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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die fianzösische Rolonmlpolitik und Gngland.

Nun hat England freilich in solchen Dingen ebenfalls Werch am Röcken.
Es hat Kriege in Menge nur zu dem Zwecke geführt, um seinen Kaufleuten
und Fabrikanten neue Märkte zu öffnen. Diese Kriege hatten durchaus nichts
nobles an sich, aber immerhin insofern eine gewisse Entschuldigung, als ihre
Opfer durch Gewinn für die ganze Nation aufgewogen wurden, daß das ent¬
fernteste Dorf die Wirkung der Vorteile empfand, welche großen Handelszentren
zuteil geworden waren. Wenn die französische Industrie, der französische Handel
durch die ihnen mit dem Schwerte geöffneten neuen Ausfuhrländer bedeutend
gewännen, so würde sich ein Seitenstück zu den englischen Annexionen jenseits
der Meere entwickeln. Daran ist aber kaum zu denken. Was diese Annexion
betrifft, so ist der Gang der Dinge folgender. Erst lassen sich in dem betreffen¬
den Lande Kaufleute nieder, und erst nach Jahren voll rühriger Arbeit, voll
Opfer, voll Intriguen verlangen sie, daß die Nationalflagge die Geschäfte decke,
welche sie allein und ungefördert von ihrer Regierung geschaffen und ausge¬
bildet haben. So entstand das angloindische Reich, und so erwarb eine Gesell¬
schaft Rechte im nördlichen Borneo, bevor man sich an die Regierung daheim
wendete. Die Franzosen machen es umgekehrt: sie pflanzen zuerst ihre Trikolore
auf und hoffen dann, daß die Kaufleute ihr folgen werden. Aber diese Er¬
wartung erfüllt sich selten und niemals genügend. Die französischen Kaufleute
und Rheder betreten selten den Weg, den ihnen die französischen Soldaten und
Seeleute gebahnt haben. Diese Pioniere haben dann in der Regel mehr für
englische, deutsche und holländische Unternehmer gearbeitet als für ihre Lands¬
leute.

Trotzdem lebt der alte Traum von Dupleix immer wieder auf. Die Fran¬
zosen ziehen für eine Idee in den Krieg, für die Idee eines großen Reiches im
fernen Osten. Wie einst in Indien, soll es jetzt in einem andern Teile Süd¬
asiens gegründet werden. Südasien zerfällt bekanntlich in zwei große Halbinseln,
die jede ein unregelmäßiges Dreieck bilden. Die westliche ist das jetzt den Eng¬
ländern gehörige Indien, die östliche, von der Geographie Hinterindien genannt,
könnte auch Chinesisch-Indien heißen. In jener kämpften Frankreich und Eng¬
land im ganzen vorigen Jahrhundert um die politische und kommerzielle Herr¬
schaft. Jetzt sieht es aus, als sollte diese Rivalität auf die andre große Halb¬
insel übertragen werden. Die Engländer haben durch Eroberung eines Teils
von Birma auf der Westküste dieses ausgedehnten Gebietes festen Fuß gefaßt,
die Franzosen sich in einer Ecke des Südens, in Kochinchina, eingenistet. Von
diesem Punkte aus hätten sie Siam beeinflussen können, wie die Engländer das
unabhängig gebliebene Stück von Birma beeinflussen, wenn der Mekong so schiff¬
bar gewesen wäre wie der Jrawaddy. Da dies nicht der Fall war, machte sich
der französische Unternehmungsgeist an Tonkin, die Nordostecke Chinesisch-Jndiens.
Hier fanden sie einen großen Strom, der das Land bis zur chinesischen Pro¬
vinz Junnan durchschneidet, und hier hofften sie den Verkehr mit dem himmlischen


Die fianzösische Rolonmlpolitik und Gngland.

Nun hat England freilich in solchen Dingen ebenfalls Werch am Röcken.
Es hat Kriege in Menge nur zu dem Zwecke geführt, um seinen Kaufleuten
und Fabrikanten neue Märkte zu öffnen. Diese Kriege hatten durchaus nichts
nobles an sich, aber immerhin insofern eine gewisse Entschuldigung, als ihre
Opfer durch Gewinn für die ganze Nation aufgewogen wurden, daß das ent¬
fernteste Dorf die Wirkung der Vorteile empfand, welche großen Handelszentren
zuteil geworden waren. Wenn die französische Industrie, der französische Handel
durch die ihnen mit dem Schwerte geöffneten neuen Ausfuhrländer bedeutend
gewännen, so würde sich ein Seitenstück zu den englischen Annexionen jenseits
der Meere entwickeln. Daran ist aber kaum zu denken. Was diese Annexion
betrifft, so ist der Gang der Dinge folgender. Erst lassen sich in dem betreffen¬
den Lande Kaufleute nieder, und erst nach Jahren voll rühriger Arbeit, voll
Opfer, voll Intriguen verlangen sie, daß die Nationalflagge die Geschäfte decke,
welche sie allein und ungefördert von ihrer Regierung geschaffen und ausge¬
bildet haben. So entstand das angloindische Reich, und so erwarb eine Gesell¬
schaft Rechte im nördlichen Borneo, bevor man sich an die Regierung daheim
wendete. Die Franzosen machen es umgekehrt: sie pflanzen zuerst ihre Trikolore
auf und hoffen dann, daß die Kaufleute ihr folgen werden. Aber diese Er¬
wartung erfüllt sich selten und niemals genügend. Die französischen Kaufleute
und Rheder betreten selten den Weg, den ihnen die französischen Soldaten und
Seeleute gebahnt haben. Diese Pioniere haben dann in der Regel mehr für
englische, deutsche und holländische Unternehmer gearbeitet als für ihre Lands¬
leute.

Trotzdem lebt der alte Traum von Dupleix immer wieder auf. Die Fran¬
zosen ziehen für eine Idee in den Krieg, für die Idee eines großen Reiches im
fernen Osten. Wie einst in Indien, soll es jetzt in einem andern Teile Süd¬
asiens gegründet werden. Südasien zerfällt bekanntlich in zwei große Halbinseln,
die jede ein unregelmäßiges Dreieck bilden. Die westliche ist das jetzt den Eng¬
ländern gehörige Indien, die östliche, von der Geographie Hinterindien genannt,
könnte auch Chinesisch-Indien heißen. In jener kämpften Frankreich und Eng¬
land im ganzen vorigen Jahrhundert um die politische und kommerzielle Herr¬
schaft. Jetzt sieht es aus, als sollte diese Rivalität auf die andre große Halb¬
insel übertragen werden. Die Engländer haben durch Eroberung eines Teils
von Birma auf der Westküste dieses ausgedehnten Gebietes festen Fuß gefaßt,
die Franzosen sich in einer Ecke des Südens, in Kochinchina, eingenistet. Von
diesem Punkte aus hätten sie Siam beeinflussen können, wie die Engländer das
unabhängig gebliebene Stück von Birma beeinflussen, wenn der Mekong so schiff¬
bar gewesen wäre wie der Jrawaddy. Da dies nicht der Fall war, machte sich
der französische Unternehmungsgeist an Tonkin, die Nordostecke Chinesisch-Jndiens.
Hier fanden sie einen großen Strom, der das Land bis zur chinesischen Pro¬
vinz Junnan durchschneidet, und hier hofften sie den Verkehr mit dem himmlischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/675>, abgerufen am 01.10.2024.