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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

krankhaften Zustand angenommen hat. . . Was machen Sie denn mit dieser
Großmachtsstellung? Sagt man Ihnen: Macht doch einmal große Politik, geht
doch einmal energisch vor, dann antworten Sie: Ja, das könnte europäische
Verwicklungen geben, da müssen wir zu Hause bleiben. Aber wenn die kleinen
deutschen Staate" etwa auf dem deutschen Bundestage einen Beschluß fassen
wollten, der im Sinne der Majorität der deutschen Nation wäre, dann sagt
Preußen: Wir als Großmacht sind nicht in der Lage, uns diesem Beschlusse zu
unterwerfen, wir werden uns nicht ^von den Partikularisten, deren Absichten
einmal den Demokraten in die Rechnung passen^ majorifiren lasse", nicht von
deu Kleinen -- aber von den Großen natürlich. Ich meine, Sie könnten uns
mit der Großmachtsangelegenheit zu Hause bleiben."

Bismarck machte nun große Politik, freilich nicht nach dem Rezept des
Herrn Professors, er ging energisch vor, er ließ sich auch vou den Großen nicht
majorifiren. Preußen eroberte gemeinschaftlich mit Österreich die Herzogtümer,
und Dänemark trat dieselben an die Sieger ab. Man hätte denken sollen, daß
dies den Fortschrittlern recht' gewesen wäre und ihnen den Mund geschlossen
hätte. Aber weit gefehlt: obwohl sie immer die Nationalgesiunten spielten, waren
sie doch weit mehr Demokraten, und so blieben sie bei ihrer Opposition, auch
durfte der verhaßte Junker Bismarck für Preußen nichts geleistet haben. Am
2. Juni 1865 hatte Virchow "aus dem Studium der Dokumente die Über¬
zeugung gewonnen, daß selten in einer großen Krisis ein leitender Staatsmann
solche Sprünge gemacht habe wie der Ministerpräsident, und daß, wenn es ihm
gelungen sei, ein gewiß großes und anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er,
der Herr Professor, nicht imstande sei, es als Verdienst desselben anzuerkennen,
sondern es für einen Zufall halte. Diese Schwankungen und Wendungen er¬
klären sich leicht," fuhr er fort. "So wie die äußern Verhältnisse etwas andre
wurden, machte auch die Staatsregierung ihre neuen Schwenkungen ^ganz und
gar selbstverständlich, also ein Lob, kein Vorwürfe Das Staatsschiff ging nicht
durch alle diese Wendungen geraden Weges hindurch, sondern wie der Wind ver¬
schieden blies, so ging auch das Schiff nach verschiedner Richtung."

Sehr hübsch lautete die Autwort des Ministers auf diese Absurditäten. Er
sagte: "Der Herr Vorredner hat uns vorgeworfen, wir hätten, je nachdem der
Wind gewechselt hätte, auch das Steuerruder gedreht. Nun frage ich: Was soll
man denn, wenn man zu Schiffe fährt, andres thun, als das Ruder nach dem
Winde drehen, wenn man nicht selbst Wind machen will? Das überlassen wir
andern."

Am 13. Juni ließ der Abgeordnete Duncker, damals ein großes Licht der
Fortschrittspartei, ein Geständnis vom Stapel, welches wieder mit einer Weis¬
sagung endigte. "Wir wollen, daß ohne uns keine Geschichte gemacht
wird, das heißt, wir wollen, daß ohne die freie Zustimmung des Volkes die
Geschicke des Vaterlandes nicht geleitet werden, und wenn uns ^der Firma


Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

krankhaften Zustand angenommen hat. . . Was machen Sie denn mit dieser
Großmachtsstellung? Sagt man Ihnen: Macht doch einmal große Politik, geht
doch einmal energisch vor, dann antworten Sie: Ja, das könnte europäische
Verwicklungen geben, da müssen wir zu Hause bleiben. Aber wenn die kleinen
deutschen Staate» etwa auf dem deutschen Bundestage einen Beschluß fassen
wollten, der im Sinne der Majorität der deutschen Nation wäre, dann sagt
Preußen: Wir als Großmacht sind nicht in der Lage, uns diesem Beschlusse zu
unterwerfen, wir werden uns nicht ^von den Partikularisten, deren Absichten
einmal den Demokraten in die Rechnung passen^ majorifiren lasse», nicht von
deu Kleinen — aber von den Großen natürlich. Ich meine, Sie könnten uns
mit der Großmachtsangelegenheit zu Hause bleiben."

