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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.

schaftlichen Autoritäten haben sich beispielsweise früher Wächter, neuerdings
Jhering (in seinem "Zweck im Recht") mit Entschiedenheit gegen die "nicht¬
berufsmäßigen" Richter ausgesprochen. statistisches Material ist leider nicht
vorhanden oder wenigstens nicht veröffentlicht. Interessant würde es sein, aus
den von den Schwurgerichtspräsidenten um die Zentralbehörden regelmäßig zu
erstattenden Berichten festzustellen, wieviel Prozent aller Verdikte der Geschwornen
von dieser doch gewiß kompetenten Seite nicht etwa bloß für bedenklich, sondern
für eklatant verfehlt erklärt werden. Gering kann dieser Prozentsatz nicht sein,
sonst Hütte sich der preußische Justizminister nicht veranlaßt gesehen, vor einiger
Zeit die Behörden zu besserer Auswahl der Geschworne" aufzufordern. Das
Vorhandensein des Übels ist damit konstatirt. Ob es auf dem vom Justiz¬
minister gewiesenen Wege zu heben oder auch nur in nennenswerter Weise zu
mindern sein wird, dürfte mehr als fraglich erscheinen. Annähernd die Tüchtigsten,
die zu finden waren, wird man auch bisher schon ausgewählt haben.

Fast komisch klang es demgegenüber für den Sachkundigen, wenn unlängst
in der Kölnischen Zeitung als Beweis für die Vorzüglichkeit unsrer Schwur¬
gerichte die Thatsache hervorgehoben wurde, daß die mitwirkenden Nichterkollegien
fast nie von der im Z 317 der Strafprozeßordnung ihnen gewährten Befugnis
Gebrauch gemacht Hütten. Dieser Paragraph gestattet dem Gerichte, den Spruch
der Geschwornen aufzuheben, wenn es einstimmig der Ansicht ist, daß dieselben
sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben. Das wird
freilich, bei den gehäuften Kautelen zu Gunsten des Angeklagten, wie sie speziell
das Schwurgerichtsverfahren bietet, und bei der bekannten Scheu der Geschwornen
vor verurteilenden Sprüchen, äußerst selten vorkommen. Man gebe aber einmal
dem Gerichte die gleiche Befugnis gegenüber einem zu Gunsten des Angeklagten
fehlsamen Spruche, und mehr als die Hälfte aller freisprechenden oder den
des Mordes Angeklagten nur wegen Totschlags, den des Totschlags Ange¬
klagten nur wegen tätlicher Körperverletzung ?e. verurteilenden Verdikte wird
kassirt werden.

Es dürfte umsomehr an der Zeit sein, diesen wunden Punkt unsrer Ju¬
stizeinrichtungen einmal öffentlich und rückhaltlos zur Sprache zu bringen, als
die sonderbar gemischte, jeder prinzipiellen Konsequenz entbehrende Organisation
unsrer Kriminalgerichte allgemein als eine nur provisorische, der baldigen Reform
bedürftige angesehen wird. Für Juristen freilich werden die nachstehenden Aus¬
führungen nicht viel neues bieten. Die Sache ist unter den Fachgenossen zur
Genüge hin und her erörtert worden. Die Meinung dieser Kreise braucht
aber auch nicht erst gewonnen zu werden. Käme es auf ein Mehrheitsvotum
der Juristen an, so wären die Schwurgerichte längst gefallen. Aber weitere,
und selbst politisch orientirte Kreise scheinen bis jetzt von dem wahrhaft schreienden
Mißstände, um den es sich hier handelt, kaum eine genügende Vorstellung zu
haben. Sonst wäre die allgemeine Fügsamkeit unerklärlich, mit der man, dem


Das Schwurgericht.

schaftlichen Autoritäten haben sich beispielsweise früher Wächter, neuerdings
Jhering (in seinem „Zweck im Recht") mit Entschiedenheit gegen die „nicht¬
berufsmäßigen" Richter ausgesprochen. statistisches Material ist leider nicht
vorhanden oder wenigstens nicht veröffentlicht. Interessant würde es sein, aus
den von den Schwurgerichtspräsidenten um die Zentralbehörden regelmäßig zu
erstattenden Berichten festzustellen, wieviel Prozent aller Verdikte der Geschwornen
von dieser doch gewiß kompetenten Seite nicht etwa bloß für bedenklich, sondern
für eklatant verfehlt erklärt werden. Gering kann dieser Prozentsatz nicht sein,
sonst Hütte sich der preußische Justizminister nicht veranlaßt gesehen, vor einiger
Zeit die Behörden zu besserer Auswahl der Geschworne» aufzufordern. Das
Vorhandensein des Übels ist damit konstatirt. Ob es auf dem vom Justiz¬
minister gewiesenen Wege zu heben oder auch nur in nennenswerter Weise zu
mindern sein wird, dürfte mehr als fraglich erscheinen. Annähernd die Tüchtigsten,
die zu finden waren, wird man auch bisher schon ausgewählt haben.

