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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

Hier ist vermöge der religiösen Anschauungen, die den Orient beherrschen, das
Prinzip der Rechtsgleichheit und demgemäß der Rechtssicherheit noch nicht zur
Herrschaft gelangt; der fremde Staatsangehörige und insbesondre der Ungläubige
nimmt in der Anschauung des Volkes und in dem orientalisch-theokratischen
Staatsrecht noch eine so untergeordnete Stellung ein, daß ein Rechtsbruch gegen
solche Personen nicht in der gleichen Weise empfunden und geahndet wird, wie
ein gleicher gegen den Einheimischen. Auch bietet das Beamtentum des Orients
keine Garantie für die Unparteilichkeit der Rechtspflege. Seine Stellung ist
keine gesicherte; der Richter, wie jeder andre Beamte, kann jeden Augenblick
der Laune des Machthabers zum Opfer fallen; er ist aber nicht nur jedem
Einfluß des letztern ausgesetzt, sondern infolge einer kärglichen oder unregel¬
mäßigen Besoldung und bei dem Mangel einer sittlich-religiösen Bildung der
Bestechung jeglicher Art zugänglich. Eben weil im Orient die ersten Grund¬
lagen für die Rechtssicherheit fehlen , haben bereits seit dem sechzehnten Jahr¬
hundert in Anknüpfung an die aus dem Mittelalter überkommenen Verhältnisse
die christlichen Staaten sich bemüht, ihre Unterthanen von der dortigen Justiz
zu eximiren und der eignen zu unterwerfen. Auf Grund der sogenannten
Kapitulationen ist im Orient den europäischen Konsuln die volle Strafgerichts¬
barkeit über die Angehörigen ihrer Nation zugestanden, womit dem Herkommen
nach das stillschweigende Zugeständnis der vollen bürgerlichen Gerichtsbarkeit
unter den nationalen des Konsuls verbunden ist.

Zuweilen findet es sich nun, daß im Auslande von den eingewanderten
Angehörigen eines fremden Volkes ein Verein zum Rechtsschutz gebildet wird,
weil diesen das fremde Recht und das fremde Verfahren vielfach Hindernisse
bereitet und es dem Einzelnen, namentlich wenn er weniger bemittelt ist, schwer
und oft unmöglich werden würde, inmitten eines unbekannten Volkes mit seinen
unbekannten Einrichtungen zum Rechte zu gelangen. So besteht in London
schon seit einer Reihe von Jahren ein deutscher Rechtsschutzverein, gegründet
nicht etwa aus Mißtrauen gegen die englische Rechtspflege oder gegen Unpartei¬
lichkeit der englischen Gerichte, sondern nur um deu oft mit der Landessprache
unbekannten deutschen Fremdling in seinen Rechtssachen zu unterstützen. Dagegen
ist es uns nicht bekannt, daß in England, Frankreich oder irgend einem andern
zivilisirten Lande ein Verein bestünde zum Schutz gegen die eigne Rechts¬
pflege, und wir glauben uns nicht zu irren, daß die Gründung eines solchen
Vereins dem allgemeinen Unwillen und der Verurteilung der Nation verfallen
würde. Man weiß, wie in Frankreich seit Jahren von den republikanischen
Machthabern die Unabhängigkeit des Richterstandes mit scheelen Augen angesehen
wird. Fast jedes der unzähligen Ministerien ist mit Vorschlägen aufgetreten,
welche den Richterstand von seinen republikanischen Elementen reinigen sollen,
ohne daß es bisher gelungen wäre, den Widerstand der besonnenen Elemente
zu beseitigen. Aber trotz dieser Unzufriedenheit der republikanischen Partei mit


Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche.

Hier ist vermöge der religiösen Anschauungen, die den Orient beherrschen, das
Prinzip der Rechtsgleichheit und demgemäß der Rechtssicherheit noch nicht zur
Herrschaft gelangt; der fremde Staatsangehörige und insbesondre der Ungläubige
nimmt in der Anschauung des Volkes und in dem orientalisch-theokratischen
Staatsrecht noch eine so untergeordnete Stellung ein, daß ein Rechtsbruch gegen
solche Personen nicht in der gleichen Weise empfunden und geahndet wird, wie
ein gleicher gegen den Einheimischen. Auch bietet das Beamtentum des Orients
keine Garantie für die Unparteilichkeit der Rechtspflege. Seine Stellung ist
keine gesicherte; der Richter, wie jeder andre Beamte, kann jeden Augenblick
der Laune des Machthabers zum Opfer fallen; er ist aber nicht nur jedem
Einfluß des letztern ausgesetzt, sondern infolge einer kärglichen oder unregel¬
mäßigen Besoldung und bei dem Mangel einer sittlich-religiösen Bildung der
Bestechung jeglicher Art zugänglich. Eben weil im Orient die ersten Grund¬
lagen für die Rechtssicherheit fehlen , haben bereits seit dem sechzehnten Jahr¬
hundert in Anknüpfung an die aus dem Mittelalter überkommenen Verhältnisse
die christlichen Staaten sich bemüht, ihre Unterthanen von der dortigen Justiz
zu eximiren und der eignen zu unterwerfen. Auf Grund der sogenannten
Kapitulationen ist im Orient den europäischen Konsuln die volle Strafgerichts¬
barkeit über die Angehörigen ihrer Nation zugestanden, womit dem Herkommen
nach das stillschweigende Zugeständnis der vollen bürgerlichen Gerichtsbarkeit
unter den nationalen des Konsuls verbunden ist.

