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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Franzosen in Madagaskar.

Frankreichs einzugehen, und werden die Franzosen dann auch nur in einem
schmalen Streifen der Insel Herren sein, so werden sie dann ohne Zweifel
die Hauptmacht auf derselben bilden, und wenn wir uns erinnern, wie die
Europäer unter halbzivilisirten Völkern um sich zu greifen pflegten, so kann
ihre vollständige und ausschließliche Herrschaft über Madagaskar wohl nnr eine
Frage der Zeit sein. "

England wird ihnen dabei schwerlich bald in den Weg treten. Selbstver¬
ständlich würde die öffentliche Meinung den Franzosen eine solche stattliche
Eroberung nicht gönnen. Aber die Ansichten haben sich in der Sache gegen
früher doch einigermaßen geändert. Vor fünfzig Jahren hätte man Befürch¬
tungen wegen der Kapkolonie und selbst Visionen von einer Benutzung Mada¬
gaskars gegen Britisch-Jndien gehabt. Jetzt betrachtet man die Angelegenheit mit
größerer Gelassenheit. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die
Mehrzahl der englischen Politiker ungefähr folgendermaßen über sie denkt.

Unser Landhunger ist durch reichliche Annexionen gestillt. Wird die Königin
Ranovalo entthront oder mediatisirt, so braucht uns das nicht sehr zu Herzen
zu gehen. Giebt es doch eine große Reihe von Potentaten, denen von uns
ähnliches widerfahren ist. Vielleicht tröstet die gute Dame dann ein Großkordon
der Ehrenlegion, den ihr Präsident Grevy verleiht, über ihr Unglück. Mögen
die Franzosen sich Madagaskar zu Gemüte ziehen, sie werden uns dann Ägypten
gönnen, besonders wenn wir ihnen noch Tonkin, Tunis und ein tüchtiges Stück
Land am Kongo ihrem Kolonialbesitz einzuverleiben gestatten. Wir denken nicht
entfernt daran, uns mit den Franzosen wegen ihrer neuen Manie, die nach über¬
seeischen Eroberungen verlangt, in Streit einzulassen. Es macht ihnen Ver¬
gnüge"? und bringt uns keinen Schaden. Überdies läuft es ja bei uns auf
dasselbe hinaus wie bei unsern verehrten Nachbarn drüben, nur der Weg zuni
Gewinn von Kolonien ist ein verschiedener. Die Franzosen verfahren dabei
mit Vorbedacht, mit Berechnung, planmäßig; der Staat ist bei ihnen der erste
Unternehmer. Bei uns ists der Kaufmann. Dieser erscheint als Bahnbrecher
an fernen Küsten, zunächst nur in der Absicht, Kattun oder Eisenwaaren, Messer,
Sägen, alte Flinten u. dergl. zu verkaufen und für den Erlös Indigo, Opium,
Thee, Palmöl, Elfenbein u. dergl. einzuhandeln. Erst nach Jahren verwandelt
sich die Handelsniederlassung in ein politisches Gebilde, das sich fortwährend
vergrößert. Der Händler wird zum Herrscher, der Krieg führt und für den
Heimatsstaat Eroberungen macht, die Faktorei zum mächtigen Kolonialstaat.
Die ursprünglichen englischen Ansiedler in Ostindien hatten nur die Absicht, für
ihre Prinzipale in London, Liverpool oder Birmingham vorteilhafte Verkäufe
und Einkäufe zu bewerkstelligen, von einem großen morgenländischen Reiche
ließen sie sich nichts träumen. Indeß glich die individuelle Thatkraft des
britischen Volkes den Mangel an Vorbedacht aus, wir stolperten nicht selten
und thaten Mißgriffe, arbeiteten aber unverdrossen weiter, bis, zunächst in grober,


Die Franzosen in Madagaskar.

Frankreichs einzugehen, und werden die Franzosen dann auch nur in einem
schmalen Streifen der Insel Herren sein, so werden sie dann ohne Zweifel
die Hauptmacht auf derselben bilden, und wenn wir uns erinnern, wie die
Europäer unter halbzivilisirten Völkern um sich zu greifen pflegten, so kann
ihre vollständige und ausschließliche Herrschaft über Madagaskar wohl nnr eine
Frage der Zeit sein. «

England wird ihnen dabei schwerlich bald in den Weg treten. Selbstver¬
ständlich würde die öffentliche Meinung den Franzosen eine solche stattliche
Eroberung nicht gönnen. Aber die Ansichten haben sich in der Sache gegen
früher doch einigermaßen geändert. Vor fünfzig Jahren hätte man Befürch¬
tungen wegen der Kapkolonie und selbst Visionen von einer Benutzung Mada¬
gaskars gegen Britisch-Jndien gehabt. Jetzt betrachtet man die Angelegenheit mit
größerer Gelassenheit. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die
Mehrzahl der englischen Politiker ungefähr folgendermaßen über sie denkt.

