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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Holsteins weder ein Eigentumsrecht auf Schleswig-Holstein erworben ^wirklich
nicht? ach so, sie hatten das Land für den Augustcnburger und seine damaligen
Aliirten, die Berliner Demokraten, erobert^, noch das Recht, einseitig über die
politische Zukunft des Landes zu entscheiden. ^Das konnte einzig und allein
der Volkswille und -- der deutsche Bund!^ Kein Zugeständnis Österreichs, sei
es freiwillig gewährt oder durch Waffengewalt erzwungen, kann dem preußischen
Staate ein solches Anrecht erteilen. 3. Ein Krieg Preußens unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen wäre der Wohlfahrt Deutschlands ebenso sehr wie
dem Rechte zuwider. 4. Die Einigung des deutschen Vaterlandes, welche
zugleich die Lösung der Schleswig-holsteinischen Frage in sich schließt, ist auf
keinem andern Wege als dem der Freiheit zu erzielen. Bis die preußische
Regierung ihren deutschen Reformplan vorgelegt und durch die That bewiesen
hat, daß es ihr um Deutschlands Freiheit zu thun ist, hat die Volkspartei
nach wie vor ihre ganze Thätigkeit demi innern Verfassungskampfe zuzuwenden."

Von einem andern Standpunkte aus erklärte sich am 13. Mai eine Kölner
Volksversammlung gegen die Entscheidung durch die Waffen. "Die auf dem
Gürzenich versammelten Bürger aller Parteien Kölns öd. h. der liberalen und
klerikalen Parteien^ erklären: Angesichts der jammervollen Lage unsers Landes
und Volkes, angesichts der durch den drohenden Bürgerkrieg bevorstehenden ent¬
setzlichen Zukunft, angesichts der Möglichkeit, daß infolge eines solchen Krieges
die deutschen Rheinlande gewaltsam vom deutschen Vaterlande losgerissen werden
könnten, protestiren wir wiederholt gegen einen deutschen Bruderkrieg, der nach
Lage der Verhältnisse nur durch einen schleunigen und gründlichen Wechsel des
Regierungssystems in Preußen vermieden werden kann. Möchte der Notschrei
der jetzt schon unglücklichen Familien und der noch bedrohten Existenzen den
Weg zum Ohre des Königs finden."

Am 14. Mai ließ der Nationalverein seine Karthaunen donnern- Sein
Ausschuß in Berlin beschloß eine Ansprache an das deutsche Volk, die ganz
gewaltigen Klang hatte. "Eine eigenmächtige Kabinetspolitik, so erfuhr man
daraus, droht den unzweifelhaften Willen unsers Volkes zu überwältigen,
das Wohl und Wehe Deutschlands den Wechselfällen eines Krieges preiszu¬
geben, der nnr durch die höchsten Interessen der Nation als äußerstes Mittel
der Not gerechtfertigt werden könnte. Die Heere der beiden Großstaaten stehen
in voller Rüstung einander gegenüber, und die nächste Stunde kann den Aus¬
bruch eines Krieges bringen, dessen Beweggründe und Endziele in Dunkel gehüllt
werden, und dessen Verlauf unsägliches Unheil mit sich bringen wird, ja sogar
die Integrität Deutschlands gefährden kann. Das Wort und die Hand des
deutscheu Volkes ^des Nationalvereins, der Berliner Fortschrittler und einiger
hundert Zeituugsjuden^ hat sich bis jetzt zu schwach erwiesen, den erhobenen
Arm der Machthaber aufzuhalten; das Rechtsbewußtsein der Nation Senner
wieder die ebengenannten Herrschaften mit ihrem Größenwahns aber protestirt


Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Holsteins weder ein Eigentumsrecht auf Schleswig-Holstein erworben ^wirklich
nicht? ach so, sie hatten das Land für den Augustcnburger und seine damaligen
Aliirten, die Berliner Demokraten, erobert^, noch das Recht, einseitig über die
politische Zukunft des Landes zu entscheiden. ^Das konnte einzig und allein
der Volkswille und — der deutsche Bund!^ Kein Zugeständnis Österreichs, sei
es freiwillig gewährt oder durch Waffengewalt erzwungen, kann dem preußischen
Staate ein solches Anrecht erteilen. 3. Ein Krieg Preußens unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen wäre der Wohlfahrt Deutschlands ebenso sehr wie
dem Rechte zuwider. 4. Die Einigung des deutschen Vaterlandes, welche
zugleich die Lösung der Schleswig-holsteinischen Frage in sich schließt, ist auf
keinem andern Wege als dem der Freiheit zu erzielen. Bis die preußische
Regierung ihren deutschen Reformplan vorgelegt und durch die That bewiesen
hat, daß es ihr um Deutschlands Freiheit zu thun ist, hat die Volkspartei
nach wie vor ihre ganze Thätigkeit demi innern Verfassungskampfe zuzuwenden."

Von einem andern Standpunkte aus erklärte sich am 13. Mai eine Kölner
Volksversammlung gegen die Entscheidung durch die Waffen. „Die auf dem
Gürzenich versammelten Bürger aller Parteien Kölns öd. h. der liberalen und
klerikalen Parteien^ erklären: Angesichts der jammervollen Lage unsers Landes
und Volkes, angesichts der durch den drohenden Bürgerkrieg bevorstehenden ent¬
setzlichen Zukunft, angesichts der Möglichkeit, daß infolge eines solchen Krieges
die deutschen Rheinlande gewaltsam vom deutschen Vaterlande losgerissen werden
könnten, protestiren wir wiederholt gegen einen deutschen Bruderkrieg, der nach
Lage der Verhältnisse nur durch einen schleunigen und gründlichen Wechsel des
Regierungssystems in Preußen vermieden werden kann. Möchte der Notschrei
der jetzt schon unglücklichen Familien und der noch bedrohten Existenzen den
Weg zum Ohre des Königs finden."

Am 14. Mai ließ der Nationalverein seine Karthaunen donnern- Sein
Ausschuß in Berlin beschloß eine Ansprache an das deutsche Volk, die ganz
gewaltigen Klang hatte. „Eine eigenmächtige Kabinetspolitik, so erfuhr man
daraus, droht den unzweifelhaften Willen unsers Volkes zu überwältigen,
das Wohl und Wehe Deutschlands den Wechselfällen eines Krieges preiszu¬
geben, der nnr durch die höchsten Interessen der Nation als äußerstes Mittel
der Not gerechtfertigt werden könnte. Die Heere der beiden Großstaaten stehen
in voller Rüstung einander gegenüber, und die nächste Stunde kann den Aus¬
bruch eines Krieges bringen, dessen Beweggründe und Endziele in Dunkel gehüllt
werden, und dessen Verlauf unsägliches Unheil mit sich bringen wird, ja sogar
die Integrität Deutschlands gefährden kann. Das Wort und die Hand des
deutscheu Volkes ^des Nationalvereins, der Berliner Fortschrittler und einiger
hundert Zeituugsjuden^ hat sich bis jetzt zu schwach erwiesen, den erhobenen
Arm der Machthaber aufzuhalten; das Rechtsbewußtsein der Nation Senner
wieder die ebengenannten Herrschaften mit ihrem Größenwahns aber protestirt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/126>, abgerufen am 08.09.2024.