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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rußland und der alleinseligmachende Konstitutionalismus.

leicht viele von den Elementen finden, die man demselben vor allem wünsche"
müßte, redliche, praktische Leute, Männer der Erfahrung. und fänden sich solche
anfangs in genügender Menge, so würden sie es wahrscheinlich nicht lange im
Parlamente und in den Vereinen und Versammlungen der Parteien aushalten.
Die Folge der Verwandlung Rußlands ans einem autokratisch regierte" Staate
in einen nach konstitutionellen Satzungen eingerichteten würde nach Ansicht unsers
Petersburgers sicherlich zunächst die Folge haben, "daß die ernsten, praktischen
und an bescheidne, aber für den nächsten Umkreis nützliche Arbeit gewohnte"
Nüsse" sich so kräftig als möglich sträuben würden, ihre hergebrachte Beschäftigung
aufzugeben, um eine neue Laufbahn einzuschlagen, für die sie sich in keiner
Weise vorbereitet fühlen, und in der sie keine bedeutsame Rolle spielen würde",
da sie durch redegewandte und regsame Elemente bald in den Hintergrund ge¬
drängt werden würden. Und selbst wenn Männer ersteren Schlages sich zum
Eintritt in das russische Parlament entschlössen, würden sie ohne Zweifel bald
dahin kommen, dasselbe so selten als möglich zu besuche", da sie der Aussichts¬
losigkeit ihrer Wünsche und Bestrebungen, die national-russischen Ideen gegen¬
über dem die europäischen Modebegrisfe bejubelnden Beifall zur Geltung zu
bringen, rasch innewerden würden. Das russische Volk aber, für welches das
ganze Schauspiel in Szene gesetzt worden wäre, hätte blutwenig Gewinn davon,
wenn sein Schicksal hinfort in die Hände von Rhetoren, Idealisten, Gelehrte",
Büreciukrateu, herabgekommenen Grundbesitzern und einigen Soldaten gelegt
wäre... die der Mehrzahl nach dieses Volk nie anders als ans der Ferne,
von ihren Arbeitstabineteu oder von den Fenstern ihrer Wagen ans kennen
gelernt hatten. . . . Dazu treten Umstände örtlicher Natur. Die Entfernnnge"
sind in Rußland so groß, daß das Übel selbst durch Schienenstränge nnr un-
vollständig gehoben wird. In Enropa ist es fast überall jedermann möglich,
sich zugleich deu öffentlichen und den eignen Angelegenheiten zu widmen; in Ru߬
land ist das für viele fast unausführbar. Mau muß das eine den: andern
opfern und hat nur die Wahl zwischen beiden. Große Besitzer, die ihre An¬
gelegenheiten nicht vernachlässigen wolle", entschließen sich nur sehr schwer zur
Annahme eines Maubads und suche" sich desselben bei der ersten sich ihnen
darbietenden Gelegenheit wieder zu entledigen. Selbst kleine Besitzer wollen in
der Pflege ihrer Privntintcressen lieber uicht durch Aufträge zur Wnhrnehnuing
der öffentlichen gestört sein, und so kommt es, daß fast alle öffentlichen Stellungen
in den Provinzen von auswärts gekommenen Leuten oder zu Grunde gegangenen
und arbeitsscheuen ehemaligen Gutsbesitzern zufallen."

Zum Schlüsse zieht der Verfasser des Artikels in der "Politischen Korre^
spondenz" einen Zug im russischen Nationalcharakter in Betracht, der von nnsschlag
gehender Bedeutung ist. "Als weiland Alcxanderder Zweite, sagt er, die Reformära
eröffnete, begann nicht bloß die Presse für den Liberalismus Propaganda zu
macheu, sondern alle Gouverneure und die gesamte russische Intelligenz ver-


Rußland und der alleinseligmachende Konstitutionalismus.

leicht viele von den Elementen finden, die man demselben vor allem wünsche»
müßte, redliche, praktische Leute, Männer der Erfahrung. und fänden sich solche
anfangs in genügender Menge, so würden sie es wahrscheinlich nicht lange im
Parlamente und in den Vereinen und Versammlungen der Parteien aushalten.
Die Folge der Verwandlung Rußlands ans einem autokratisch regierte» Staate
in einen nach konstitutionellen Satzungen eingerichteten würde nach Ansicht unsers
Petersburgers sicherlich zunächst die Folge haben, „daß die ernsten, praktischen
und an bescheidne, aber für den nächsten Umkreis nützliche Arbeit gewohnte»
Nüsse» sich so kräftig als möglich sträuben würden, ihre hergebrachte Beschäftigung
aufzugeben, um eine neue Laufbahn einzuschlagen, für die sie sich in keiner
Weise vorbereitet fühlen, und in der sie keine bedeutsame Rolle spielen würde»,
da sie durch redegewandte und regsame Elemente bald in den Hintergrund ge¬
drängt werden würden. Und selbst wenn Männer ersteren Schlages sich zum
Eintritt in das russische Parlament entschlössen, würden sie ohne Zweifel bald
dahin kommen, dasselbe so selten als möglich zu besuche», da sie der Aussichts¬
losigkeit ihrer Wünsche und Bestrebungen, die national-russischen Ideen gegen¬
über dem die europäischen Modebegrisfe bejubelnden Beifall zur Geltung zu
bringen, rasch innewerden würden. Das russische Volk aber, für welches das
ganze Schauspiel in Szene gesetzt worden wäre, hätte blutwenig Gewinn davon,
wenn sein Schicksal hinfort in die Hände von Rhetoren, Idealisten, Gelehrte»,
Büreciukrateu, herabgekommenen Grundbesitzern und einigen Soldaten gelegt
wäre... die der Mehrzahl nach dieses Volk nie anders als ans der Ferne,
von ihren Arbeitstabineteu oder von den Fenstern ihrer Wagen ans kennen
gelernt hatten. . . . Dazu treten Umstände örtlicher Natur. Die Entfernnnge»
sind in Rußland so groß, daß das Übel selbst durch Schienenstränge nnr un-
vollständig gehoben wird. In Enropa ist es fast überall jedermann möglich,
sich zugleich deu öffentlichen und den eignen Angelegenheiten zu widmen; in Ru߬
land ist das für viele fast unausführbar. Mau muß das eine den: andern
opfern und hat nur die Wahl zwischen beiden. Große Besitzer, die ihre An¬
gelegenheiten nicht vernachlässigen wolle», entschließen sich nur sehr schwer zur
Annahme eines Maubads und suche» sich desselben bei der ersten sich ihnen
darbietenden Gelegenheit wieder zu entledigen. Selbst kleine Besitzer wollen in
der Pflege ihrer Privntintcressen lieber uicht durch Aufträge zur Wnhrnehnuing
der öffentlichen gestört sein, und so kommt es, daß fast alle öffentlichen Stellungen
in den Provinzen von auswärts gekommenen Leuten oder zu Grunde gegangenen
und arbeitsscheuen ehemaligen Gutsbesitzern zufallen."

