Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.Die Grafen von Altenschwerdt. denn er war heute in der That nicht zu fernern Auseinandersetzungen aufgelegt, In diesem Gedanken wurde sie noch bestärkt, als sie die Wahrnehmung Sobald die Gestalten, denen ihr haßerfüllter Blick folgte, im Dunkel ver¬ Sie that, als habe sie dies nicht gesehen, unterdrückte den Tadel wegen seines Das kann ich thun, sagte er, aber wozu denn? Gräfin Sibylle setzte sich zu ihm auf den Rand des Bettes und sah ihn Du wünschtest doch selbst, mein liebes Kind, sagte sie, daß ich mit dem Ach ja, Mamachen, ich füge mich ja, erwiederte er. Ich fiige mich wie ein Aber mein guter Junge, welch ein gottloser Vergleich ist dies! sagte sie, Du weißt, liebe Mama, sagte er seufzend, an sich ist nichts angenehm oder Dietrich! Dietrich! entgegnete sie kopfschüttelnd, welch thörichte Grillen! Die Grafen von Altenschwerdt. denn er war heute in der That nicht zu fernern Auseinandersetzungen aufgelegt, In diesem Gedanken wurde sie noch bestärkt, als sie die Wahrnehmung Sobald die Gestalten, denen ihr haßerfüllter Blick folgte, im Dunkel ver¬ Sie that, als habe sie dies nicht gesehen, unterdrückte den Tadel wegen seines Das kann ich thun, sagte er, aber wozu denn? Gräfin Sibylle setzte sich zu ihm auf den Rand des Bettes und sah ihn Du wünschtest doch selbst, mein liebes Kind, sagte sie, daß ich mit dem Ach ja, Mamachen, ich füge mich ja, erwiederte er. Ich fiige mich wie ein Aber mein guter Junge, welch ein gottloser Vergleich ist dies! sagte sie, Du weißt, liebe Mama, sagte er seufzend, an sich ist nichts angenehm oder Dietrich! Dietrich! entgegnete sie kopfschüttelnd, welch thörichte Grillen! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153327"/> <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2234" prev="#ID_2233"> denn er war heute in der That nicht zu fernern Auseinandersetzungen aufgelegt,<lb/> aber es war die Schonung seiner Kräfte nur ein vorgeblicher, nicht ihr wahrer<lb/> Beweggrund, Sie fürchtete den unabhängigen und kühnen Sinn Dorotheens<lb/> und wollte nichts unbedachter Weise aufs Spiel setzen, Sie fühlte, daß die<lb/> Ereignisse sich zur Entscheidung zuspitzten, und wollte ihrerseits jede nur mög<lb/> liebe'Vorsicht walte» lassen. Sie dachte sich, indem sie Dorotheens Natur<lb/> instinktmäßig durchschaute, daß es nicht ratsam sei, Dietrich einem etwaigen<lb/> Appell an seine Ehre von selten dieser energischen jungen Dame auszusetzen, und<lb/> sie überlegte sich, ob es nicht klüger sei, ihn zu entfernen, bis der Sturm vorüber-<lb/> gebraust und zwischen Vater und Tochter alles geebnet sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2235"> In diesem Gedanken wurde sie noch bestärkt, als sie die Wahrnehmung<lb/> machte, daß Eberhardt einen heimlichen Besuch bei Dorothea gemacht hatte.<lb/> Erstaunt und erschrocken, aber zugleich voll Wut sah sie ihn unter Millicents<lb/> Führung aus Dorotheens Zimmer kommen, und sie beschloß angesichts dieser<lb/> Vertrautheit zwischen dem liebenden Paare, Dorothea die Gelegenheit einer per¬<lb/> sönlichen Zurückweisung Dietrichs zu nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2236"> Sobald die Gestalten, denen ihr haßerfüllter Blick folgte, im Dunkel ver¬<lb/> schwunden waren, begab sie sich in Dietrichs Schlafzimmer und fand ihn im<lb/> Bette liegend und beim Schein von zwei Kerzen in die Lektüre irgend eines<lb/> Schriftstücks vertieft, welches er alsbald unter die Decke schob, als er sie ein¬<lb/> treten sah.</p><lb/> <p xml:id="ID_2237"> Sie that, als habe sie dies nicht gesehen, unterdrückte den Tadel wegen seines<lb/> gesundheitswidrigen Lesens im Bette und sagte, als er sie mit einiger Verlegen¬<lb/> heit nach der Ursache ihres späten Besuches fragte, daß sie ihm riete, am andern<lb/> Morgen so früh als möglich aufzubrechen und nach Berlin zu reisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2238"> Das kann ich thun, sagte er, aber wozu denn?</p><lb/> <p xml:id="ID_2239"> Gräfin Sibylle setzte sich zu ihm auf den Rand des Bettes und sah ihn<lb/> mit zärtlicher Miene an. Dieser ihr Sohn war der Mittelpunkt aller ihrer<lb/> guten und sanften Gefühle, und es gewährte ihr Ruhe und Befriedigung in den<lb/> Aufregungen und Kämpfen dieses Tages, ihn als ein Pfand des Glückes und<lb/> gleichsam als Entschuldigung für ihr Jntriguenspiel zu betrachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2240"> Du wünschtest doch selbst, mein liebes Kind, sagte sie, daß ich mit dem<lb/> Baron allein und ohne dich dabei zu beteiligen die Angelegenheit deiner Ver¬<lb/> bindung ordnete. Ich glaube auch, daß es besser ist, du setzest dich nicht irgend<lb/> einer unbedachten Weigerung Dorotheens aus. Du sollst zurückkehren, sobald<lb/> der Widerstand, den junge Mädchen ja zuweilen den vernünftigsten Eheprojekten<lb/> entgegensetzen, überwunden ist. Füge dich nur ganz ruhig meinen Anordnungen,<lb/> lieber Dietrich. Es ist zu deinem Besten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2241"> Ach ja, Mamachen, ich füge mich ja, erwiederte er. Ich fiige mich wie ein<lb/> Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, wie ein Schaf, das verstummt vor<lb/> seinem Scheerer und seinen Mund nicht aufthut.</p><lb/> <p xml:id="ID_2242"> Aber mein guter Junge, welch ein gottloser Vergleich ist dies! sagte sie,<lb/> ihm mit leichter Hand einen Streich auf die Wange gebend. Spricht ein junger<lb/> Mann auf diese Weise, wenn man ihm eine wunderschöne Erbin zur Frau giebt?</p><lb/> <p xml:id="ID_2243"> Du weißt, liebe Mama, sagte er seufzend, an sich ist nichts angenehm oder<lb/> unangenehm, weder gut noch böse, sondern erst unsre Meinung macht es dazu.</p><lb/> <p xml:id="ID_2244"> Dietrich! Dietrich! entgegnete sie kopfschüttelnd, welch thörichte Grillen!<lb/> Genieße das Leben und fange an zu Philosophiren, wenn dein hübsches braunes<lb/> Haar weiß wird!</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0578]
Die Grafen von Altenschwerdt.