Zuweilen findet es sich nun, daß im Auslande von den eingewanderten
Angehörigen eines fremden Volkes ein Verein zum Rechtsschutz gebildet wird,
weil diesen das fremde Recht und das fremde Verfahren vielfach Hindernisse
bereitet und es dem Einzelnen, namentlich wenn er weniger bemittelt ist, schwer
und oft unmöglich werden würde, inmitten eines unbekannten Volkes mit seinen
unbekannten Einrichtungen zum Rechte zu gelangen. So besteht in London
schon seit einer Reihe von Jahren ein deutscher Rechtsschutzverein, gegründet
nicht etwa aus Mißtrauen gegen die englische Rechtspflege oder gegen Unpartei¬
lichkeit der englischen Gerichte, sondern nur um deu oft mit der Landessprache
unbekannten deutschen Fremdling in seinen Rechtssachen zu unterstützen. Dagegen
ist es uns nicht bekannt, daß in England, Frankreich oder irgend einem andern
zivilisirten Lande ein Verein bestünde zum Schutz gegen die eigne Rechts¬
pflege, und wir glauben uns nicht zu irren, daß die Gründung eines solchen
Vereins dem allgemeinen Unwillen und der Verurteilung der Nation verfallen
würde. Man weiß, wie in Frankreich seit Jahren von den republikanischen
Machthabern die Unabhängigkeit des Richterstandes mit scheelen Augen angesehen
wird. Fast jedes der unzähligen Ministerien ist mit Vorschlägen aufgetreten,
welche den Richterstand von seinen republikanischen Elementen reinigen sollen,
ohne daß es bisher gelungen wäre, den Widerstand der besonnenen Elemente
zu beseitigen. Aber trotz dieser Unzufriedenheit der republikanischen Partei mit


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[0182] Rechtsschutz und Rechtssicherheit im Reiche. Hier ist vermöge der religiösen Anschauungen, die den Orient beherrschen, das Prinzip der Rechtsgleichheit und demgemäß der Rechtssicherheit noch nicht zur Herrschaft gelangt; der fremde Staatsangehörige und insbesondre der Ungläubige nimmt in der Anschauung des Volkes und in dem orientalisch-theokratischen Staatsrecht noch eine so untergeordnete Stellung ein, daß ein Rechtsbruch gegen solche Personen nicht in der gleichen Weise empfunden und geahndet wird, wie ein gleicher gegen den Einheimischen. Auch bietet das Beamtentum des Orients keine Garantie für die Unparteilichkeit der Rechtspflege. Seine Stellung ist keine gesicherte; der Richter, wie jeder andre Beamte, kann jeden Augenblick der Laune des Machthabers zum Opfer fallen; er ist aber nicht nur jedem Einfluß des letztern ausgesetzt, sondern infolge einer kärglichen oder unregel¬ mäßigen Besoldung und bei dem Mangel einer sittlich-religiösen Bildung der Bestechung jeglicher Art zugänglich. Eben weil im Orient die ersten Grund¬ lagen für die Rechtssicherheit fehlen , haben bereits seit dem sechzehnten Jahr¬ hundert in Anknüpfung an die aus dem Mittelalter überkommenen Verhältnisse die christlichen Staaten sich bemüht, ihre Unterthanen von der dortigen Justiz zu eximiren und der eignen zu unterwerfen. Auf Grund der sogenannten Kapitulationen ist im Orient den europäischen Konsuln die volle Strafgerichts¬ barkeit über die Angehörigen ihrer Nation zugestanden, womit dem Herkommen nach das stillschweigende Zugeständnis der vollen bürgerlichen Gerichtsbarkeit unter den nationalen des Konsuls verbunden ist. Zuweilen findet es sich nun, daß im Auslande von den eingewanderten Angehörigen eines fremden Volkes ein Verein zum Rechtsschutz gebildet wird, weil diesen das fremde Recht und das fremde Verfahren vielfach Hindernisse bereitet und es dem Einzelnen, namentlich wenn er weniger bemittelt ist, schwer und oft unmöglich werden würde, inmitten eines unbekannten Volkes mit seinen unbekannten Einrichtungen zum Rechte zu gelangen. So besteht in London schon seit einer Reihe von Jahren ein deutscher Rechtsschutzverein, gegründet nicht etwa aus Mißtrauen gegen die englische Rechtspflege oder gegen Unpartei¬ lichkeit der englischen Gerichte, sondern nur um deu oft mit der Landessprache unbekannten deutschen Fremdling in seinen Rechtssachen zu unterstützen. Dagegen ist es uns nicht bekannt, daß in England, Frankreich oder irgend einem andern zivilisirten Lande ein Verein bestünde zum Schutz gegen die eigne Rechts¬ pflege, und wir glauben uns nicht zu irren, daß die Gründung eines solchen Vereins dem allgemeinen Unwillen und der Verurteilung der Nation verfallen würde. Man weiß, wie in Frankreich seit Jahren von den republikanischen Machthabern die Unabhängigkeit des Richterstandes mit scheelen Augen angesehen wird. Fast jedes der unzähligen Ministerien ist mit Vorschlägen aufgetreten, welche den Richterstand von seinen republikanischen Elementen reinigen sollen, ohne daß es bisher gelungen wäre, den Widerstand der besonnenen Elemente zu beseitigen. Aber trotz dieser Unzufriedenheit der republikanischen Partei mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/182>, abgerufen am 08.09.2024.