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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Franzosen in Tonkin.

rien bestimmt sind, einen verschwindend kleinen Bruchteil der Militärmacht der
Republik.

Teilweise verständiger sind die Betrachtungen, welche die I^ibsrts der
neuen französischen Kolonialpolitik überhaupt widmete. Es heißt da u. a.:
"Steht Frankreich nicht im Begriff, die Beute höchst beklagenswerter Selbst¬
täuschungen zu werden? Welch ein Feld für Unternehmungen kann das Kongo¬
thal oder Madagaskar bieten, wo England einflußreicher und mächtiger ist, als
Frankreich jemals werden kann, und wo Englands gutes Einvernehmen mit
den Hovas, die weit bedeutender als unsre sogenannten Freunde und Schützlinge,
die Sakalavas, sind, uns den Handel im Innern der Insel entziehen wird?
Was für ein Feld werden wir sogar in Tonkin finden, wo lange Zeit keine
französischen Handelshäuser errichtet werden dürften, und wo andre Nationen,
bessere Kolonisten als wir, Engländer, Deutsche und Spanier, zu unserm Schaden
und unter dem Schatten unsrer Flagge fortfahren werden, wie bisher das Land
auszubeuten? . . . Man denkt, daß die bloße Thatsache, daß wir ein Land in
Besitz nehmen und unsre Fahne darin auspflanze", hinreichen werde, wie mit
der Berührung vermittelst eines Zauberstabes wichtige Quellen für Gelegen¬
heit zum Absatz und Austausch von Waaren zu öffnen. Das reicht aber, wie
Algerien zeigt, nicht hin, und wir vernachlässigen in eitler Ruhmbegier unsre
wahren Interessen um abenteuerlicher Unternehmungen willen, die uns unge¬
heure Opfer auferlegen, und aus denen wir vielleicht nie gediegnen Vorteil
ziehen werden." Indeß will das Blatt in einem andern Artikel, der sich mit
dem wohl zu günstigen Berichte Blancsubes über die Lage in Tonkin beschäftigt,
von der Expedition uicht abraten, da die Ehre Frankreichs dabei auf dem Spiele
stehe; nur will es gewarnt haben. "Eine Handvoll Franzosen, sagt es, hat
soeben glorreiche Thaten verrichtet, um Achtung vor unserm Namen und unsrer
Flagge zu erzwingen und die uns vertragsmäßig zugesicherten Rechte aufrecht
zu erhalten. Wir können sie nicht im Stiche lassen, aber geben wir uns keinem
Irrtume hin. Wir beginnen ein Werk, welches sich als viel schwieriger erweisen,
weit mehr Zeit in Anspruch nehmen und viel größere Kosten verursachen wird,
als der enthusiastische Bericht des Herrn Blcmesube annimmt, der die Pille
vergoldet und Honig in den Kelch träufelt, aus welchem wir einen bittern Trank
zu trinken bestimmt sind."

Schwere Bedenken erregt den oppositionellen Blättern der Umstand, daß
die französische Regierung die von Bouree, ihrem Vertreter in Peking, mit der
chinesischen Regierung abgeschlossene Übereinkunft in Betreff Tonkins nicht gut¬
geheißen hat. Vor kurzem vernahm man in Paris mit viel Genugthuung,
daß die chinesischen Truppen Tonkin geräumt und sich nach Junnan und Konangsi
zurückgezogen hätten. Ihr plötzlicher Abmarsch wurde damals dem Umstände
zugeschrieben, daß in den letztgenannten Provinzen ein Aufstand ausgebrochen
sei, aber der Lolsil weist darauf hin, daß er der Zeit nach mit der Unter-


Die Franzosen in Tonkin.

rien bestimmt sind, einen verschwindend kleinen Bruchteil der Militärmacht der
Republik.

Teilweise verständiger sind die Betrachtungen, welche die I^ibsrts der
neuen französischen Kolonialpolitik überhaupt widmete. Es heißt da u. a.:
„Steht Frankreich nicht im Begriff, die Beute höchst beklagenswerter Selbst¬
täuschungen zu werden? Welch ein Feld für Unternehmungen kann das Kongo¬
thal oder Madagaskar bieten, wo England einflußreicher und mächtiger ist, als
Frankreich jemals werden kann, und wo Englands gutes Einvernehmen mit
den Hovas, die weit bedeutender als unsre sogenannten Freunde und Schützlinge,
die Sakalavas, sind, uns den Handel im Innern der Insel entziehen wird?
Was für ein Feld werden wir sogar in Tonkin finden, wo lange Zeit keine
französischen Handelshäuser errichtet werden dürften, und wo andre Nationen,
bessere Kolonisten als wir, Engländer, Deutsche und Spanier, zu unserm Schaden
und unter dem Schatten unsrer Flagge fortfahren werden, wie bisher das Land
auszubeuten? . . . Man denkt, daß die bloße Thatsache, daß wir ein Land in
Besitz nehmen und unsre Fahne darin auspflanze», hinreichen werde, wie mit
der Berührung vermittelst eines Zauberstabes wichtige Quellen für Gelegen¬
heit zum Absatz und Austausch von Waaren zu öffnen. Das reicht aber, wie
Algerien zeigt, nicht hin, und wir vernachlässigen in eitler Ruhmbegier unsre
wahren Interessen um abenteuerlicher Unternehmungen willen, die uns unge¬
heure Opfer auferlegen, und aus denen wir vielleicht nie gediegnen Vorteil
ziehen werden." Indeß will das Blatt in einem andern Artikel, der sich mit
dem wohl zu günstigen Berichte Blancsubes über die Lage in Tonkin beschäftigt,
von der Expedition uicht abraten, da die Ehre Frankreichs dabei auf dem Spiele
stehe; nur will es gewarnt haben. „Eine Handvoll Franzosen, sagt es, hat
soeben glorreiche Thaten verrichtet, um Achtung vor unserm Namen und unsrer
Flagge zu erzwingen und die uns vertragsmäßig zugesicherten Rechte aufrecht
zu erhalten. Wir können sie nicht im Stiche lassen, aber geben wir uns keinem
Irrtume hin. Wir beginnen ein Werk, welches sich als viel schwieriger erweisen,
weit mehr Zeit in Anspruch nehmen und viel größere Kosten verursachen wird,
als der enthusiastische Bericht des Herrn Blcmesube annimmt, der die Pille
vergoldet und Honig in den Kelch träufelt, aus welchem wir einen bittern Trank
zu trinken bestimmt sind."

