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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Über alles aber liebte die Menge die Spiele in der Arena. Sie wurden
durch Anzeigen, die wir noch heute auf den Mauern lesen können, zur öffent¬
lichen Kenntnis gebracht. Diese Anzeigen geben das genaue Programm der
Vorstellung; sie teilen uns mit, ob außer der Hauptsache, dem Auftreten der
Gladiatoren, zur Vervollständigung des Schauspiels auch noch Athletenkämpfe
und "Jagden" (Tierhetzen) stattfinden; sie vergessen auch nicht anzugeben, daß
in der Arena gesprengt und daß für die, welche die Sonne fürchten, Tücher
über das ganze Amphitheater ausgespannt werden sollen: vöiiatio, ailllöt^ö,
sparsionss, vslg. srunt. Sie setzen den Tag für das Schauspiel fest; manch¬
mal wird vorgesehen, daß dasselbe wegen schlechten Wetters verschoben werden
darf (Mg, äiss xMstur), manchmal aber heißt es zur großen Freude der leiden¬
schaftlichen Liebhaber, daß keinesfalls Aufschub stattfinden und man bei jedem
Wetter kämpfen wird- (Aus rut-z. "Marions). Wollen wir uns diese großen
Menschen- und Thiermetzeleien vorstellen, so ist uns das leicht genug gemacht.
Wir brauchen nur auf die Basreliefs des Scaurus-Gades, auf denen sie treu
dargestellt sind, einen Blick zu werfen. Wir sehen hier Jäger im Kampfe mit
Tigern; sie bedienen sich dabei des Mantels und des Schwertes gerade wie
die heutigen Toreadoren. Wir sehen ferner Gladiatoren jeder Gattung, Mir-
millonen, Thraker und Netzkämpfer, im Handgemenge mit einander. Alle Epi¬
soden des Kampfes sind dargestellt: kraftvoll und ungestüm spielen sich Angriff
und Abwehr vor unsern Augen ab; der Besiegte hebt einen Finger in die Höhe
und fleht so um das Mitleid der Zuschauer; weigern sich diese, ihn zu be¬
gnadigen, so versetzt ihm der Sieger den Todesstoß.

Diese schrecklichen Szenen waren die liebste Unterhaltung der Bewohner
von Pompeji. Die Ehrgeizigen, die sich um ihre Gunst bemühten, wußten dies
sehr wohl. Kein besseres Mittel kannten die Beamten, die sich um einen Posten
bewarben oder einen solchen bekleideten, das Wohlwollen des Volkes zu gewinnen
oder ihm dafür zu danken, als die Veranstaltung eines Gladiatorenkampfes.
Einer von ihnen, der Duumvir Clodius Flaccus, noch erkenntlicher als seine
Kollegen, ließ in einer einzigen Vorstellung fünfunddreißig Fechterpaare kämpfen.
Der Name Pompeji begegnet uns nicht oft in der Geschichte. Tacitus spricht
nur einmal von diesem Städtchen, und dies einemal ist gerade von einem
Schauspiel dieser Art die Rede. Er erzählt, bei einem dieser Kämpfe, die
natürlich die Herzen nicht eben zur Sanftmut stimmten, seien die Einwohner
von Nuceria und die Pompejaner, bei denen das Fest stattfand, mit einander
in Streit geraten; zuerst hätten sie sich gegenseitig beschimpft, schließlich aber
sei man handgemein geworden und eine sehr große Anzahl von Nucerinern sei
tot auf dem Platze geblieben. Der Senat in Rom bestrafte die Schuldigen
und befahl, daß diese Kämpfe zehn Jahre hindurch in Pompeji untersagt sein
sollten.*) Man hätte die Pompejaner kaum empfindlicher züchtigen können.



") Tacitus, ^.un. XII, 17.

Über alles aber liebte die Menge die Spiele in der Arena. Sie wurden
durch Anzeigen, die wir noch heute auf den Mauern lesen können, zur öffent¬
lichen Kenntnis gebracht. Diese Anzeigen geben das genaue Programm der
Vorstellung; sie teilen uns mit, ob außer der Hauptsache, dem Auftreten der
Gladiatoren, zur Vervollständigung des Schauspiels auch noch Athletenkämpfe
und „Jagden" (Tierhetzen) stattfinden; sie vergessen auch nicht anzugeben, daß
in der Arena gesprengt und daß für die, welche die Sonne fürchten, Tücher
über das ganze Amphitheater ausgespannt werden sollen: vöiiatio, ailllöt^ö,
sparsionss, vslg. srunt. Sie setzen den Tag für das Schauspiel fest; manch¬
mal wird vorgesehen, daß dasselbe wegen schlechten Wetters verschoben werden
darf (Mg, äiss xMstur), manchmal aber heißt es zur großen Freude der leiden¬
schaftlichen Liebhaber, daß keinesfalls Aufschub stattfinden und man bei jedem
Wetter kämpfen wird- (Aus rut-z. «Marions). Wollen wir uns diese großen
Menschen- und Thiermetzeleien vorstellen, so ist uns das leicht genug gemacht.
Wir brauchen nur auf die Basreliefs des Scaurus-Gades, auf denen sie treu
dargestellt sind, einen Blick zu werfen. Wir sehen hier Jäger im Kampfe mit
Tigern; sie bedienen sich dabei des Mantels und des Schwertes gerade wie
die heutigen Toreadoren. Wir sehen ferner Gladiatoren jeder Gattung, Mir-
millonen, Thraker und Netzkämpfer, im Handgemenge mit einander. Alle Epi¬
soden des Kampfes sind dargestellt: kraftvoll und ungestüm spielen sich Angriff
und Abwehr vor unsern Augen ab; der Besiegte hebt einen Finger in die Höhe
und fleht so um das Mitleid der Zuschauer; weigern sich diese, ihn zu be¬
gnadigen, so versetzt ihm der Sieger den Todesstoß.

