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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zllustrirte Prachtwerke des ^5. und ^6, Jahrhunderts.

ausgaben, lateinische und deutsche Predigtsammlungen, populäre Werke über
Chirurgie und Medizin, Wörterbücher, Legenden, Romane und geographische
Schriften gingen aus seiner Presse hervor und wurden fast alle mit unzähligen
Holzschnitten illustrirt. Die beiden ersten illustrirten Grüuingerschen Werke, ein
Terenz von 1496 und ein Horaz von 1498, lassen allerdings den Aufschwung,
den das Illustrationswesen binnen kurzem durch die Grüningersche Offizin nahm,
noch nicht ahnen. Die darin enthaltenen Bilder sind noch ungenügend und
willkürlich und werden von einem gelehrten Philologen nicht mit Unrecht als
it-g. vouixg-rg-tÄL bezeichnet, ut. g.ä risum "ouiiuovsrcz iutusutsm Hass-ut. Ganz
anders gestaltete sich aber die Sache, als im Jahre 1498 Sebastian Braut aus
Basel in seine Heimat zurückkehrte, von dessen "Narrenschiff" Grüningerber eilf im
Jahre 1497 eine lateinische Übersetzung veranstaltet hatte. Sofort traten die
beiden unermüdlich thätigen Männer mit einander in Verbindung, und es folgte
im Jahre 1502 das Hauptwerk der Grüuingerschen Offizin, die von Braut be¬
sorgte Ausgabe des Virgil, die nicht weniger als 214 große Holzschnitte ent¬
hält. Wie aus der Masse von Kenntnis und Gelehrsamkeit, welche in denselben
niedergelegt ist, ferner aus der Angabe auf dem Titelblatte: Ouiu exxo1ni88iuiiL
llguris xsr Loo. Braut suxsrÄäÄitis hervorgeht, ist auch hier Braut selbst thätig
gewesen und hat wahrscheinlich dem Zeichner nicht nur schriftliche Inhalts¬
angaben, sondern auch wirkliche Skizzen angefertigt. Der Umstand, daß der
ganze Virgil in der naivsten Weise in die Tracht und Sitte des Jahres 1500
übersetzt ist, schließt die Überwachung der Illustration durch den Gelehrten nicht
aus. Wer Homer und die Römer gelesen, aber nie ein griechisches Kunstwerk
gesehen hat, kann naturgemäß von der Majestät, Größe und Grazie der klassischen
Götterwelt keine Ahnung haben. Alles, was Braut zu wissen glaubt, ist, daß
die Gottheiten nicht bekleidet waren. Ein nackter Mann, der eine Krone auf
dem Kopfe und ein Zepter in der Hand trägt, ist, wenn er anf einem Stuhl
in den Wolken sitzt, Juppiter, Neptun, wenn er halb im Wasser steht. Die
Göttinnen haben kein andres Kleidungsstück als eine jener grotesken Coiffüren,
die bei den eleganten Damen der Renaissance Mode waren. Das ist aber auch
alles, worin sich der klassisch gebildete Philologe zeigt. Im übrigen ist der
beneidenswerten Naivetät des 16. Jahrhunderts kein Abbruch geschehen. Die
Römer sind bekleidet wie Straßburger Bürger und Elsässer Bauern; die Kostüme,
Waffen und Arbeitsgeräte sind diejenigen vom Ende des 15. Jahrhunderts. Es
erscheinen Kanonen und Feldbüchsen. Und als Äneas stirbt, entflieht, ganz der
mittelalterlichen Anschauung entsprechend, die Seele aus seinem Munde als ein
kleines Kind, das von der aus dem Meere emporsteigenden Venus aufgenommen
wird. Über den Zeichner, der besonders in der Darstellung der Landschaften
unerreichbar dasteht, fehlen leider alle Nachrichten.

