie es die klassischen
Alten gethan haben, zimperlich verbergen. Seit Henri Regnanlts "Hinrichtung
in Granadn" ist deun auch so außerordentliches in der Blut- und Leichemnalerei
geleistet worden, daß man eine Steigerung kaum noch für möglich gehalten
hätte. Und doch hat Rochcgrosse dieses Kunststück zu Wege gebracht! Was
war Regnault neben ihm, doch ein harmloser, friedliebender Schäfer! Der Vor¬
gang, welchen Nochegrosse zur Darstellung gewählt hat, spielt sich in einem
förmlichen Rahmen von verstümmelten Leichen, abgeschlagenen Köpfen und Glie¬
dern und Blutlachen ab. Auf Befehl des Odysseus entreißt ein hellenischer
Krieger der verzweifelt sich wehrenden Andromache den kleinen Astycuiax, welcher
von der Zinne der Mauer herabgeschleudert werden soll. Andromache ist dein
Soldaten, der ihr das Teuerste fortträgt, bis zum Fuße einer hohen Stein¬
treppe nachgeeilt, welche bis zum Mauerkranze emporführt. Oben sieht man
in unbestimmten Umrissen die Gestalt des wartenden Odysseus. Das unglück¬
liche Weib sucht den Räuber mit jener wahnsinnigen Kraft, welche die Ver¬
zweiflung eingiebt, am Mantel zurückzuhalten. Aber sie selbst wird von vier
Kriegern bewältigt, welche sie fest umschlungen halten und sie mit dem ganzen
Aufgebot ihrer .Kräfte von der Treppe herabzerren. Man hält diesen Kraft¬
aufwand schon für glaubhaft. Denn der Maler hat seine Andromache mit
einem Gliederbau begnadigt, welcher es wohl mit einem halben Dutzend solcher
Gegner eine Zeit lang aufnehmen kann. Um diese Treppe herum muß der
Kampf besonders arg getobt haben. Der Pfeiler, welcher unten die Treppen¬
brüstung abschließt, hat augenscheinlich als Schlachtbank gedient. Denn er ist
über und über mit Blut bedeckt, und an seinem Fuße liegt ein Haufe abge¬
schlagener Köpfe, die vielleicht zu jenen Körpern gehört haben, welche man ganz
links oben an der Mauer der Reihe nach neben einander wie Drosseln aufge¬
hängt hat. Um das Gleichgewicht zu erhalten, hat der Maler auf der entgegen¬
gesetzten Seite seiner Komposition, also unten rechts, noch eine zweite Gruppe
von Leichnamen arrcingirt, unter denen der gänzlich nackte eines jungen schönen
Mädchens besonders ins Auge fällt. Zertrümmertes Hausgerät auf dem Erd¬
boden und von rechts her aufsteigender Rauch sind andre Zeugen der Bestia¬
lität, welche auf dieser Stelle gewütet hat. Der große Blutfleck in der Mitte
giebt die Dominante für die koloristische Stimmung an. Danach stuft sich alles
in einem bräunlichen Gesamttone ab, welcher offenbar die Wildheit der Greuel¬
szene charakterisiren soll. Die hellenischen Krieger scheint sich Rochegrosse, was


die größere Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks und eine reichere, lebhaftere
Färbung übernommen. Was sie, während sich diese Verschmelzung vollzog,
an ganz neuen Elementen aufnahm, war die unersättliche Freude an grauener¬
regender Momenten aus der Weltgeschichte, welche geeignet sind, die Nerven
aufs höchste zu reizen und anzustacheln. Das Blut ist schon als rein kolo¬
ristisches Mittel so überaus wirksam, daß man sich um die schönsten Effekte
bringen würde, wollte man es aus ästhetischen Rücksichten, wie es die klassischen
Alten gethan haben, zimperlich verbergen. Seit Henri Regnanlts „Hinrichtung
in Granadn" ist deun auch so außerordentliches in der Blut- und Leichemnalerei
geleistet worden, daß man eine Steigerung kaum noch für möglich gehalten
hätte. Und doch hat Rochcgrosse dieses Kunststück zu Wege gebracht! Was
war Regnault neben ihm, doch ein harmloser, friedliebender Schäfer! Der Vor¬
gang, welchen Nochegrosse zur Darstellung gewählt hat, spielt sich in einem
förmlichen Rahmen von verstümmelten Leichen, abgeschlagenen Köpfen und Glie¬
dern und Blutlachen ab. Auf Befehl des Odysseus entreißt ein hellenischer
Krieger der verzweifelt sich wehrenden Andromache den kleinen Astycuiax, welcher
von der Zinne der Mauer herabgeschleudert werden soll. Andromache ist dein
Soldaten, der ihr das Teuerste fortträgt, bis zum Fuße einer hohen Stein¬
treppe nachgeeilt, welche bis zum Mauerkranze emporführt. Oben sieht man
in unbestimmten Umrissen die Gestalt des wartenden Odysseus. Das unglück¬
liche Weib sucht den Räuber mit jener wahnsinnigen Kraft, welche die Ver¬
zweiflung eingiebt, am Mantel zurückzuhalten. Aber sie selbst wird von vier
Kriegern bewältigt, welche sie fest umschlungen halten und sie mit dem ganzen
Aufgebot ihrer .Kräfte von der Treppe herabzerren. Man hält diesen Kraft¬
aufwand schon für glaubhaft. Denn der Maler hat seine Andromache mit
einem Gliederbau begnadigt, welcher es wohl mit einem halben Dutzend solcher
Gegner eine Zeit lang aufnehmen kann. Um diese Treppe herum muß der
Kampf besonders arg getobt haben. Der Pfeiler, welcher unten die Treppen¬
brüstung abschließt, hat augenscheinlich als Schlachtbank gedient. Denn er ist
über und über mit Blut bedeckt, und an seinem Fuße liegt ein Haufe abge¬
schlagener Köpfe, die vielleicht zu jenen Körpern gehört haben, welche man ganz
links oben an der Mauer der Reihe nach neben einander wie Drosseln aufge¬
hängt hat. Um das Gleichgewicht zu erhalten, hat der Maler auf der entgegen¬
gesetzten Seite seiner Komposition, also unten rechts, noch eine zweite Gruppe
von Leichnamen arrcingirt, unter denen der gänzlich nackte eines jungen schönen
Mädchens besonders ins Auge fällt. Zertrümmertes Hausgerät auf dem Erd¬
boden und von rechts her aufsteigender Rauch sind andre Zeugen der Bestia¬
lität, welche auf dieser Stelle gewütet hat. Der große Blutfleck in der Mitte
giebt die Dominante für die koloristische Stimmung an. Danach stuft sich alles
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szene charakterisiren soll. Die hellenischen Krieger scheint sich Rochegrosse, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/202>, abgerufen am 08.09.2024.