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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Runstausstellung in Berlin.

Betrachtung verdient. Einzelne Gruppen mögen ja durch gemeinsame Interessen
verbunden sein, aber die eine Gruppe hat mit der andern nichts zu thun, und
so haben wir einen mit kecker und sicherer Hand herausgerissenen Ausschnitt
des Lebens vor uns, dem eigentlich nur die meisterhafte technische Behandlung
einen nachhaltigen Reiz verleiht.

Immerhin macht sich in derselben das Streben nach einer rastlosen Fort¬
bildung, nach einer immer zunehmenden Vervollkommnung bemerkbar, während
andre berühmte Genremaler, nachdem sie die von ihnen neuentdeckte Stoffwelt
erschöpft haben, sich in einem oirerüus vitiosus bewegen, aus welchem sie eben
nur ein Umschwung in ihrer Technik herausreißen kann. Defregger und
Vautier gehören zu ihnen. Beide sind niemals Maler im eigentlichen Sinne
gewesen. Ihr Erfolg war einerseits nur durch die Wahl ihrer Stoffe, andrer¬
seits durch die Feinheit und Wahrheit der Charakteristik, durch die Tiefe der
Empfindung und durch die Liebenswürdigkeit ihres Humors bedingt. Das ist
reichlich genug, um einen Künstlerruhm zu begründen. Nun ist aber das ver¬
hältnismäßig doch enge Gebiet des Lebens der Tiroler und Schwarzwälder
Bauern erschöpft. Sie sind in Freud und Leid, mit ihren kleinen und großen
Interessen so ausgiebig geschildert worden, daß nichts mehr zu thun übrig bleibt.
Auch der Quell des Humors sprudelt nicht mehr in alter Frische. Da muß
man zu allerlei gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht nehmen, welche natürlich
den freien Strom der schöpferischen Kraft hemmen. Defreggers "Salontiroler,"
welchen die Berliner Nationalgalerie angekauft hat, ist eine mühsam ausgeklügelte
Arbeit dieser Art. Ein junger Tourist, welcher sich in ein Tirolerkostüm ge¬
steckt hat, wie es auf dem Theater üblich ist, wird in einem Wirtshause auf
dem Gebirge von Mädchen und Männern zur Zielscheibe ihrer Neckereien und
ihres Gespöttes gemacht. Ein sehr gesuchter Kontrast, bei dessen Darstellung
gerade dasjenige fehlt, was Defreggers Eigenart ausmacht, das Natürliche und
Naive. Und auch in der malerischen Ausführung giebt sich das mühsam Zu-
sammengestrichelte, das Umhersuchen und Umhertasten zu erkennen, wodurch der
Eindruck der Unsicherheit und Unbehaglichkeit noch verstärkt wird. Vautiers
"Schwarzer Peter," das bekannte Spiel, welches von Mädchen und Burschen
in einer ländlichen Stube gespielt wird, läßt vollends alle guten Eigenschaften
des früher so geschätzten Genremalers vermissen. Selbst die Liebenswürdigkeit
seines Naturells kommt nicht mehr zum Durchbruch, weil ihre Frische durch
das flaue, häßliche Kolorit niedergehalten wird.

Unter den Landschaftsmalern hat diesmal Albert Hertel mit einer schwung¬
voll komponirter und mit großer malerischer Kraft behandelten nordischen Strand¬
szene die Führung übernommen. Er zeigt sich jedoch noch bedeutender, noch
kräftiger in seinem für die Hygieineausstelluug gemalten Panorama des Bades
Gastein und der benachbarten Seitenthäler der Kötschach und von Böckstein, welches
uns mit dem Troste erfüllt, -daß die Berliner Kunst noch frisch und tricbfähig
ist. Sie ist in diesem Jahre überall in Berlin zu finden, nur nicht auf der
großen akademischen Kunstausstellung.


Adolf Rosenberg.


Die große Runstausstellung in Berlin.

Betrachtung verdient. Einzelne Gruppen mögen ja durch gemeinsame Interessen
verbunden sein, aber die eine Gruppe hat mit der andern nichts zu thun, und
so haben wir einen mit kecker und sicherer Hand herausgerissenen Ausschnitt
des Lebens vor uns, dem eigentlich nur die meisterhafte technische Behandlung
einen nachhaltigen Reiz verleiht.

Immerhin macht sich in derselben das Streben nach einer rastlosen Fort¬
bildung, nach einer immer zunehmenden Vervollkommnung bemerkbar, während
andre berühmte Genremaler, nachdem sie die von ihnen neuentdeckte Stoffwelt
erschöpft haben, sich in einem oirerüus vitiosus bewegen, aus welchem sie eben
nur ein Umschwung in ihrer Technik herausreißen kann. Defregger und
Vautier gehören zu ihnen. Beide sind niemals Maler im eigentlichen Sinne
gewesen. Ihr Erfolg war einerseits nur durch die Wahl ihrer Stoffe, andrer¬
seits durch die Feinheit und Wahrheit der Charakteristik, durch die Tiefe der
Empfindung und durch die Liebenswürdigkeit ihres Humors bedingt. Das ist
reichlich genug, um einen Künstlerruhm zu begründen. Nun ist aber das ver¬
hältnismäßig doch enge Gebiet des Lebens der Tiroler und Schwarzwälder
Bauern erschöpft. Sie sind in Freud und Leid, mit ihren kleinen und großen
Interessen so ausgiebig geschildert worden, daß nichts mehr zu thun übrig bleibt.
Auch der Quell des Humors sprudelt nicht mehr in alter Frische. Da muß
man zu allerlei gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht nehmen, welche natürlich
den freien Strom der schöpferischen Kraft hemmen. Defreggers „Salontiroler,"
welchen die Berliner Nationalgalerie angekauft hat, ist eine mühsam ausgeklügelte
Arbeit dieser Art. Ein junger Tourist, welcher sich in ein Tirolerkostüm ge¬
steckt hat, wie es auf dem Theater üblich ist, wird in einem Wirtshause auf
dem Gebirge von Mädchen und Männern zur Zielscheibe ihrer Neckereien und
ihres Gespöttes gemacht. Ein sehr gesuchter Kontrast, bei dessen Darstellung
gerade dasjenige fehlt, was Defreggers Eigenart ausmacht, das Natürliche und
Naive. Und auch in der malerischen Ausführung giebt sich das mühsam Zu-
sammengestrichelte, das Umhersuchen und Umhertasten zu erkennen, wodurch der
Eindruck der Unsicherheit und Unbehaglichkeit noch verstärkt wird. Vautiers
„Schwarzer Peter," das bekannte Spiel, welches von Mädchen und Burschen
in einer ländlichen Stube gespielt wird, läßt vollends alle guten Eigenschaften
des früher so geschätzten Genremalers vermissen. Selbst die Liebenswürdigkeit
seines Naturells kommt nicht mehr zum Durchbruch, weil ihre Frische durch
das flaue, häßliche Kolorit niedergehalten wird.