Fast komisch klang es demgegenüber für den Sachkundigen, wenn unlängst
in der Kölnischen Zeitung als Beweis für die Vorzüglichkeit unsrer Schwur¬
gerichte die Thatsache hervorgehoben wurde, daß die mitwirkenden Nichterkollegien
fast nie von der im Z 317 der Strafprozeßordnung ihnen gewährten Befugnis
Gebrauch gemacht Hütten. Dieser Paragraph gestattet dem Gerichte, den Spruch
der Geschwornen aufzuheben, wenn es einstimmig der Ansicht ist, daß dieselben
sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben. Das wird
freilich, bei den gehäuften Kautelen zu Gunsten des Angeklagten, wie sie speziell
das Schwurgerichtsverfahren bietet, und bei der bekannten Scheu der Geschwornen
vor verurteilenden Sprüchen, äußerst selten vorkommen. Man gebe aber einmal
dem Gerichte die gleiche Befugnis gegenüber einem zu Gunsten des Angeklagten
fehlsamen Spruche, und mehr als die Hälfte aller freisprechenden oder den
des Mordes Angeklagten nur wegen Totschlags, den des Totschlags Ange¬
klagten nur wegen tätlicher Körperverletzung ?e. verurteilenden Verdikte wird
kassirt werden.

Es dürfte umsomehr an der Zeit sein, diesen wunden Punkt unsrer Ju¬
stizeinrichtungen einmal öffentlich und rückhaltlos zur Sprache zu bringen, als
die sonderbar gemischte, jeder prinzipiellen Konsequenz entbehrende Organisation
unsrer Kriminalgerichte allgemein als eine nur provisorische, der baldigen Reform
bedürftige angesehen wird. Für Juristen freilich werden die nachstehenden Aus¬
führungen nicht viel neues bieten. Die Sache ist unter den Fachgenossen zur
Genüge hin und her erörtert worden. Die Meinung dieser Kreise braucht
aber auch nicht erst gewonnen zu werden. Käme es auf ein Mehrheitsvotum
der Juristen an, so wären die Schwurgerichte längst gefallen. Aber weitere,
und selbst politisch orientirte Kreise scheinen bis jetzt von dem wahrhaft schreienden
Mißstände, um den es sich hier handelt, kaum eine genügende Vorstellung zu
haben. Sonst wäre die allgemeine Fügsamkeit unerklärlich, mit der man, dem


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[0018] Das Schwurgericht. schaftlichen Autoritäten haben sich beispielsweise früher Wächter, neuerdings Jhering (in seinem „Zweck im Recht") mit Entschiedenheit gegen die „nicht¬ berufsmäßigen" Richter ausgesprochen. statistisches Material ist leider nicht vorhanden oder wenigstens nicht veröffentlicht. Interessant würde es sein, aus den von den Schwurgerichtspräsidenten um die Zentralbehörden regelmäßig zu erstattenden Berichten festzustellen, wieviel Prozent aller Verdikte der Geschwornen von dieser doch gewiß kompetenten Seite nicht etwa bloß für bedenklich, sondern für eklatant verfehlt erklärt werden. Gering kann dieser Prozentsatz nicht sein, sonst Hütte sich der preußische Justizminister nicht veranlaßt gesehen, vor einiger Zeit die Behörden zu besserer Auswahl der Geschworne» aufzufordern. Das Vorhandensein des Übels ist damit konstatirt. Ob es auf dem vom Justiz¬ minister gewiesenen Wege zu heben oder auch nur in nennenswerter Weise zu mindern sein wird, dürfte mehr als fraglich erscheinen. Annähernd die Tüchtigsten, die zu finden waren, wird man auch bisher schon ausgewählt haben. Fast komisch klang es demgegenüber für den Sachkundigen, wenn unlängst in der Kölnischen Zeitung als Beweis für die Vorzüglichkeit unsrer Schwur¬ gerichte die Thatsache hervorgehoben wurde, daß die mitwirkenden Nichterkollegien fast nie von der im Z 317 der Strafprozeßordnung ihnen gewährten Befugnis Gebrauch gemacht Hütten. Dieser Paragraph gestattet dem Gerichte, den Spruch der Geschwornen aufzuheben, wenn es einstimmig der Ansicht ist, daß dieselben sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben. Das wird freilich, bei den gehäuften Kautelen zu Gunsten des Angeklagten, wie sie speziell das Schwurgerichtsverfahren bietet, und bei der bekannten Scheu der Geschwornen vor verurteilenden Sprüchen, äußerst selten vorkommen. Man gebe aber einmal dem Gerichte die gleiche Befugnis gegenüber einem zu Gunsten des Angeklagten fehlsamen Spruche, und mehr als die Hälfte aller freisprechenden oder den des Mordes Angeklagten nur wegen Totschlags, den des Totschlags Ange¬ klagten nur wegen tätlicher Körperverletzung ?e. verurteilenden Verdikte wird kassirt werden. Es dürfte umsomehr an der Zeit sein, diesen wunden Punkt unsrer Ju¬ stizeinrichtungen einmal öffentlich und rückhaltlos zur Sprache zu bringen, als die sonderbar gemischte, jeder prinzipiellen Konsequenz entbehrende Organisation unsrer Kriminalgerichte allgemein als eine nur provisorische, der baldigen Reform bedürftige angesehen wird. Für Juristen freilich werden die nachstehenden Aus¬ führungen nicht viel neues bieten. Die Sache ist unter den Fachgenossen zur Genüge hin und her erörtert worden. Die Meinung dieser Kreise braucht aber auch nicht erst gewonnen zu werden. Käme es auf ein Mehrheitsvotum der Juristen an, so wären die Schwurgerichte längst gefallen. Aber weitere, und selbst politisch orientirte Kreise scheinen bis jetzt von dem wahrhaft schreienden Mißstände, um den es sich hier handelt, kaum eine genügende Vorstellung zu haben. Sonst wäre die allgemeine Fügsamkeit unerklärlich, mit der man, dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/18>, abgerufen am 08.09.2024.