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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Jllustrirte Prachtwerke des ^5. mild ^6. Jahrhunderts.

die dortigen Offizinen mit Illustrationen versorgte, war der in Solothurn
zwischen 1485 und 1490 geborne Urs Graf, welcher bis zum Jahre 1520 un¬
unterbrochen thätig war, bis er um diese Zeit hinter den Gebrüdern Holbein
zurücktreten mußte. Unter diesen hat dann das Baseler Illustrationswesen seine
schönste Zeit erlebt. Hans Holbein hat namentlich den seit dem Jahre 1522
im Verlage von Adam Petri und Thomas Wolff erschienenen deutschen Bibeln
ihr unvergleichliches künstlerisches Gepräge verliehen. Dem Ambrosius Holbein
verdanken drei kleine Bücher, der "Nollhard," eine Komödie des Pamphilus
Gengenbach, die "Utopia" des Thomas Morus und die "Gcmchmatt" des
Thomas Murner, ihre charakteristischen Bildchen. An Feinheit der Typen und
sorgfältiger Ausführung übertreffen diese Baseler Produkte alle anderswo er¬
schienenen Werke.

Wieder in andrer Beziehung bedeutend sind die Straßburger Arbeiten
dieser Zeit. War es im fünfzehnten Jahrhundert in erster Linie Sebastian
Braut gewesen, durch dessen große Publikationen das Illustrationswesen in
Straßburg emporkam, so war es jetzt hauptsächlich der als Prediger am
Münster wirkende Gener von Kaisersperg, der Buchdrucker und Illustratoren in
Anspruch nahm. Der erste dieser Künstler, Hans Wächtlin, wird in zwei
Büchern in seiner ganzen Bedeutung erkannt: einem bei dem Drucker Johann
Knoblouch 1508 erschienenen "Leben Christi" und Hans Gersdorfs 1517 von
Johann Schott gedruckten "Feldbuch der Wundarznei." Das eine gehört noch
mehr dem Ideenkreise des fünfzehnten Jahrhunderts an, während in den anato¬
mischen Blättern des "Feldbuches der Wundarznei" sich Wächtlin dnrch das
eifrige Studium und die gelungene Darstellung des Nackten als Angehörigen
der neuen Zeit zu erkennen giebt. Wie Urs Graf den beiden Holbein, so mußte
indessen auch Wächtlin in seiner spätern Zeit dem jüngern Künstlerkreise weichen,
der in Hans Waldung Grien seinen Mittelpunkt hatte. Gener von Kaiser-
spergs 1510 erschienenes "Buch Granatapfel," ein von Martin Flach 1512 ge¬
druckter Sorw1u8 Amiens-ö und eine bei Grüninger 1516 erschienene "Auslegung
der zehn Gebote" führen uns diesen genialen Meister in seiner Eigentümlichkeit
vor. Nur der Inhalt dieser Bücher ist kirchlich, die Bilder sind weltlich geworden.
Mit Baldungs sinnlichen üppigen Weibern ausgeschmückt, trägt der Horwlus
durchaus nicht mehr das geistlich asketische Gepräge, das ihm im fünfzehnten
Jahrhundert eigen war. Und auch aus den Bildern zu den zehn Geboten
leuchtet mehr die Freude an dem schönen menschlichen Körper wie eine kirch¬
liche Gesinnung hervor.

Zu diesen alten Druckorten Augsburg, Nürnberg, Basel und Straßburg
kam im sechzehnten Jahrhundert noch einer, der früher leine Rolle gespielt hatte:
Wittenberg, das seine Bedeutung Martin Luther und Lucas Cranach verdankte.
Schon 1509 ließ Cranach bei Johann Grunenberg das sogenannte Witten-
berger Heiligtumsbuch drucken, das auf 44 Blättern in 119 Holzschnitten die


Jllustrirte Prachtwerke des ^5. mild ^6. Jahrhunderts.

die dortigen Offizinen mit Illustrationen versorgte, war der in Solothurn
zwischen 1485 und 1490 geborne Urs Graf, welcher bis zum Jahre 1520 un¬
unterbrochen thätig war, bis er um diese Zeit hinter den Gebrüdern Holbein
zurücktreten mußte. Unter diesen hat dann das Baseler Illustrationswesen seine
schönste Zeit erlebt. Hans Holbein hat namentlich den seit dem Jahre 1522
im Verlage von Adam Petri und Thomas Wolff erschienenen deutschen Bibeln
ihr unvergleichliches künstlerisches Gepräge verliehen. Dem Ambrosius Holbein
verdanken drei kleine Bücher, der „Nollhard," eine Komödie des Pamphilus
Gengenbach, die „Utopia" des Thomas Morus und die „Gcmchmatt" des
Thomas Murner, ihre charakteristischen Bildchen. An Feinheit der Typen und
sorgfältiger Ausführung übertreffen diese Baseler Produkte alle anderswo er¬
schienenen Werke.

Wieder in andrer Beziehung bedeutend sind die Straßburger Arbeiten
dieser Zeit. War es im fünfzehnten Jahrhundert in erster Linie Sebastian
Braut gewesen, durch dessen große Publikationen das Illustrationswesen in
Straßburg emporkam, so war es jetzt hauptsächlich der als Prediger am
Münster wirkende Gener von Kaisersperg, der Buchdrucker und Illustratoren in
Anspruch nahm. Der erste dieser Künstler, Hans Wächtlin, wird in zwei
Büchern in seiner ganzen Bedeutung erkannt: einem bei dem Drucker Johann
Knoblouch 1508 erschienenen „Leben Christi" und Hans Gersdorfs 1517 von
Johann Schott gedruckten „Feldbuch der Wundarznei." Das eine gehört noch
mehr dem Ideenkreise des fünfzehnten Jahrhunderts an, während in den anato¬
mischen Blättern des „Feldbuches der Wundarznei" sich Wächtlin dnrch das
eifrige Studium und die gelungene Darstellung des Nackten als Angehörigen
der neuen Zeit zu erkennen giebt. Wie Urs Graf den beiden Holbein, so mußte
indessen auch Wächtlin in seiner spätern Zeit dem jüngern Künstlerkreise weichen,
der in Hans Waldung Grien seinen Mittelpunkt hatte. Gener von Kaiser-
spergs 1510 erschienenes „Buch Granatapfel," ein von Martin Flach 1512 ge¬
druckter Sorw1u8 Amiens-ö und eine bei Grüninger 1516 erschienene „Auslegung
der zehn Gebote" führen uns diesen genialen Meister in seiner Eigentümlichkeit
vor. Nur der Inhalt dieser Bücher ist kirchlich, die Bilder sind weltlich geworden.
Mit Baldungs sinnlichen üppigen Weibern ausgeschmückt, trägt der Horwlus
durchaus nicht mehr das geistlich asketische Gepräge, das ihm im fünfzehnten
Jahrhundert eigen war. Und auch aus den Bildern zu den zehn Geboten
leuchtet mehr die Freude an dem schönen menschlichen Körper wie eine kirch¬
liche Gesinnung hervor.

Zu diesen alten Druckorten Augsburg, Nürnberg, Basel und Straßburg
kam im sechzehnten Jahrhundert noch einer, der früher leine Rolle gespielt hatte:
Wittenberg, das seine Bedeutung Martin Luther und Lucas Cranach verdankte.
Schon 1509 ließ Cranach bei Johann Grunenberg das sogenannte Witten-
berger Heiligtumsbuch drucken, das auf 44 Blättern in 119 Holzschnitten die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/151>, abgerufen am 08.09.2024.