Unser Landhunger ist durch reichliche Annexionen gestillt. Wird die Königin
Ranovalo entthront oder mediatisirt, so braucht uns das nicht sehr zu Herzen
zu gehen. Giebt es doch eine große Reihe von Potentaten, denen von uns
ähnliches widerfahren ist. Vielleicht tröstet die gute Dame dann ein Großkordon
der Ehrenlegion, den ihr Präsident Grevy verleiht, über ihr Unglück. Mögen
die Franzosen sich Madagaskar zu Gemüte ziehen, sie werden uns dann Ägypten
gönnen, besonders wenn wir ihnen noch Tonkin, Tunis und ein tüchtiges Stück
Land am Kongo ihrem Kolonialbesitz einzuverleiben gestatten. Wir denken nicht
entfernt daran, uns mit den Franzosen wegen ihrer neuen Manie, die nach über¬
seeischen Eroberungen verlangt, in Streit einzulassen. Es macht ihnen Ver¬
gnüge«? und bringt uns keinen Schaden. Überdies läuft es ja bei uns auf
dasselbe hinaus wie bei unsern verehrten Nachbarn drüben, nur der Weg zuni
Gewinn von Kolonien ist ein verschiedener. Die Franzosen verfahren dabei
mit Vorbedacht, mit Berechnung, planmäßig; der Staat ist bei ihnen der erste
Unternehmer. Bei uns ists der Kaufmann. Dieser erscheint als Bahnbrecher
an fernen Küsten, zunächst nur in der Absicht, Kattun oder Eisenwaaren, Messer,
Sägen, alte Flinten u. dergl. zu verkaufen und für den Erlös Indigo, Opium,
Thee, Palmöl, Elfenbein u. dergl. einzuhandeln. Erst nach Jahren verwandelt
sich die Handelsniederlassung in ein politisches Gebilde, das sich fortwährend
vergrößert. Der Händler wird zum Herrscher, der Krieg führt und für den
Heimatsstaat Eroberungen macht, die Faktorei zum mächtigen Kolonialstaat.
Die ursprünglichen englischen Ansiedler in Ostindien hatten nur die Absicht, für
ihre Prinzipale in London, Liverpool oder Birmingham vorteilhafte Verkäufe
und Einkäufe zu bewerkstelligen, von einem großen morgenländischen Reiche
ließen sie sich nichts träumen. Indeß glich die individuelle Thatkraft des
britischen Volkes den Mangel an Vorbedacht aus, wir stolperten nicht selten
und thaten Mißgriffe, arbeiteten aber unverdrossen weiter, bis, zunächst in grober,


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[0154] Die Franzosen in Madagaskar. Frankreichs einzugehen, und werden die Franzosen dann auch nur in einem schmalen Streifen der Insel Herren sein, so werden sie dann ohne Zweifel die Hauptmacht auf derselben bilden, und wenn wir uns erinnern, wie die Europäer unter halbzivilisirten Völkern um sich zu greifen pflegten, so kann ihre vollständige und ausschließliche Herrschaft über Madagaskar wohl nnr eine Frage der Zeit sein. « England wird ihnen dabei schwerlich bald in den Weg treten. Selbstver¬ ständlich würde die öffentliche Meinung den Franzosen eine solche stattliche Eroberung nicht gönnen. Aber die Ansichten haben sich in der Sache gegen früher doch einigermaßen geändert. Vor fünfzig Jahren hätte man Befürch¬ tungen wegen der Kapkolonie und selbst Visionen von einer Benutzung Mada¬ gaskars gegen Britisch-Jndien gehabt. Jetzt betrachtet man die Angelegenheit mit größerer Gelassenheit. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die Mehrzahl der englischen Politiker ungefähr folgendermaßen über sie denkt. Unser Landhunger ist durch reichliche Annexionen gestillt. Wird die Königin Ranovalo entthront oder mediatisirt, so braucht uns das nicht sehr zu Herzen zu gehen. Giebt es doch eine große Reihe von Potentaten, denen von uns ähnliches widerfahren ist. Vielleicht tröstet die gute Dame dann ein Großkordon der Ehrenlegion, den ihr Präsident Grevy verleiht, über ihr Unglück. Mögen die Franzosen sich Madagaskar zu Gemüte ziehen, sie werden uns dann Ägypten gönnen, besonders wenn wir ihnen noch Tonkin, Tunis und ein tüchtiges Stück Land am Kongo ihrem Kolonialbesitz einzuverleiben gestatten. Wir denken nicht entfernt daran, uns mit den Franzosen wegen ihrer neuen Manie, die nach über¬ seeischen Eroberungen verlangt, in Streit einzulassen. Es macht ihnen Ver¬ gnüge«? und bringt uns keinen Schaden. Überdies läuft es ja bei uns auf dasselbe hinaus wie bei unsern verehrten Nachbarn drüben, nur der Weg zuni Gewinn von Kolonien ist ein verschiedener. Die Franzosen verfahren dabei mit Vorbedacht, mit Berechnung, planmäßig; der Staat ist bei ihnen der erste Unternehmer. Bei uns ists der Kaufmann. Dieser erscheint als Bahnbrecher an fernen Küsten, zunächst nur in der Absicht, Kattun oder Eisenwaaren, Messer, Sägen, alte Flinten u. dergl. zu verkaufen und für den Erlös Indigo, Opium, Thee, Palmöl, Elfenbein u. dergl. einzuhandeln. Erst nach Jahren verwandelt sich die Handelsniederlassung in ein politisches Gebilde, das sich fortwährend vergrößert. Der Händler wird zum Herrscher, der Krieg führt und für den Heimatsstaat Eroberungen macht, die Faktorei zum mächtigen Kolonialstaat. Die ursprünglichen englischen Ansiedler in Ostindien hatten nur die Absicht, für ihre Prinzipale in London, Liverpool oder Birmingham vorteilhafte Verkäufe und Einkäufe zu bewerkstelligen, von einem großen morgenländischen Reiche ließen sie sich nichts träumen. Indeß glich die individuelle Thatkraft des britischen Volkes den Mangel an Vorbedacht aus, wir stolperten nicht selten und thaten Mißgriffe, arbeiteten aber unverdrossen weiter, bis, zunächst in grober,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/154>, abgerufen am 08.09.2024.