Bismarck machte nun große Politik, freilich nicht nach dem Rezept des
Herrn Professors, er ging energisch vor, er ließ sich auch vou den Großen nicht
majorifiren. Preußen eroberte gemeinschaftlich mit Österreich die Herzogtümer,
und Dänemark trat dieselben an die Sieger ab. Man hätte denken sollen, daß
dies den Fortschrittlern recht' gewesen wäre und ihnen den Mund geschlossen
hätte. Aber weit gefehlt: obwohl sie immer die Nationalgesiunten spielten, waren
sie doch weit mehr Demokraten, und so blieben sie bei ihrer Opposition, auch
durfte der verhaßte Junker Bismarck für Preußen nichts geleistet haben. Am
2. Juni 1865 hatte Virchow „aus dem Studium der Dokumente die Über¬
zeugung gewonnen, daß selten in einer großen Krisis ein leitender Staatsmann
solche Sprünge gemacht habe wie der Ministerpräsident, und daß, wenn es ihm
gelungen sei, ein gewiß großes und anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er,
der Herr Professor, nicht imstande sei, es als Verdienst desselben anzuerkennen,
sondern es für einen Zufall halte. Diese Schwankungen und Wendungen er¬
klären sich leicht," fuhr er fort. „So wie die äußern Verhältnisse etwas andre
wurden, machte auch die Staatsregierung ihre neuen Schwenkungen ^ganz und
gar selbstverständlich, also ein Lob, kein Vorwürfe Das Staatsschiff ging nicht
durch alle diese Wendungen geraden Weges hindurch, sondern wie der Wind ver¬
schieden blies, so ging auch das Schiff nach verschiedner Richtung."

Sehr hübsch lautete die Autwort des Ministers auf diese Absurditäten. Er
sagte: „Der Herr Vorredner hat uns vorgeworfen, wir hätten, je nachdem der
Wind gewechselt hätte, auch das Steuerruder gedreht. Nun frage ich: Was soll
man denn, wenn man zu Schiffe fährt, andres thun, als das Ruder nach dem
Winde drehen, wenn man nicht selbst Wind machen will? Das überlassen wir
andern."

Am 13. Juni ließ der Abgeordnete Duncker, damals ein großes Licht der
Fortschrittspartei, ein Geständnis vom Stapel, welches wieder mit einer Weis¬
sagung endigte. „Wir wollen, daß ohne uns keine Geschichte gemacht
wird, das heißt, wir wollen, daß ohne die freie Zustimmung des Volkes die
Geschicke des Vaterlandes nicht geleitet werden, und wenn uns ^der Firma


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[0124] Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei. krankhaften Zustand angenommen hat. . . Was machen Sie denn mit dieser Großmachtsstellung? Sagt man Ihnen: Macht doch einmal große Politik, geht doch einmal energisch vor, dann antworten Sie: Ja, das könnte europäische Verwicklungen geben, da müssen wir zu Hause bleiben. Aber wenn die kleinen deutschen Staate» etwa auf dem deutschen Bundestage einen Beschluß fassen wollten, der im Sinne der Majorität der deutschen Nation wäre, dann sagt Preußen: Wir als Großmacht sind nicht in der Lage, uns diesem Beschlusse zu unterwerfen, wir werden uns nicht ^von den Partikularisten, deren Absichten einmal den Demokraten in die Rechnung passen^ majorifiren lasse», nicht von deu Kleinen — aber von den Großen natürlich. Ich meine, Sie könnten uns mit der Großmachtsangelegenheit zu Hause bleiben." Bismarck machte nun große Politik, freilich nicht nach dem Rezept des Herrn Professors, er ging energisch vor, er ließ sich auch vou den Großen nicht majorifiren. Preußen eroberte gemeinschaftlich mit Österreich die Herzogtümer, und Dänemark trat dieselben an die Sieger ab. Man hätte denken sollen, daß dies den Fortschrittlern recht' gewesen wäre und ihnen den Mund geschlossen hätte. Aber weit gefehlt: obwohl sie immer die Nationalgesiunten spielten, waren sie doch weit mehr Demokraten, und so blieben sie bei ihrer Opposition, auch durfte der verhaßte Junker Bismarck für Preußen nichts geleistet haben. Am 2. Juni 1865 hatte Virchow „aus dem Studium der Dokumente die Über¬ zeugung gewonnen, daß selten in einer großen Krisis ein leitender Staatsmann solche Sprünge gemacht habe wie der Ministerpräsident, und daß, wenn es ihm gelungen sei, ein gewiß großes und anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er, der Herr Professor, nicht imstande sei, es als Verdienst desselben anzuerkennen, sondern es für einen Zufall halte. Diese Schwankungen und Wendungen er¬ klären sich leicht," fuhr er fort. „So wie die äußern Verhältnisse etwas andre wurden, machte auch die Staatsregierung ihre neuen Schwenkungen ^ganz und gar selbstverständlich, also ein Lob, kein Vorwürfe Das Staatsschiff ging nicht durch alle diese Wendungen geraden Weges hindurch, sondern wie der Wind ver¬ schieden blies, so ging auch das Schiff nach verschiedner Richtung." Sehr hübsch lautete die Autwort des Ministers auf diese Absurditäten. Er sagte: „Der Herr Vorredner hat uns vorgeworfen, wir hätten, je nachdem der Wind gewechselt hätte, auch das Steuerruder gedreht. Nun frage ich: Was soll man denn, wenn man zu Schiffe fährt, andres thun, als das Ruder nach dem Winde drehen, wenn man nicht selbst Wind machen will? Das überlassen wir andern." Am 13. Juni ließ der Abgeordnete Duncker, damals ein großes Licht der Fortschrittspartei, ein Geständnis vom Stapel, welches wieder mit einer Weis¬ sagung endigte. „Wir wollen, daß ohne uns keine Geschichte gemacht wird, das heißt, wir wollen, daß ohne die freie Zustimmung des Volkes die Geschicke des Vaterlandes nicht geleitet werden, und wenn uns ^der Firma

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/124>, abgerufen am 08.09.2024.