Unter den Landschaftsmalern hat diesmal Albert Hertel mit einer schwung¬
voll komponirter und mit großer malerischer Kraft behandelten nordischen Strand¬
szene die Führung übernommen. Er zeigt sich jedoch noch bedeutender, noch
kräftiger in seinem für die Hygieineausstelluug gemalten Panorama des Bades
Gastein und der benachbarten Seitenthäler der Kötschach und von Böckstein, welches
uns mit dem Troste erfüllt, -daß die Berliner Kunst noch frisch und tricbfähig
ist. Sie ist in diesem Jahre überall in Berlin zu finden, nur nicht auf der
großen akademischen Kunstausstellung.


Adolf Rosenberg.


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[0526] Die große Runstausstellung in Berlin. Betrachtung verdient. Einzelne Gruppen mögen ja durch gemeinsame Interessen verbunden sein, aber die eine Gruppe hat mit der andern nichts zu thun, und so haben wir einen mit kecker und sicherer Hand herausgerissenen Ausschnitt des Lebens vor uns, dem eigentlich nur die meisterhafte technische Behandlung einen nachhaltigen Reiz verleiht. Immerhin macht sich in derselben das Streben nach einer rastlosen Fort¬ bildung, nach einer immer zunehmenden Vervollkommnung bemerkbar, während andre berühmte Genremaler, nachdem sie die von ihnen neuentdeckte Stoffwelt erschöpft haben, sich in einem oirerüus vitiosus bewegen, aus welchem sie eben nur ein Umschwung in ihrer Technik herausreißen kann. Defregger und Vautier gehören zu ihnen. Beide sind niemals Maler im eigentlichen Sinne gewesen. Ihr Erfolg war einerseits nur durch die Wahl ihrer Stoffe, andrer¬ seits durch die Feinheit und Wahrheit der Charakteristik, durch die Tiefe der Empfindung und durch die Liebenswürdigkeit ihres Humors bedingt. Das ist reichlich genug, um einen Künstlerruhm zu begründen. Nun ist aber das ver¬ hältnismäßig doch enge Gebiet des Lebens der Tiroler und Schwarzwälder Bauern erschöpft. Sie sind in Freud und Leid, mit ihren kleinen und großen Interessen so ausgiebig geschildert worden, daß nichts mehr zu thun übrig bleibt. Auch der Quell des Humors sprudelt nicht mehr in alter Frische. Da muß man zu allerlei gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht nehmen, welche natürlich den freien Strom der schöpferischen Kraft hemmen. Defreggers „Salontiroler," welchen die Berliner Nationalgalerie angekauft hat, ist eine mühsam ausgeklügelte Arbeit dieser Art. Ein junger Tourist, welcher sich in ein Tirolerkostüm ge¬ steckt hat, wie es auf dem Theater üblich ist, wird in einem Wirtshause auf dem Gebirge von Mädchen und Männern zur Zielscheibe ihrer Neckereien und ihres Gespöttes gemacht. Ein sehr gesuchter Kontrast, bei dessen Darstellung gerade dasjenige fehlt, was Defreggers Eigenart ausmacht, das Natürliche und Naive. Und auch in der malerischen Ausführung giebt sich das mühsam Zu- sammengestrichelte, das Umhersuchen und Umhertasten zu erkennen, wodurch der Eindruck der Unsicherheit und Unbehaglichkeit noch verstärkt wird. Vautiers „Schwarzer Peter," das bekannte Spiel, welches von Mädchen und Burschen in einer ländlichen Stube gespielt wird, läßt vollends alle guten Eigenschaften des früher so geschätzten Genremalers vermissen. Selbst die Liebenswürdigkeit seines Naturells kommt nicht mehr zum Durchbruch, weil ihre Frische durch das flaue, häßliche Kolorit niedergehalten wird. Unter den Landschaftsmalern hat diesmal Albert Hertel mit einer schwung¬ voll komponirter und mit großer malerischer Kraft behandelten nordischen Strand¬ szene die Führung übernommen. Er zeigt sich jedoch noch bedeutender, noch kräftiger in seinem für die Hygieineausstelluug gemalten Panorama des Bades Gastein und der benachbarten Seitenthäler der Kötschach und von Böckstein, welches uns mit dem Troste erfüllt, -daß die Berliner Kunst noch frisch und tricbfähig ist. Sie ist in diesem Jahre überall in Berlin zu finden, nur nicht auf der großen akademischen Kunstausstellung. Adolf Rosenberg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/526>, abgerufen am 24.08.2024.