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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
August Nie?rann Roman von (Gotha).
^Fortsetzung.)
Fünfunddreißigstes Aapitel.

KM
WArüfin Sibylle ging mit finsterer Stirn von Dorothea, und als
sie über den Korridor nach ihrem eignen Zimmer schritt, murmelte
sie Verwünschungen zwischen den Zähnen. Das junge Mädchen
war ihr tief verhaßt, und sie nahm sich vor, sich an ihr zu rächen,
wenn sich irgendwie dazu Gelegenheit finden sollte. War sie erst
mit Dietrich vermählt, so sollte sie es fühlen, was es hieße, sie,
die Gräfin, zu beleidigen. Doch flößte ihr zugleich Dorotheens Energie und
Trotz neue Besorgnisse ein, und sie durchschaute, welche Absicht der Gras von
Franeker bei seinem abendlichen Besuche hatte.

Sie gab Auftrag, daß man ihr mitteilen solle, wann der Gras sich wieder
entfernt haben würde, und sie erfuhr, daß er nach einer langen, bis zehn Uhr
dauernden Unterhaltung mit dem Baron noch einen Besuch bei Dorothea ab¬
statte. Dann ging sie trotz der späten Zeit noch zum Baron, um ihm, wie sie
sagte, gute Nacht zu wünschen.

Sie fand den alten Herrn in einer unruhigen und mißmutigen Stimmung,
lind sie erwies ihm durch ihr Kommen, wie es ihr schien, einen Gefallen, indem sie
ihm Gelegenheit gab, sich seine unangenehmen Gedanken von der Seele zu
sprechen. Als sie ihm unter einigen Worten der Begrüßung die Hand drückte
und dann that, als wollte sie sich entfernen, nötigte er sie zu bleiben und be¬
gann über den Besuch des Generals zu reden.

Ich passe nicht mehr in diese Welt, sagte er. Entweder ich verstehe die
Zeit nicht mehr, oder die Zeit versteht mich nicht. Es kommt mir so vor, als
ob die jakobinischen Lehrsätze nach und nach das ganze Volk vergiftet hätten,
sodaß nicht nur bei den Demagogen und Liberalen, sondern sogar in denjenigen
Ständen, die man ehedem für die unerschütterlichen Stützen des Thrones hielt,
ihre Wirkung verspürt würde. Ich will garnicht von meinem Vetter Botho reden,
der niemals viel Verstand gehabt hat, sodaß es denn irgend einem Schwarm-
teufel, der in ihn fahren mochte, leicht werden mußte, ihn zu regieren. Aber
daß ich selbst ans dem Munde des Grafen von Franeker Sätze vernehmen muß,




Die Grafen von Altenschwerdt.
August Nie?rann Roman von (Gotha).
^Fortsetzung.)
Fünfunddreißigstes Aapitel.

KM
WArüfin Sibylle ging mit finsterer Stirn von Dorothea, und als
sie über den Korridor nach ihrem eignen Zimmer schritt, murmelte
sie Verwünschungen zwischen den Zähnen. Das junge Mädchen
war ihr tief verhaßt, und sie nahm sich vor, sich an ihr zu rächen,
wenn sich irgendwie dazu Gelegenheit finden sollte. War sie erst
mit Dietrich vermählt, so sollte sie es fühlen, was es hieße, sie,
die Gräfin, zu beleidigen. Doch flößte ihr zugleich Dorotheens Energie und
Trotz neue Besorgnisse ein, und sie durchschaute, welche Absicht der Gras von
Franeker bei seinem abendlichen Besuche hatte.

Sie gab Auftrag, daß man ihr mitteilen solle, wann der Gras sich wieder
entfernt haben würde, und sie erfuhr, daß er nach einer langen, bis zehn Uhr
dauernden Unterhaltung mit dem Baron noch einen Besuch bei Dorothea ab¬
statte. Dann ging sie trotz der späten Zeit noch zum Baron, um ihm, wie sie
sagte, gute Nacht zu wünschen.

