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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Schaffung der Eva kvnunt dieselbe mittelalterliche Stadt mit ihren Mauern und
Thürmen vor. Im weitern Verlaufe wird die Verwendung der nämlichen Holz¬
stöcke für ähnliche Gegenstände in der ausgedehntesten Weise betrieben. Ein
alter Mann mit Turban und' langem Gewände, der in einem Zimmer an einem
Tische sitzt und die Hand in ein aufgeschlagenes Buch legt, muß für die ganze
Reihe der Propheten seine Dienste thun. Nur durch das Kolorit wird Ab¬
wechslung geschaffen. In rotem Gewande bezeichnet er den Jonas, in blauem
den Michel, in grünem den Rechnen, in weißem den Habakuk. Eine jugendliche
Figur mit langen blonden Locken und einer Krone auf dem Haupte stellt die
verschiedensten Könige dar. Ein Mann, der auf einem gelben Throne vor einer
rosarot angestrichenen Mauer in einer grünen, bergigen Landschaft sitzt, ein Buch
in der rechten Hand hält und an die Brust drückt, vertritt den Apostel- und
Evangelistentypus. Er erscheint als Petrus, Paulus, Jnkobus, Johannes; als
Petrus trägt er ein rotes Gewand mit blauem Mantel, als Paulus ein blaues
mit rotem. Die Holzschnitte sehen etwa aus wie unsre heutigen Spielkarten,
die Figuren sind nur in den Umrißlinien dargestellt, alle darauf berechnet, illu-
minirt zu werden.

Schon besser sind die Werke, welche in dem benachbarten Ulm entstanden,
wo ebenfalls die Formschneidekunst ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Das früheste,
welches aus der Ofsiziu des dortigen Erstlingsdruckers, Ludwig Hvhenwang,
hervorging, ist freilich zur Charakteristik der Ulmer Schule nicht verwendbar.
Es ist die um 1470 gedruckte erste Ausgabe von des Flavius Vegetius Renatus
"Vier Büchern der Ritterschaft." Die 64 darin enthaltenen Holzschnitte, welche
verschiedne Belagerungswerkzeuge darstellen, sind nämlich keine in Ulm entstan¬
denen Origiualkompositivnen, sondern Kopien aus alten Handschriften. Die
ersten in der Stadt selbst entstandenen Illustrationen bringt der zweite Ulmer
Drucker Johannes Zainer, der ebenfalls 1470 seine Thätigkeit daselbst begann.
Sie finden sich in Boccaccios "Buch von den berühmten Frauen," das Zainer
1473 herausgab, und führen die bekanntesten Fromm der Weltgeschichte von
Eva bis zu der während der Prozession gebärenden Päpstin Johanna vor. Die
Zeichnungen sind geschickt, die Umrisse fein und gerundet, in den meisten Fällen
sind auch schon innerhalb der Figuren Schraffirungen versucht. Die Darstellung
der Gesichter ist soweit fortgeschritten, daß ein gewisser seelischer Ausdruck in
ihnen bemerkt wird. Die Landschaft ist zwar nicht häufig, aber, wo sie vor¬
kommt, fehlerlos.

Eine dritte Stadt, die schon in früher Zeit eine große Rolle als Druck-
ort spielte, ist Köln. Wann das erste illustrirte Buch daselbst entstand, ist
nicht genau zu bestimmen. Als eines der frühesten kann aber die Weltgeschichte
unter dem Titel I^seivulus tsmxonirn. gelten, welche der Kölner Karthäuser
Werner Rolevink hinterlassen hatte. Die Holzschnitte derselben gehören zu den
rohesten, welche erhalten sind, und zeigen namentlich, in welcher naiven Weise


Schaffung der Eva kvnunt dieselbe mittelalterliche Stadt mit ihren Mauern und
Thürmen vor. Im weitern Verlaufe wird die Verwendung der nämlichen Holz¬
stöcke für ähnliche Gegenstände in der ausgedehntesten Weise betrieben. Ein
alter Mann mit Turban und' langem Gewände, der in einem Zimmer an einem
Tische sitzt und die Hand in ein aufgeschlagenes Buch legt, muß für die ganze
Reihe der Propheten seine Dienste thun. Nur durch das Kolorit wird Ab¬
wechslung geschaffen. In rotem Gewande bezeichnet er den Jonas, in blauem
den Michel, in grünem den Rechnen, in weißem den Habakuk. Eine jugendliche
Figur mit langen blonden Locken und einer Krone auf dem Haupte stellt die
verschiedensten Könige dar. Ein Mann, der auf einem gelben Throne vor einer
rosarot angestrichenen Mauer in einer grünen, bergigen Landschaft sitzt, ein Buch
in der rechten Hand hält und an die Brust drückt, vertritt den Apostel- und
Evangelistentypus. Er erscheint als Petrus, Paulus, Jnkobus, Johannes; als
Petrus trägt er ein rotes Gewand mit blauem Mantel, als Paulus ein blaues
mit rotem. Die Holzschnitte sehen etwa aus wie unsre heutigen Spielkarten,
die Figuren sind nur in den Umrißlinien dargestellt, alle darauf berechnet, illu-
minirt zu werden.

