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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwordt.

Papiers hatte eine so glückliche Wirkung auf ihn, daß er beinahe lächelnd fort¬
fuhr: Nein, Herr Graf, ich kann mir nicht denken und mag es nicht glauben,
daß die Liebe zweier Menschen sich in sich selbst verzehren und aus Mangel
an Stoff verlöschen sollte, wenn sie sich einander besitzen. Es wird einer im
andern immer wieder die Ergänzung finden, denn sie machen ja zusammen erst
ein einziges Wesen aus und finden schon dadurch neue Nahrung ihrer Gefühle,
daß ja das Leben für neue Anforderungen an ihre Thätigkeit sorgt und mit
jedem Tage gewissermaßen eine neue Prüfung ihrer Neigung vorbereitet. Ich
stelle mir vor, daß diejenige, welche erst Geliebte und Braut war, nachher
Gattin und Mutter sein wird, und daß sie in immer neuer Erscheinung nie
aufhört, neu zu sein. Der Lebenskreis auch schon einer einfachen Familie ist
so weit und an den verschiedensten Beziehungen so reich, daß es niemals an
Nahrung für eine reine Flamme fehlen kann, die im Herzen von Mann und
Weib brennt. Und ich weiß gewiß, daß die Vorstellung alles dieses unbeschreib¬
lichen Glücks, das aus der Vereinigung zweier Liebenden entspringen muß, den
ewig unglücklich machen muß, der allein und hoffnungslos sich in Sehnen nach
dem geliebten Gegenstande verzehrt.

Eberhardt sprach mit solcher Wärme, und sein offner Blick hing so ver¬
trauensvoll an dem Antlitz des alten Herrn, daß dieser die innigste Teilnahme
mit ihm empfand. Doch wollte er in der Voraussicht der Vergeblichkeit aller
Hoffnung seine schwere Aufgabe zu Ende führen und dachte, daß es am besten
für Eberhardt und Dorothea sei, wenn sie so früh als möglich und ehe ihre
gegenseitige Sehnsucht sich noch tiefer einbohrte, auf jeden fernern Versuch der
Vereinigung verzichteten.

Nur die Überzeugung, daß Sie doch im Unrecht sind, mein lieber junger
Freund, macht es mir möglich, Ihnen zu sagen, daß Sie durch alle Gebote
der Pflicht und der Ehre bestimmt werden müssen, von Ihrem Wunsche abzu¬
stehen, entgegnete er sanft. Bedenken Sie, welche Verantwortung Sie auf sich
laden, wenn Sie Dvrotheens Herz fernerhin noch auf einen Weg führen, den
zu verfolgen ihr unmöglich gemacht wird. Denken Sie an ihr Glück mehr als
an das Ihrige. Niemals wird ihr Vater diese Verbindung zugeben, das habe
ich gestern klar erkannt, oder habe ich vielmehr nur von neuem wieder ein¬
gesehen. Denn ich wußte vorher, was er erwiedern würde, und hatte Ihnen
selbst es auch schon vorher gesagt. Man kann die tiefsten Anschauungen und
Grundsätze eines Menschen nicht umstoßen, und der Baron Sextus ist ein Mann,
der gewisse Anschauungen und Grundsätze mit einer ganz besondern Zähigkeit
festhält. Er wird außerdem durch bestimmte Familiengesetze noch mehr zum
Festhalten derselben bewogen. Sie haben gar keine Aussicht, Dörotheens Hand
zu erhalten. Und nun bedenken Sie, was aus dem Leben eines so liebens¬
würdigen und edeln jungen Mädchens werden soll, wenn Sie fortfahren, ihr
Herz zu bestürmen! Muß sie nicht umso unglücklicher werden, je mehr sie Ihnen


Die Grafen von Altenschwordt.

