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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die soziale Gesetzgebung

le Verhandlungen der jüngsten Reichstagssession, so wenig frucht¬
bringend sie auch zum Teil gewesen sind, haben doch wenigstens
ein Gesetz von der allergrößten Bedeutung zu Tage gefördert,
das Gesetz über die Krankenversicherung. Es ist in der That
kein geringes, wenn man bedenkt, daß in ganz Deutschland die große
Menge derer, welche nur von dem täglichen Verdienst ihrer Hände leben und
welche bisher, sobald sie das Schicksal hatten, zu erkranken, von allen Mitteln
entblößt waren, fortan für diesen schlimmen Fall nicht mehr dem Jammer und
Elend preisgegeben sein, sondern das zu ihrer Erhaltung und Genesung not¬
wendige beziehen sollen aus Ersparnissen, welche in sehr maßvoller Weise das
Gesetz ihnen auferlegt. Ein erhebliches Stück sozialen Elends ist damit bei
uns aus der Welt geschafft. Man sollte auch das Verdienst der Reichsregierung
um dieses Gesetz nicht dadurch herabsetzen, daß man so thut, als ob erst der
Reichstag das beste daran geschaffen hätte. Gewiß ist anzuerkennen, daß die
Reichstagskommissivn sehr fleißig an dem Gesetze gearbeitet hat. Von allen Seiten
ist man bemüht gewesen, ihm Gedanken zuzutragen, und in diesen Ge¬
danken ist auch manches Wertvolle gewesen. Aber die grundlegenden Gedanken,
der ganze erste Aufbau des Gesetzes waren doch das Werk der Regierungs¬
arbeiter. Man kann überhaupt bei einem Gesetze dieser Art nicht verlangen,
daß es als etwas absolut vollkommenes aus der ersten Arbeit hervorgehe. Auch
nach den mancherlei Verbesserungen, die der Entwurf durch die Bemühung
des Reichstags erfahren hat, werden noch UnVollkommenheiten mancher Art
darin geblieben sein, die sich im Laufe der praktischen Anwendung fühlbar
machen werden. Das thut dem Verdienste der ersten Schöpfung keinen Eintrag.
Eben deshalb kann es auch nicht die Aufgabe sein, dem vollendeten Gesetz


Grenzboten III. 1383. 22


Die soziale Gesetzgebung

le Verhandlungen der jüngsten Reichstagssession, so wenig frucht¬
bringend sie auch zum Teil gewesen sind, haben doch wenigstens
ein Gesetz von der allergrößten Bedeutung zu Tage gefördert,
das Gesetz über die Krankenversicherung. Es ist in der That
kein geringes, wenn man bedenkt, daß in ganz Deutschland die große
Menge derer, welche nur von dem täglichen Verdienst ihrer Hände leben und
welche bisher, sobald sie das Schicksal hatten, zu erkranken, von allen Mitteln
entblößt waren, fortan für diesen schlimmen Fall nicht mehr dem Jammer und
Elend preisgegeben sein, sondern das zu ihrer Erhaltung und Genesung not¬
wendige beziehen sollen aus Ersparnissen, welche in sehr maßvoller Weise das
Gesetz ihnen auferlegt. Ein erhebliches Stück sozialen Elends ist damit bei
uns aus der Welt geschafft. Man sollte auch das Verdienst der Reichsregierung
um dieses Gesetz nicht dadurch herabsetzen, daß man so thut, als ob erst der
Reichstag das beste daran geschaffen hätte. Gewiß ist anzuerkennen, daß die
Reichstagskommissivn sehr fleißig an dem Gesetze gearbeitet hat. Von allen Seiten
ist man bemüht gewesen, ihm Gedanken zuzutragen, und in diesen Ge¬
danken ist auch manches Wertvolle gewesen. Aber die grundlegenden Gedanken,
der ganze erste Aufbau des Gesetzes waren doch das Werk der Regierungs¬
arbeiter. Man kann überhaupt bei einem Gesetze dieser Art nicht verlangen,
daß es als etwas absolut vollkommenes aus der ersten Arbeit hervorgehe. Auch
nach den mancherlei Verbesserungen, die der Entwurf durch die Bemühung
des Reichstags erfahren hat, werden noch UnVollkommenheiten mancher Art
darin geblieben sein, die sich im Laufe der praktischen Anwendung fühlbar
machen werden. Das thut dem Verdienste der ersten Schöpfung keinen Eintrag.
Eben deshalb kann es auch nicht die Aufgabe sein, dem vollendeten Gesetz


Grenzboten III. 1383. 22
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[0177] [Abbildung] Die soziale Gesetzgebung le Verhandlungen der jüngsten Reichstagssession, so wenig frucht¬ bringend sie auch zum Teil gewesen sind, haben doch wenigstens ein Gesetz von der allergrößten Bedeutung zu Tage gefördert, das Gesetz über die Krankenversicherung. Es ist in der That kein geringes, wenn man bedenkt, daß in ganz Deutschland die große Menge derer, welche nur von dem täglichen Verdienst ihrer Hände leben und welche bisher, sobald sie das Schicksal hatten, zu erkranken, von allen Mitteln entblößt waren, fortan für diesen schlimmen Fall nicht mehr dem Jammer und Elend preisgegeben sein, sondern das zu ihrer Erhaltung und Genesung not¬ wendige beziehen sollen aus Ersparnissen, welche in sehr maßvoller Weise das Gesetz ihnen auferlegt. Ein erhebliches Stück sozialen Elends ist damit bei uns aus der Welt geschafft. Man sollte auch das Verdienst der Reichsregierung um dieses Gesetz nicht dadurch herabsetzen, daß man so thut, als ob erst der Reichstag das beste daran geschaffen hätte. Gewiß ist anzuerkennen, daß die Reichstagskommissivn sehr fleißig an dem Gesetze gearbeitet hat. Von allen Seiten ist man bemüht gewesen, ihm Gedanken zuzutragen, und in diesen Ge¬ danken ist auch manches Wertvolle gewesen. Aber die grundlegenden Gedanken, der ganze erste Aufbau des Gesetzes waren doch das Werk der Regierungs¬ arbeiter. Man kann überhaupt bei einem Gesetze dieser Art nicht verlangen, daß es als etwas absolut vollkommenes aus der ersten Arbeit hervorgehe. Auch nach den mancherlei Verbesserungen, die der Entwurf durch die Bemühung des Reichstags erfahren hat, werden noch UnVollkommenheiten mancher Art darin geblieben sein, die sich im Laufe der praktischen Anwendung fühlbar machen werden. Das thut dem Verdienste der ersten Schöpfung keinen Eintrag. Eben deshalb kann es auch nicht die Aufgabe sein, dem vollendeten Gesetz Grenzboten III. 1383. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/177>, abgerufen am 08.09.2024.