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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zum Raffael-Jubiläum.

liegt, welcher der Sage von der Geliebten des Meisters eine handgreifliche Basis
schaffen wollte. Noch entschiedener und mit noch größerer Schärfe hat sich
später, im "Repertorium für Kunstwissenschaft" (1882), Lermolieff-Morelli
ausgesprochen, dessen feine, ja raffinirte Kennerschaft selbst von denen nicht
geleugnet werden kaun, welchen sein mit der Miene des gutmütigen Spötters
gepaartes revolutionäres Auftreten Mißvergnügen bereitet hat. "Ein gröberes
Unrecht, sagt er, dürfte wahrlich Raffael kaum zugefügt werden, als ihm diese
häßliche, wie eine lüderliche Dirn dreinschauende Fornarina auf den Hals zu
laden. Schon die Form und Fingerstellnng der einen Hand ist so uurasfaelisch,
das blaue Armband mit dem Namen so abgeschmackt, daß es mich stets gewundert,
wie sonst so feine Kenner an diesem garstigen Bildnis keine" Anstoß genommen
haben. Ein Schüler Raffaels -- vielleicht Giulio Romano selbst -- dürfte
vielleicht, nach einer Aktzeichnung des Meisters, dies Porträt verfertigt haben --
der göttliche Sanzio jedoch nie und nimmermehr." Wir haben hier eine
Reihe von Urteilen, welche gewissermaßen die aufwärtsführenden Stufen unsrer
fortschreitenden Erkenntnis bilden, zugleich aber auch eine Probe von dem Ge¬
strüpp, welches uns den Weg zu dem reinen, unverfälschten Bilde des Meisters
erschwert.

Wie sich die Fornarina selbst als die Erfindung eines späteren Jahr¬
hunderts herausgestellt hat, so hat auch das Bild, welches ihre Züge überliefert
habe" soll, vor der ersten ernsthaften Kritik nicht Stich gehalten. Wir haben
demnach das Resultat gewonnen, daß die Fornaria aus der Biographie,
ihr Bildnis aus dem Werke des Meisters zu streichen ist.*)

Soll nun die sogenannte "Donna velata" im Palazzo Pitti in Florenz im
historischen und im künstlerischen Sinne an ihre Stelle treten? Wenn wir in
Bezug auf dieses Bildnis dieselben Autoritäten der Kunstwissenschaft zu Rate
ziehen, welche uns eine befriedigende Aufklärung über die Fornarina gegeben
haben, so ergiebt sich merkwürdigerweise ein umgekehrtes Verhältnis. Während
Springer, Thausing und Morelli sich unbedingt und mit Enthusiasmus für
die Echtheit und die eigenhändige Ausführung des Gemäldes durch Raffael
aussprechen, sagt die vierte Auflage des "Cicerone" ganz kühl, das Porträt
sei "eine spätere, wohl bolognesische Arbeit, vielleicht nach einem Originale von
Raffael." In der dritten Auflage des "Cicerone" war dagegen die Ansicht
Müudlers, eines auch nicht ganz unverüchtlichen Kenners, aufgenommen worden,
welcher sein Urtheil dahin resümirte: "Das Porträt ist mir ein unzweifel¬
haftes, wohl erhaltenes Original von unerreichbaren Adel der Züge; sicher das
Vorbild der Magdalena in der heiligen Ccieilia (in Bologna), der sixtinische"



*) Wir setzen dabei als bekannt voraus, daß die übrigen, unter dem Namen der
Fornarina in Florenz und anderswo befindlichen Bildnisse nunmehr endgiltig als Arbeiten
des Sebastians del Piombo festgestellt worden sind-
Zum Raffael-Jubiläum.

liegt, welcher der Sage von der Geliebten des Meisters eine handgreifliche Basis
schaffen wollte. Noch entschiedener und mit noch größerer Schärfe hat sich
später, im „Repertorium für Kunstwissenschaft" (1882), Lermolieff-Morelli
ausgesprochen, dessen feine, ja raffinirte Kennerschaft selbst von denen nicht
geleugnet werden kaun, welchen sein mit der Miene des gutmütigen Spötters
gepaartes revolutionäres Auftreten Mißvergnügen bereitet hat. „Ein gröberes
Unrecht, sagt er, dürfte wahrlich Raffael kaum zugefügt werden, als ihm diese
häßliche, wie eine lüderliche Dirn dreinschauende Fornarina auf den Hals zu
laden. Schon die Form und Fingerstellnng der einen Hand ist so uurasfaelisch,
das blaue Armband mit dem Namen so abgeschmackt, daß es mich stets gewundert,
wie sonst so feine Kenner an diesem garstigen Bildnis keine» Anstoß genommen
haben. Ein Schüler Raffaels — vielleicht Giulio Romano selbst — dürfte
vielleicht, nach einer Aktzeichnung des Meisters, dies Porträt verfertigt haben —
der göttliche Sanzio jedoch nie und nimmermehr." Wir haben hier eine
Reihe von Urteilen, welche gewissermaßen die aufwärtsführenden Stufen unsrer
fortschreitenden Erkenntnis bilden, zugleich aber auch eine Probe von dem Ge¬
strüpp, welches uns den Weg zu dem reinen, unverfälschten Bilde des Meisters
erschwert.

Wie sich die Fornarina selbst als die Erfindung eines späteren Jahr¬
hunderts herausgestellt hat, so hat auch das Bild, welches ihre Züge überliefert
habe» soll, vor der ersten ernsthaften Kritik nicht Stich gehalten. Wir haben
demnach das Resultat gewonnen, daß die Fornaria aus der Biographie,
ihr Bildnis aus dem Werke des Meisters zu streichen ist.*)

Soll nun die sogenannte „Donna velata" im Palazzo Pitti in Florenz im
historischen und im künstlerischen Sinne an ihre Stelle treten? Wenn wir in
Bezug auf dieses Bildnis dieselben Autoritäten der Kunstwissenschaft zu Rate
ziehen, welche uns eine befriedigende Aufklärung über die Fornarina gegeben
haben, so ergiebt sich merkwürdigerweise ein umgekehrtes Verhältnis. Während
Springer, Thausing und Morelli sich unbedingt und mit Enthusiasmus für
die Echtheit und die eigenhändige Ausführung des Gemäldes durch Raffael
aussprechen, sagt die vierte Auflage des „Cicerone" ganz kühl, das Porträt
sei „eine spätere, wohl bolognesische Arbeit, vielleicht nach einem Originale von
Raffael." In der dritten Auflage des „Cicerone" war dagegen die Ansicht
Müudlers, eines auch nicht ganz unverüchtlichen Kenners, aufgenommen worden,
welcher sein Urtheil dahin resümirte: „Das Porträt ist mir ein unzweifel¬
haftes, wohl erhaltenes Original von unerreichbaren Adel der Züge; sicher das
Vorbild der Magdalena in der heiligen Ccieilia (in Bologna), der sixtinische»



*) Wir setzen dabei als bekannt voraus, daß die übrigen, unter dem Namen der
Fornarina in Florenz und anderswo befindlichen Bildnisse nunmehr endgiltig als Arbeiten
des Sebastians del Piombo festgestellt worden sind-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/85>, abgerufen am 03.07.2024.