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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Sonne die schattigen Tiefen des alten stolzen Parkes zu erhellen und zu be¬
leben geeignet waren.

Der Baron hatte seinem Besuche für diesen Spaziergang noch ein besondres
Vergnügen zugedacht und führte ihn zu einer abseits gelegenen Stelle, wo er
einen Scheibenstand für Pistolenschießen hatte einrichten lassen. An der Mauer,
welche den Park an der nördlichen Seite von den Feldern schied und wo die
Anordnung der Bäume eine vorteilhafte Aufstellung der Scheibe möglich machte,
hatte er einen verfallenden Pavillon im Zopfstil neu herstellen lassen. Dieser
Pavillon, welcher einer Laune des Großvaters seine Entstehung verdankte und
zu dem Geschmack der übrigen Gebäude und der Anlagen garnicht paßte, des¬
halb auch später vernachlässigt worden war, bot nun wieder einen hübschen An¬
blick. Er war mit Tabvurets ausgestattet, in der Mitte stand ein mit Er¬
frischungen besetzter Tisch und vor dem Eingange war ein vorspringendes Dach
angebracht, unter welchem die Schützen vor dem Blenden der Sonne gedeckt
stehen konnten. Der Jäger des Barons hielt ein Paar gezogener Pistolen
bereit.

Der Baron, welcher ein guter Schütze war, schoß heute recht schlecht, und
Dorothea bemerkte mit stiller Verwunderung, daß er seine Brille nicht aufsetzte,
wie er doch sonst sowohl beim Schießen als beim Lesen kleiner Schrift that.
Besser schoß Graf Dietrich, als ausgezeichneter Pistolenschütze aber zeigte sich
der General. Er traf fast mit jedem Schuß ins Schwarze.

Es müßte eine bedenkliche Sache sein, mit Eurer Excellenz in Streit zu
geraten, sagte Gräfin Sibhlle scherzend.

Sie ergriff selbst eine Pistole, und sie schoß nicht schlecht. Ohne nur mit
den Wimpern zu zucken, sah sie den Feuerstrahl aus der Mündung brechen.

Sie war ungemein liebenswürdig und wußte die Unterhaltung in an¬
regender Weise zu leiten. Wenn es ihre Absicht war, ihre neuen Bekannten zu
bezaubern, so blieb sie nicht ohne Erfolg, wenigstens bei einem Teil derselben.
Sowohl der General als Baron Sextus zeigten sich lebhaft und entgegenkommend
gegen sie und schienen sich im Gespräch mit ihr zu verjüngen. Nur bei Do¬
rothea gelang es ihr nicht, die Kälte zu durchdringen, die vom ersten Augen¬
blick der Begrüßung an wie eine Schneewolke zwischen beiden Damen gestanden
hatte. Dorothea maß die Gräfin zu wiederholten malen mit dem Blick des
Zweifels und fühlte bei ihren Liebenswürdigkeiten immer mehr die Notwendig¬
keit, auf ihrer Hut zu sein. Sie vermochte kein Zutrauen zu den dunkel leuchtende"
Augen zu gewinnen, und sie mißtraute vollständig einem gewissen Zuge in den
Winkeln des roten Mundes und dem spitz vortretenden Kinn. Gräfin Sibylle
schien nichts von dieser abweichenden Empfindung zu merken. Sie war ganz
Offenheit und Freundlichkeit gegen das junge Mädchen. Sie hatte Dorothea
im Laufe des Nachmittags schon zweimal umarmt, indem sie sich nicht enthalten
konnte, bei gewissen Wendungen des Gespräches dem Zuge ihres Herzens zu


Die Grafen von Altenschwerdt.

Sonne die schattigen Tiefen des alten stolzen Parkes zu erhellen und zu be¬
leben geeignet waren.

Der Baron hatte seinem Besuche für diesen Spaziergang noch ein besondres
Vergnügen zugedacht und führte ihn zu einer abseits gelegenen Stelle, wo er
einen Scheibenstand für Pistolenschießen hatte einrichten lassen. An der Mauer,
welche den Park an der nördlichen Seite von den Feldern schied und wo die
Anordnung der Bäume eine vorteilhafte Aufstellung der Scheibe möglich machte,
hatte er einen verfallenden Pavillon im Zopfstil neu herstellen lassen. Dieser
Pavillon, welcher einer Laune des Großvaters seine Entstehung verdankte und
zu dem Geschmack der übrigen Gebäude und der Anlagen garnicht paßte, des¬
halb auch später vernachlässigt worden war, bot nun wieder einen hübschen An¬
blick. Er war mit Tabvurets ausgestattet, in der Mitte stand ein mit Er¬
frischungen besetzter Tisch und vor dem Eingange war ein vorspringendes Dach
angebracht, unter welchem die Schützen vor dem Blenden der Sonne gedeckt
stehen konnten. Der Jäger des Barons hielt ein Paar gezogener Pistolen
bereit.

Der Baron, welcher ein guter Schütze war, schoß heute recht schlecht, und
Dorothea bemerkte mit stiller Verwunderung, daß er seine Brille nicht aufsetzte,
wie er doch sonst sowohl beim Schießen als beim Lesen kleiner Schrift that.
Besser schoß Graf Dietrich, als ausgezeichneter Pistolenschütze aber zeigte sich
der General. Er traf fast mit jedem Schuß ins Schwarze.

Es müßte eine bedenkliche Sache sein, mit Eurer Excellenz in Streit zu
geraten, sagte Gräfin Sibhlle scherzend.

Sie ergriff selbst eine Pistole, und sie schoß nicht schlecht. Ohne nur mit
den Wimpern zu zucken, sah sie den Feuerstrahl aus der Mündung brechen.

Sie war ungemein liebenswürdig und wußte die Unterhaltung in an¬
regender Weise zu leiten. Wenn es ihre Absicht war, ihre neuen Bekannten zu
bezaubern, so blieb sie nicht ohne Erfolg, wenigstens bei einem Teil derselben.
Sowohl der General als Baron Sextus zeigten sich lebhaft und entgegenkommend
gegen sie und schienen sich im Gespräch mit ihr zu verjüngen. Nur bei Do¬
rothea gelang es ihr nicht, die Kälte zu durchdringen, die vom ersten Augen¬
blick der Begrüßung an wie eine Schneewolke zwischen beiden Damen gestanden
hatte. Dorothea maß die Gräfin zu wiederholten malen mit dem Blick des
Zweifels und fühlte bei ihren Liebenswürdigkeiten immer mehr die Notwendig¬
keit, auf ihrer Hut zu sein. Sie vermochte kein Zutrauen zu den dunkel leuchtende»
Augen zu gewinnen, und sie mißtraute vollständig einem gewissen Zuge in den
Winkeln des roten Mundes und dem spitz vortretenden Kinn. Gräfin Sibylle
schien nichts von dieser abweichenden Empfindung zu merken. Sie war ganz
Offenheit und Freundlichkeit gegen das junge Mädchen. Sie hatte Dorothea
im Laufe des Nachmittags schon zweimal umarmt, indem sie sich nicht enthalten
konnte, bei gewissen Wendungen des Gespräches dem Zuge ihres Herzens zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/55>, abgerufen am 03.07.2024.