Diese schrecklichen Szenen waren die liebste Unterhaltung der Bewohner
von Pompeji. Die Ehrgeizigen, die sich um ihre Gunst bemühten, wußten dies
sehr wohl. Kein besseres Mittel kannten die Beamten, die sich um einen Posten
bewarben oder einen solchen bekleideten, das Wohlwollen des Volkes zu gewinnen
oder ihm dafür zu danken, als die Veranstaltung eines Gladiatorenkampfes.
Einer von ihnen, der Duumvir Clodius Flaccus, noch erkenntlicher als seine
Kollegen, ließ in einer einzigen Vorstellung fünfunddreißig Fechterpaare kämpfen.
Der Name Pompeji begegnet uns nicht oft in der Geschichte. Tacitus spricht
nur einmal von diesem Städtchen, und dies einemal ist gerade von einem
Schauspiel dieser Art die Rede. Er erzählt, bei einem dieser Kämpfe, die
natürlich die Herzen nicht eben zur Sanftmut stimmten, seien die Einwohner
von Nuceria und die Pompejaner, bei denen das Fest stattfand, mit einander
in Streit geraten; zuerst hätten sie sich gegenseitig beschimpft, schließlich aber
sei man handgemein geworden und eine sehr große Anzahl von Nucerinern sei
tot auf dem Platze geblieben. Der Senat in Rom bestrafte die Schuldigen
und befahl, daß diese Kämpfe zehn Jahre hindurch in Pompeji untersagt sein
sollten.*) Man hätte die Pompejaner kaum empfindlicher züchtigen können.



») Tacitus, ^.un. XII, 17.
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[0608] Über alles aber liebte die Menge die Spiele in der Arena. Sie wurden durch Anzeigen, die wir noch heute auf den Mauern lesen können, zur öffent¬ lichen Kenntnis gebracht. Diese Anzeigen geben das genaue Programm der Vorstellung; sie teilen uns mit, ob außer der Hauptsache, dem Auftreten der Gladiatoren, zur Vervollständigung des Schauspiels auch noch Athletenkämpfe und „Jagden" (Tierhetzen) stattfinden; sie vergessen auch nicht anzugeben, daß in der Arena gesprengt und daß für die, welche die Sonne fürchten, Tücher über das ganze Amphitheater ausgespannt werden sollen: vöiiatio, ailllöt^ö, sparsionss, vslg. srunt. Sie setzen den Tag für das Schauspiel fest; manch¬ mal wird vorgesehen, daß dasselbe wegen schlechten Wetters verschoben werden darf (Mg, äiss xMstur), manchmal aber heißt es zur großen Freude der leiden¬ schaftlichen Liebhaber, daß keinesfalls Aufschub stattfinden und man bei jedem Wetter kämpfen wird- (Aus rut-z. «Marions). Wollen wir uns diese großen Menschen- und Thiermetzeleien vorstellen, so ist uns das leicht genug gemacht. Wir brauchen nur auf die Basreliefs des Scaurus-Gades, auf denen sie treu dargestellt sind, einen Blick zu werfen. Wir sehen hier Jäger im Kampfe mit Tigern; sie bedienen sich dabei des Mantels und des Schwertes gerade wie die heutigen Toreadoren. Wir sehen ferner Gladiatoren jeder Gattung, Mir- millonen, Thraker und Netzkämpfer, im Handgemenge mit einander. Alle Epi¬ soden des Kampfes sind dargestellt: kraftvoll und ungestüm spielen sich Angriff und Abwehr vor unsern Augen ab; der Besiegte hebt einen Finger in die Höhe und fleht so um das Mitleid der Zuschauer; weigern sich diese, ihn zu be¬ gnadigen, so versetzt ihm der Sieger den Todesstoß. Diese schrecklichen Szenen waren die liebste Unterhaltung der Bewohner von Pompeji. Die Ehrgeizigen, die sich um ihre Gunst bemühten, wußten dies sehr wohl. Kein besseres Mittel kannten die Beamten, die sich um einen Posten bewarben oder einen solchen bekleideten, das Wohlwollen des Volkes zu gewinnen oder ihm dafür zu danken, als die Veranstaltung eines Gladiatorenkampfes. Einer von ihnen, der Duumvir Clodius Flaccus, noch erkenntlicher als seine Kollegen, ließ in einer einzigen Vorstellung fünfunddreißig Fechterpaare kämpfen. Der Name Pompeji begegnet uns nicht oft in der Geschichte. Tacitus spricht nur einmal von diesem Städtchen, und dies einemal ist gerade von einem Schauspiel dieser Art die Rede. Er erzählt, bei einem dieser Kämpfe, die natürlich die Herzen nicht eben zur Sanftmut stimmten, seien die Einwohner von Nuceria und die Pompejaner, bei denen das Fest stattfand, mit einander in Streit geraten; zuerst hätten sie sich gegenseitig beschimpft, schließlich aber sei man handgemein geworden und eine sehr große Anzahl von Nucerinern sei tot auf dem Platze geblieben. Der Senat in Rom bestrafte die Schuldigen und befahl, daß diese Kämpfe zehn Jahre hindurch in Pompeji untersagt sein sollten.*) Man hätte die Pompejaner kaum empfindlicher züchtigen können. ») Tacitus, ^.un. XII, 17.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/608>, abgerufen am 03.07.2024.