Schwere Bedenken erregt den oppositionellen Blättern der Umstand, daß
die französische Regierung die von Bouree, ihrem Vertreter in Peking, mit der
chinesischen Regierung abgeschlossene Übereinkunft in Betreff Tonkins nicht gut¬
geheißen hat. Vor kurzem vernahm man in Paris mit viel Genugthuung,
daß die chinesischen Truppen Tonkin geräumt und sich nach Junnan und Konangsi
zurückgezogen hätten. Ihr plötzlicher Abmarsch wurde damals dem Umstände
zugeschrieben, daß in den letztgenannten Provinzen ein Aufstand ausgebrochen
sei, aber der Lolsil weist darauf hin, daß er der Zeit nach mit der Unter-


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[0490] Die Franzosen in Tonkin. rien bestimmt sind, einen verschwindend kleinen Bruchteil der Militärmacht der Republik. Teilweise verständiger sind die Betrachtungen, welche die I^ibsrts der neuen französischen Kolonialpolitik überhaupt widmete. Es heißt da u. a.: „Steht Frankreich nicht im Begriff, die Beute höchst beklagenswerter Selbst¬ täuschungen zu werden? Welch ein Feld für Unternehmungen kann das Kongo¬ thal oder Madagaskar bieten, wo England einflußreicher und mächtiger ist, als Frankreich jemals werden kann, und wo Englands gutes Einvernehmen mit den Hovas, die weit bedeutender als unsre sogenannten Freunde und Schützlinge, die Sakalavas, sind, uns den Handel im Innern der Insel entziehen wird? Was für ein Feld werden wir sogar in Tonkin finden, wo lange Zeit keine französischen Handelshäuser errichtet werden dürften, und wo andre Nationen, bessere Kolonisten als wir, Engländer, Deutsche und Spanier, zu unserm Schaden und unter dem Schatten unsrer Flagge fortfahren werden, wie bisher das Land auszubeuten? . . . Man denkt, daß die bloße Thatsache, daß wir ein Land in Besitz nehmen und unsre Fahne darin auspflanze», hinreichen werde, wie mit der Berührung vermittelst eines Zauberstabes wichtige Quellen für Gelegen¬ heit zum Absatz und Austausch von Waaren zu öffnen. Das reicht aber, wie Algerien zeigt, nicht hin, und wir vernachlässigen in eitler Ruhmbegier unsre wahren Interessen um abenteuerlicher Unternehmungen willen, die uns unge¬ heure Opfer auferlegen, und aus denen wir vielleicht nie gediegnen Vorteil ziehen werden." Indeß will das Blatt in einem andern Artikel, der sich mit dem wohl zu günstigen Berichte Blancsubes über die Lage in Tonkin beschäftigt, von der Expedition uicht abraten, da die Ehre Frankreichs dabei auf dem Spiele stehe; nur will es gewarnt haben. „Eine Handvoll Franzosen, sagt es, hat soeben glorreiche Thaten verrichtet, um Achtung vor unserm Namen und unsrer Flagge zu erzwingen und die uns vertragsmäßig zugesicherten Rechte aufrecht zu erhalten. Wir können sie nicht im Stiche lassen, aber geben wir uns keinem Irrtume hin. Wir beginnen ein Werk, welches sich als viel schwieriger erweisen, weit mehr Zeit in Anspruch nehmen und viel größere Kosten verursachen wird, als der enthusiastische Bericht des Herrn Blcmesube annimmt, der die Pille vergoldet und Honig in den Kelch träufelt, aus welchem wir einen bittern Trank zu trinken bestimmt sind." Schwere Bedenken erregt den oppositionellen Blättern der Umstand, daß die französische Regierung die von Bouree, ihrem Vertreter in Peking, mit der chinesischen Regierung abgeschlossene Übereinkunft in Betreff Tonkins nicht gut¬ geheißen hat. Vor kurzem vernahm man in Paris mit viel Genugthuung, daß die chinesischen Truppen Tonkin geräumt und sich nach Junnan und Konangsi zurückgezogen hätten. Ihr plötzlicher Abmarsch wurde damals dem Umstände zugeschrieben, daß in den letztgenannten Provinzen ein Aufstand ausgebrochen sei, aber der Lolsil weist darauf hin, daß er der Zeit nach mit der Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/490>, abgerufen am 22.07.2024.