Vergleicht man diesen Virgil mit einem der alten Pfisterschen Drucke, so
erkennt man die großartige Entwicklung, welche das Illustrationswesen inner-


Zllustrirte Prachtwerke des ^5. und ^6, Jahrhunderts.

ausgaben, lateinische und deutsche Predigtsammlungen, populäre Werke über
Chirurgie und Medizin, Wörterbücher, Legenden, Romane und geographische
Schriften gingen aus seiner Presse hervor und wurden fast alle mit unzähligen
Holzschnitten illustrirt. Die beiden ersten illustrirten Grüuingerschen Werke, ein
Terenz von 1496 und ein Horaz von 1498, lassen allerdings den Aufschwung,
den das Illustrationswesen binnen kurzem durch die Grüningersche Offizin nahm,
noch nicht ahnen. Die darin enthaltenen Bilder sind noch ungenügend und
willkürlich und werden von einem gelehrten Philologen nicht mit Unrecht als
it-g. vouixg-rg-tÄL bezeichnet, ut. g.ä risum «ouiiuovsrcz iutusutsm Hass-ut. Ganz
anders gestaltete sich aber die Sache, als im Jahre 1498 Sebastian Braut aus
Basel in seine Heimat zurückkehrte, von dessen „Narrenschiff" Grüningerber eilf im
Jahre 1497 eine lateinische Übersetzung veranstaltet hatte. Sofort traten die
beiden unermüdlich thätigen Männer mit einander in Verbindung, und es folgte
im Jahre 1502 das Hauptwerk der Grüuingerschen Offizin, die von Braut be¬
sorgte Ausgabe des Virgil, die nicht weniger als 214 große Holzschnitte ent¬
hält. Wie aus der Masse von Kenntnis und Gelehrsamkeit, welche in denselben
niedergelegt ist, ferner aus der Angabe auf dem Titelblatte: Ouiu exxo1ni88iuiiL
llguris xsr Loo. Braut suxsrÄäÄitis hervorgeht, ist auch hier Braut selbst thätig
gewesen und hat wahrscheinlich dem Zeichner nicht nur schriftliche Inhalts¬
angaben, sondern auch wirkliche Skizzen angefertigt. Der Umstand, daß der
ganze Virgil in der naivsten Weise in die Tracht und Sitte des Jahres 1500
übersetzt ist, schließt die Überwachung der Illustration durch den Gelehrten nicht
aus. Wer Homer und die Römer gelesen, aber nie ein griechisches Kunstwerk
gesehen hat, kann naturgemäß von der Majestät, Größe und Grazie der klassischen
Götterwelt keine Ahnung haben. Alles, was Braut zu wissen glaubt, ist, daß
die Gottheiten nicht bekleidet waren. Ein nackter Mann, der eine Krone auf
dem Kopfe und ein Zepter in der Hand trägt, ist, wenn er anf einem Stuhl
in den Wolken sitzt, Juppiter, Neptun, wenn er halb im Wasser steht. Die
Göttinnen haben kein andres Kleidungsstück als eine jener grotesken Coiffüren,
die bei den eleganten Damen der Renaissance Mode waren. Das ist aber auch
alles, worin sich der klassisch gebildete Philologe zeigt. Im übrigen ist der
beneidenswerten Naivetät des 16. Jahrhunderts kein Abbruch geschehen. Die
Römer sind bekleidet wie Straßburger Bürger und Elsässer Bauern; die Kostüme,
Waffen und Arbeitsgeräte sind diejenigen vom Ende des 15. Jahrhunderts. Es
erscheinen Kanonen und Feldbüchsen. Und als Äneas stirbt, entflieht, ganz der
mittelalterlichen Anschauung entsprechend, die Seele aus seinem Munde als ein
kleines Kind, das von der aus dem Meere emporsteigenden Venus aufgenommen
wird. Über den Zeichner, der besonders in der Darstellung der Landschaften
unerreichbar dasteht, fehlen leider alle Nachrichten.

Vergleicht man diesen Virgil mit einem der alten Pfisterschen Drucke, so
erkennt man die großartige Entwicklung, welche das Illustrationswesen inner-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/146>, abgerufen am 08.09.2024.