Schon besser sind die Werke, welche in dem benachbarten Ulm entstanden,
wo ebenfalls die Formschneidekunst ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Das früheste,
welches aus der Ofsiziu des dortigen Erstlingsdruckers, Ludwig Hvhenwang,
hervorging, ist freilich zur Charakteristik der Ulmer Schule nicht verwendbar.
Es ist die um 1470 gedruckte erste Ausgabe von des Flavius Vegetius Renatus
„Vier Büchern der Ritterschaft." Die 64 darin enthaltenen Holzschnitte, welche
verschiedne Belagerungswerkzeuge darstellen, sind nämlich keine in Ulm entstan¬
denen Origiualkompositivnen, sondern Kopien aus alten Handschriften. Die
ersten in der Stadt selbst entstandenen Illustrationen bringt der zweite Ulmer
Drucker Johannes Zainer, der ebenfalls 1470 seine Thätigkeit daselbst begann.
Sie finden sich in Boccaccios „Buch von den berühmten Frauen," das Zainer
1473 herausgab, und führen die bekanntesten Fromm der Weltgeschichte von
Eva bis zu der während der Prozession gebärenden Päpstin Johanna vor. Die
Zeichnungen sind geschickt, die Umrisse fein und gerundet, in den meisten Fällen
sind auch schon innerhalb der Figuren Schraffirungen versucht. Die Darstellung
der Gesichter ist soweit fortgeschritten, daß ein gewisser seelischer Ausdruck in
ihnen bemerkt wird. Die Landschaft ist zwar nicht häufig, aber, wo sie vor¬
kommt, fehlerlos.

Eine dritte Stadt, die schon in früher Zeit eine große Rolle als Druck-
ort spielte, ist Köln. Wann das erste illustrirte Buch daselbst entstand, ist
nicht genau zu bestimmen. Als eines der frühesten kann aber die Weltgeschichte
unter dem Titel I^seivulus tsmxonirn. gelten, welche der Kölner Karthäuser
Werner Rolevink hinterlassen hatte. Die Holzschnitte derselben gehören zu den
rohesten, welche erhalten sind, und zeigen namentlich, in welcher naiven Weise


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[0141] Schaffung der Eva kvnunt dieselbe mittelalterliche Stadt mit ihren Mauern und Thürmen vor. Im weitern Verlaufe wird die Verwendung der nämlichen Holz¬ stöcke für ähnliche Gegenstände in der ausgedehntesten Weise betrieben. Ein alter Mann mit Turban und' langem Gewände, der in einem Zimmer an einem Tische sitzt und die Hand in ein aufgeschlagenes Buch legt, muß für die ganze Reihe der Propheten seine Dienste thun. Nur durch das Kolorit wird Ab¬ wechslung geschaffen. In rotem Gewande bezeichnet er den Jonas, in blauem den Michel, in grünem den Rechnen, in weißem den Habakuk. Eine jugendliche Figur mit langen blonden Locken und einer Krone auf dem Haupte stellt die verschiedensten Könige dar. Ein Mann, der auf einem gelben Throne vor einer rosarot angestrichenen Mauer in einer grünen, bergigen Landschaft sitzt, ein Buch in der rechten Hand hält und an die Brust drückt, vertritt den Apostel- und Evangelistentypus. Er erscheint als Petrus, Paulus, Jnkobus, Johannes; als Petrus trägt er ein rotes Gewand mit blauem Mantel, als Paulus ein blaues mit rotem. Die Holzschnitte sehen etwa aus wie unsre heutigen Spielkarten, die Figuren sind nur in den Umrißlinien dargestellt, alle darauf berechnet, illu- minirt zu werden. Schon besser sind die Werke, welche in dem benachbarten Ulm entstanden, wo ebenfalls die Formschneidekunst ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Das früheste, welches aus der Ofsiziu des dortigen Erstlingsdruckers, Ludwig Hvhenwang, hervorging, ist freilich zur Charakteristik der Ulmer Schule nicht verwendbar. Es ist die um 1470 gedruckte erste Ausgabe von des Flavius Vegetius Renatus „Vier Büchern der Ritterschaft." Die 64 darin enthaltenen Holzschnitte, welche verschiedne Belagerungswerkzeuge darstellen, sind nämlich keine in Ulm entstan¬ denen Origiualkompositivnen, sondern Kopien aus alten Handschriften. Die ersten in der Stadt selbst entstandenen Illustrationen bringt der zweite Ulmer Drucker Johannes Zainer, der ebenfalls 1470 seine Thätigkeit daselbst begann. Sie finden sich in Boccaccios „Buch von den berühmten Frauen," das Zainer 1473 herausgab, und führen die bekanntesten Fromm der Weltgeschichte von Eva bis zu der während der Prozession gebärenden Päpstin Johanna vor. Die Zeichnungen sind geschickt, die Umrisse fein und gerundet, in den meisten Fällen sind auch schon innerhalb der Figuren Schraffirungen versucht. Die Darstellung der Gesichter ist soweit fortgeschritten, daß ein gewisser seelischer Ausdruck in ihnen bemerkt wird. Die Landschaft ist zwar nicht häufig, aber, wo sie vor¬ kommt, fehlerlos. Eine dritte Stadt, die schon in früher Zeit eine große Rolle als Druck- ort spielte, ist Köln. Wann das erste illustrirte Buch daselbst entstand, ist nicht genau zu bestimmen. Als eines der frühesten kann aber die Weltgeschichte unter dem Titel I^seivulus tsmxonirn. gelten, welche der Kölner Karthäuser Werner Rolevink hinterlassen hatte. Die Holzschnitte derselben gehören zu den rohesten, welche erhalten sind, und zeigen namentlich, in welcher naiven Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/141>, abgerufen am 08.09.2024.