Sie fand den alten Herrn in einer unruhigen und mißmutigen Stimmung,
lind sie erwies ihm durch ihr Kommen, wie es ihr schien, einen Gefallen, indem sie
ihm Gelegenheit gab, sich seine unangenehmen Gedanken von der Seele zu
sprechen. Als sie ihm unter einigen Worten der Begrüßung die Hand drückte
und dann that, als wollte sie sich entfernen, nötigte er sie zu bleiben und be¬
gann über den Besuch des Generals zu reden.

Ich passe nicht mehr in diese Welt, sagte er. Entweder ich verstehe die
Zeit nicht mehr, oder die Zeit versteht mich nicht. Es kommt mir so vor, als
ob die jakobinischen Lehrsätze nach und nach das ganze Volk vergiftet hätten,
sodaß nicht nur bei den Demagogen und Liberalen, sondern sogar in denjenigen
Ständen, die man ehedem für die unerschütterlichen Stützen des Thrones hielt,
ihre Wirkung verspürt würde. Ich will garnicht von meinem Vetter Botho reden,
der niemals viel Verstand gehabt hat, sodaß es denn irgend einem Schwarm-
teufel, der in ihn fahren mochte, leicht werden mußte, ihn zu regieren. Aber
daß ich selbst ans dem Munde des Grafen von Franeker Sätze vernehmen muß,


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[0159] Die Grafen von Altenschwerdt. August Nie?rann Roman von (Gotha). ^Fortsetzung.) Fünfunddreißigstes Aapitel. KM WArüfin Sibylle ging mit finsterer Stirn von Dorothea, und als sie über den Korridor nach ihrem eignen Zimmer schritt, murmelte sie Verwünschungen zwischen den Zähnen. Das junge Mädchen war ihr tief verhaßt, und sie nahm sich vor, sich an ihr zu rächen, wenn sich irgendwie dazu Gelegenheit finden sollte. War sie erst mit Dietrich vermählt, so sollte sie es fühlen, was es hieße, sie, die Gräfin, zu beleidigen. Doch flößte ihr zugleich Dorotheens Energie und Trotz neue Besorgnisse ein, und sie durchschaute, welche Absicht der Gras von Franeker bei seinem abendlichen Besuche hatte. Sie gab Auftrag, daß man ihr mitteilen solle, wann der Gras sich wieder entfernt haben würde, und sie erfuhr, daß er nach einer langen, bis zehn Uhr dauernden Unterhaltung mit dem Baron noch einen Besuch bei Dorothea ab¬ statte. Dann ging sie trotz der späten Zeit noch zum Baron, um ihm, wie sie sagte, gute Nacht zu wünschen. Sie fand den alten Herrn in einer unruhigen und mißmutigen Stimmung, lind sie erwies ihm durch ihr Kommen, wie es ihr schien, einen Gefallen, indem sie ihm Gelegenheit gab, sich seine unangenehmen Gedanken von der Seele zu sprechen. Als sie ihm unter einigen Worten der Begrüßung die Hand drückte und dann that, als wollte sie sich entfernen, nötigte er sie zu bleiben und be¬ gann über den Besuch des Generals zu reden. Ich passe nicht mehr in diese Welt, sagte er. Entweder ich verstehe die Zeit nicht mehr, oder die Zeit versteht mich nicht. Es kommt mir so vor, als ob die jakobinischen Lehrsätze nach und nach das ganze Volk vergiftet hätten, sodaß nicht nur bei den Demagogen und Liberalen, sondern sogar in denjenigen Ständen, die man ehedem für die unerschütterlichen Stützen des Thrones hielt, ihre Wirkung verspürt würde. Ich will garnicht von meinem Vetter Botho reden, der niemals viel Verstand gehabt hat, sodaß es denn irgend einem Schwarm- teufel, der in ihn fahren mochte, leicht werden mußte, ihn zu regieren. Aber daß ich selbst ans dem Munde des Grafen von Franeker Sätze vernehmen muß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/159>, abgerufen am 08.09.2024.