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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Franzosen in Madagaskar.

unbeholfener Gestalt, das größte Reich fertig wurde, das jemals das Schwert
zustande gebracht hatte. Auch unsre jetzige Stellung in Ägypten ist nicht das
Ergebnis überlegter, planvoller Politik. Die Franzosen sind sich der Laufbahn,
zu der sie sich berufen glauben, mehr bewußt, aber ihre Absicht, Arran zu er¬
obern, wird sie, obwohl sie recht Wohl ausführbar ist, sofort zu Nachbarn eines
mächtigen Großstaats machen. Wir hatten in Indien niemals mit einer Macht
zu thun, die an Ausdehnung, Bevölkerung, Gesittung und Hilfsquellen mit
China zu vergleichen gewesen wäre. Der Großmogul in Delhi war eine ver¬
rottete Souveränetät, man hatte mit kriegerischen Nationen zu kämpfen, aber
die Verschiedenheit der Rassen und Religionen setzte uns in den Stand, heute
den Feind von gestern zum Bundesgenossen gegen einen neuen Gegner zu ge¬
winnen. Wären alle Bewohner Indiens ein Volk unter einer einzigen Regierung
gewesen, so hätten wir keinen Erfolg hoffen dürfen, und hätten wir je eine
Großmacht neben uns gehabt, so würden uns unsre Siege teuer zu stehen ge¬
kommen sein. Mit Frankreich steht die Sache in Tonkin anders. Man wird
dort immer genötigt sein, eine starke Besatzung und zahlreiche Schiffe zu halten,
auch wenn China sich nicht unmittelbar einmischt, sondern nur das Räuber-
Wesen begünstigt. Das Klima wird viele Leute hinraffen, der Handel wird die
Kosten der Eroberung nicht bezahlen, die Vorstellungen der Franzosen von
Kolonisation beschränken sich auf Soldaten, welche die Trikolore aufpflanzen
eine Anzahl von Beamten, ein paar Kaufleute, die sich nach den Pariser
Boulevards zurücksehnen, und auf ein paar Dutzend Kommis, die gleichfalls an
starkem Heimweh kranken. Aber freilich ist "Sieg" ein wohlklingendes Wort,
und besonders nach Sedan willkommen. Ob es nun den Tüncher, den Ton-
kinesen oder den Hovas gilt, es thut immer gut, zu hören, daß der Franzose
zu kämpfen, und zu siegen verstehe, und ein großes Kolonialreich war immer
ein entzückender Gedanke. Selbst als Nelson die französische Flotte von den
Meeren weggefegt hatte, begriff Napoleon noch nicht, warum er keine Kolonien
hatte, und warum England Frankreich auf jedem Markte der Welt schlug.

Die Geschichte zeigt aber, daß sich der Gaug der Dinge nicht durch politische
Pläne und Vorkehrungen eine andre Bahn anweisen läßt als die von der
Natur gegebne. Wir sahen uns bei dem Ringen nach Herrschaft in fremden
Weltteilen anfangs keineswegs durch die Umstände begünstigt. Wir machten
uns zu spät auf den Weg. Die Holländer und Portugiesen waren uns im
Südosten voraus, die Spanier im Westen, die Franzosen hatten in Indien Fuß
gefaßt und träumten von einem französischen Orientreiche, während Clive noch
am Pult eines Komptoirs saß. Wo sind unsre damaligen Nebenbuhler jetzt!
Die Landkarte zeigt ein paar Punkte als Reliquien ihres einstigen Unternehmungs¬
geistes und ihrer militärischen Tüchtigkeit. Wir aber haben die größte Republik
der Welt und eines der prächtigsten Reiche Asiens gegründet. Diese Gestaltungen
sind aber nicht durch Zufall oder durch kluge Berechnung entstanden, sondern


Die Franzosen in Madagaskar.

unbeholfener Gestalt, das größte Reich fertig wurde, das jemals das Schwert
zustande gebracht hatte. Auch unsre jetzige Stellung in Ägypten ist nicht das
Ergebnis überlegter, planvoller Politik. Die Franzosen sind sich der Laufbahn,
zu der sie sich berufen glauben, mehr bewußt, aber ihre Absicht, Arran zu er¬
obern, wird sie, obwohl sie recht Wohl ausführbar ist, sofort zu Nachbarn eines
mächtigen Großstaats machen. Wir hatten in Indien niemals mit einer Macht
zu thun, die an Ausdehnung, Bevölkerung, Gesittung und Hilfsquellen mit
China zu vergleichen gewesen wäre. Der Großmogul in Delhi war eine ver¬
rottete Souveränetät, man hatte mit kriegerischen Nationen zu kämpfen, aber
die Verschiedenheit der Rassen und Religionen setzte uns in den Stand, heute
den Feind von gestern zum Bundesgenossen gegen einen neuen Gegner zu ge¬
winnen. Wären alle Bewohner Indiens ein Volk unter einer einzigen Regierung
gewesen, so hätten wir keinen Erfolg hoffen dürfen, und hätten wir je eine
Großmacht neben uns gehabt, so würden uns unsre Siege teuer zu stehen ge¬
kommen sein. Mit Frankreich steht die Sache in Tonkin anders. Man wird
dort immer genötigt sein, eine starke Besatzung und zahlreiche Schiffe zu halten,
auch wenn China sich nicht unmittelbar einmischt, sondern nur das Räuber-
Wesen begünstigt. Das Klima wird viele Leute hinraffen, der Handel wird die
Kosten der Eroberung nicht bezahlen, die Vorstellungen der Franzosen von
Kolonisation beschränken sich auf Soldaten, welche die Trikolore aufpflanzen
eine Anzahl von Beamten, ein paar Kaufleute, die sich nach den Pariser
Boulevards zurücksehnen, und auf ein paar Dutzend Kommis, die gleichfalls an
starkem Heimweh kranken. Aber freilich ist „Sieg" ein wohlklingendes Wort,
und besonders nach Sedan willkommen. Ob es nun den Tüncher, den Ton-
kinesen oder den Hovas gilt, es thut immer gut, zu hören, daß der Franzose
zu kämpfen, und zu siegen verstehe, und ein großes Kolonialreich war immer
ein entzückender Gedanke. Selbst als Nelson die französische Flotte von den
Meeren weggefegt hatte, begriff Napoleon noch nicht, warum er keine Kolonien
hatte, und warum England Frankreich auf jedem Markte der Welt schlug.

Die Geschichte zeigt aber, daß sich der Gaug der Dinge nicht durch politische
Pläne und Vorkehrungen eine andre Bahn anweisen läßt als die von der
Natur gegebne. Wir sahen uns bei dem Ringen nach Herrschaft in fremden
Weltteilen anfangs keineswegs durch die Umstände begünstigt. Wir machten
uns zu spät auf den Weg. Die Holländer und Portugiesen waren uns im
Südosten voraus, die Spanier im Westen, die Franzosen hatten in Indien Fuß
gefaßt und träumten von einem französischen Orientreiche, während Clive noch
am Pult eines Komptoirs saß. Wo sind unsre damaligen Nebenbuhler jetzt!
Die Landkarte zeigt ein paar Punkte als Reliquien ihres einstigen Unternehmungs¬
geistes und ihrer militärischen Tüchtigkeit. Wir aber haben die größte Republik
der Welt und eines der prächtigsten Reiche Asiens gegründet. Diese Gestaltungen
sind aber nicht durch Zufall oder durch kluge Berechnung entstanden, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/155>, abgerufen am 08.09.2024.