Zum Schlüsse zieht der Verfasser des Artikels in der „Politischen Korre^
spondenz" einen Zug im russischen Nationalcharakter in Betracht, der von nnsschlag
gehender Bedeutung ist. „Als weiland Alcxanderder Zweite, sagt er, die Reformära
eröffnete, begann nicht bloß die Presse für den Liberalismus Propaganda zu
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[0015] Rußland und der alleinseligmachende Konstitutionalismus. leicht viele von den Elementen finden, die man demselben vor allem wünsche» müßte, redliche, praktische Leute, Männer der Erfahrung. und fänden sich solche anfangs in genügender Menge, so würden sie es wahrscheinlich nicht lange im Parlamente und in den Vereinen und Versammlungen der Parteien aushalten. Die Folge der Verwandlung Rußlands ans einem autokratisch regierte» Staate in einen nach konstitutionellen Satzungen eingerichteten würde nach Ansicht unsers Petersburgers sicherlich zunächst die Folge haben, „daß die ernsten, praktischen und an bescheidne, aber für den nächsten Umkreis nützliche Arbeit gewohnte» Nüsse» sich so kräftig als möglich sträuben würden, ihre hergebrachte Beschäftigung aufzugeben, um eine neue Laufbahn einzuschlagen, für die sie sich in keiner Weise vorbereitet fühlen, und in der sie keine bedeutsame Rolle spielen würde», da sie durch redegewandte und regsame Elemente bald in den Hintergrund ge¬ drängt werden würden. Und selbst wenn Männer ersteren Schlages sich zum Eintritt in das russische Parlament entschlössen, würden sie ohne Zweifel bald dahin kommen, dasselbe so selten als möglich zu besuche», da sie der Aussichts¬ losigkeit ihrer Wünsche und Bestrebungen, die national-russischen Ideen gegen¬ über dem die europäischen Modebegrisfe bejubelnden Beifall zur Geltung zu bringen, rasch innewerden würden. Das russische Volk aber, für welches das ganze Schauspiel in Szene gesetzt worden wäre, hätte blutwenig Gewinn davon, wenn sein Schicksal hinfort in die Hände von Rhetoren, Idealisten, Gelehrte», Büreciukrateu, herabgekommenen Grundbesitzern und einigen Soldaten gelegt wäre... die der Mehrzahl nach dieses Volk nie anders als ans der Ferne, von ihren Arbeitstabineteu oder von den Fenstern ihrer Wagen ans kennen gelernt hatten. . . . Dazu treten Umstände örtlicher Natur. Die Entfernnnge» sind in Rußland so groß, daß das Übel selbst durch Schienenstränge nnr un- vollständig gehoben wird. In Enropa ist es fast überall jedermann möglich, sich zugleich deu öffentlichen und den eignen Angelegenheiten zu widmen; in Ru߬ land ist das für viele fast unausführbar. Mau muß das eine den: andern opfern und hat nur die Wahl zwischen beiden. Große Besitzer, die ihre An¬ gelegenheiten nicht vernachlässigen wolle», entschließen sich nur sehr schwer zur Annahme eines Maubads und suche» sich desselben bei der ersten sich ihnen darbietenden Gelegenheit wieder zu entledigen. Selbst kleine Besitzer wollen in der Pflege ihrer Privntintcressen lieber uicht durch Aufträge zur Wnhrnehnuing der öffentlichen gestört sein, und so kommt es, daß fast alle öffentlichen Stellungen in den Provinzen von auswärts gekommenen Leuten oder zu Grunde gegangenen und arbeitsscheuen ehemaligen Gutsbesitzern zufallen." Zum Schlüsse zieht der Verfasser des Artikels in der „Politischen Korre^ spondenz" einen Zug im russischen Nationalcharakter in Betracht, der von nnsschlag gehender Bedeutung ist. „Als weiland Alcxanderder Zweite, sagt er, die Reformära eröffnete, begann nicht bloß die Presse für den Liberalismus Propaganda zu macheu, sondern alle Gouverneure und die gesamte russische Intelligenz ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/15>, abgerufen am 08.09.2024.