denn er war heute in der That nicht zu fernern Auseinandersetzungen aufgelegt,
aber es war die Schonung seiner Kräfte nur ein vorgeblicher, nicht ihr wahrer
Beweggrund, Sie fürchtete den unabhängigen und kühnen Sinn Dorotheens
und wollte nichts unbedachter Weise aufs Spiel setzen, Sie fühlte, daß die
Ereignisse sich zur Entscheidung zuspitzten, und wollte ihrerseits jede nur mög
liebe'Vorsicht walte» lassen. Sie dachte sich, indem sie Dorotheens Natur
instinktmäßig durchschaute, daß es nicht ratsam sei, Dietrich einem etwaigen
Appell an seine Ehre von selten dieser energischen jungen Dame auszusetzen, und
sie überlegte sich, ob es nicht klüger sei, ihn zu entfernen, bis der Sturm vorüber-
gebraust und zwischen Vater und Tochter alles geebnet sei.
In diesem Gedanken wurde sie noch bestärkt, als sie die Wahrnehmung
machte, daß Eberhardt einen heimlichen Besuch bei Dorothea gemacht hatte.
Erstaunt und erschrocken, aber zugleich voll Wut sah sie ihn unter Millicents
Führung aus Dorotheens Zimmer kommen, und sie beschloß angesichts dieser
Vertrautheit zwischen dem liebenden Paare, Dorothea die Gelegenheit einer per¬
sönlichen Zurückweisung Dietrichs zu nehmen.
Sobald die Gestalten, denen ihr haßerfüllter Blick folgte, im Dunkel ver¬
schwunden waren, begab sie sich in Dietrichs Schlafzimmer und fand ihn im
Bette liegend und beim Schein von zwei Kerzen in die Lektüre irgend eines
Schriftstücks vertieft, welches er alsbald unter die Decke schob, als er sie ein¬
treten sah.
Sie that, als habe sie dies nicht gesehen, unterdrückte den Tadel wegen seines
gesundheitswidrigen Lesens im Bette und sagte, als er sie mit einiger Verlegen¬
heit nach der Ursache ihres späten Besuches fragte, daß sie ihm riete, am andern
Morgen so früh als möglich aufzubrechen und nach Berlin zu reisen.
Das kann ich thun, sagte er, aber wozu denn?
Gräfin Sibylle setzte sich zu ihm auf den Rand des Bettes und sah ihn
mit zärtlicher Miene an. Dieser ihr Sohn war der Mittelpunkt aller ihrer
guten und sanften Gefühle, und es gewährte ihr Ruhe und Befriedigung in den
Aufregungen und Kämpfen dieses Tages, ihn als ein Pfand des Glückes und
gleichsam als Entschuldigung für ihr Jntriguenspiel zu betrachten.
Du wünschtest doch selbst, mein liebes Kind, sagte sie, daß ich mit dem
Baron allein und ohne dich dabei zu beteiligen die Angelegenheit deiner Ver¬
bindung ordnete. Ich glaube auch, daß es besser ist, du setzest dich nicht irgend
einer unbedachten Weigerung Dorotheens aus. Du sollst zurückkehren, sobald
der Widerstand, den junge Mädchen ja zuweilen den vernünftigsten Eheprojekten
entgegensetzen, überwunden ist. Füge dich nur ganz ruhig meinen Anordnungen,
lieber Dietrich. Es ist zu deinem Besten.
Ach ja, Mamachen, ich füge mich ja, erwiederte er. Ich fiige mich wie ein
Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, wie ein Schaf, das verstummt vor
seinem Scheerer und seinen Mund nicht aufthut.
Aber mein guter Junge, welch ein gottloser Vergleich ist dies! sagte sie,
ihm mit leichter Hand einen Streich auf die Wange gebend. Spricht ein junger
Mann auf diese Weise, wenn man ihm eine wunderschöne Erbin zur Frau giebt?
Du weißt, liebe Mama, sagte er seufzend, an sich ist nichts angenehm oder
unangenehm, weder gut noch böse, sondern erst unsre Meinung macht es dazu.
Dietrich! Dietrich! entgegnete sie kopfschüttelnd, welch thörichte Grillen!
Genieße das Leben und fange an zu Philosophiren, wenn dein hübsches braunes
Haar weiß wird!
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