Papiers hatte eine so glückliche Wirkung auf ihn, daß er beinahe lächelnd fort¬
fuhr: Nein, Herr Graf, ich kann mir nicht denken und mag es nicht glauben,
daß die Liebe zweier Menschen sich in sich selbst verzehren und aus Mangel
an Stoff verlöschen sollte, wenn sie sich einander besitzen. Es wird einer im
andern immer wieder die Ergänzung finden, denn sie machen ja zusammen erst
ein einziges Wesen aus und finden schon dadurch neue Nahrung ihrer Gefühle,
daß ja das Leben für neue Anforderungen an ihre Thätigkeit sorgt und mit
jedem Tage gewissermaßen eine neue Prüfung ihrer Neigung vorbereitet. Ich
stelle mir vor, daß diejenige, welche erst Geliebte und Braut war, nachher
Gattin und Mutter sein wird, und daß sie in immer neuer Erscheinung nie
aufhört, neu zu sein. Der Lebenskreis auch schon einer einfachen Familie ist
so weit und an den verschiedensten Beziehungen so reich, daß es niemals an
Nahrung für eine reine Flamme fehlen kann, die im Herzen von Mann und
Weib brennt. Und ich weiß gewiß, daß die Vorstellung alles dieses unbeschreib¬
lichen Glücks, das aus der Vereinigung zweier Liebenden entspringen muß, den
ewig unglücklich machen muß, der allein und hoffnungslos sich in Sehnen nach
dem geliebten Gegenstande verzehrt.

Eberhardt sprach mit solcher Wärme, und sein offner Blick hing so ver¬
trauensvoll an dem Antlitz des alten Herrn, daß dieser die innigste Teilnahme
mit ihm empfand. Doch wollte er in der Voraussicht der Vergeblichkeit aller
Hoffnung seine schwere Aufgabe zu Ende führen und dachte, daß es am besten
für Eberhardt und Dorothea sei, wenn sie so früh als möglich und ehe ihre
gegenseitige Sehnsucht sich noch tiefer einbohrte, auf jeden fernern Versuch der
Vereinigung verzichteten.

Nur die Überzeugung, daß Sie doch im Unrecht sind, mein lieber junger
Freund, macht es mir möglich, Ihnen zu sagen, daß Sie durch alle Gebote
der Pflicht und der Ehre bestimmt werden müssen, von Ihrem Wunsche abzu¬
stehen, entgegnete er sanft. Bedenken Sie, welche Verantwortung Sie auf sich
laden, wenn Sie Dvrotheens Herz fernerhin noch auf einen Weg führen, den
zu verfolgen ihr unmöglich gemacht wird. Denken Sie an ihr Glück mehr als
an das Ihrige. Niemals wird ihr Vater diese Verbindung zugeben, das habe
ich gestern klar erkannt, oder habe ich vielmehr nur von neuem wieder ein¬
gesehen. Denn ich wußte vorher, was er erwiedern würde, und hatte Ihnen
selbst es auch schon vorher gesagt. Man kann die tiefsten Anschauungen und
Grundsätze eines Menschen nicht umstoßen, und der Baron Sextus ist ein Mann,
der gewisse Anschauungen und Grundsätze mit einer ganz besondern Zähigkeit
festhält. Er wird außerdem durch bestimmte Familiengesetze noch mehr zum
Festhalten derselben bewogen. Sie haben gar keine Aussicht, Dörotheens Hand
zu erhalten. Und nun bedenken Sie, was aus dem Leben eines so liebens¬
würdigen und edeln jungen Mädchens werden soll, wenn Sie fortfahren, ihr
Herz zu bestürmen! Muß sie nicht umso unglücklicher werden, je mehr sie Ihnen


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[0482] Die Grafen von Altenschwordt. Papiers hatte eine so glückliche Wirkung auf ihn, daß er beinahe lächelnd fort¬ fuhr: Nein, Herr Graf, ich kann mir nicht denken und mag es nicht glauben, daß die Liebe zweier Menschen sich in sich selbst verzehren und aus Mangel an Stoff verlöschen sollte, wenn sie sich einander besitzen. Es wird einer im andern immer wieder die Ergänzung finden, denn sie machen ja zusammen erst ein einziges Wesen aus und finden schon dadurch neue Nahrung ihrer Gefühle, daß ja das Leben für neue Anforderungen an ihre Thätigkeit sorgt und mit jedem Tage gewissermaßen eine neue Prüfung ihrer Neigung vorbereitet. Ich stelle mir vor, daß diejenige, welche erst Geliebte und Braut war, nachher Gattin und Mutter sein wird, und daß sie in immer neuer Erscheinung nie aufhört, neu zu sein. Der Lebenskreis auch schon einer einfachen Familie ist so weit und an den verschiedensten Beziehungen so reich, daß es niemals an Nahrung für eine reine Flamme fehlen kann, die im Herzen von Mann und Weib brennt. Und ich weiß gewiß, daß die Vorstellung alles dieses unbeschreib¬ lichen Glücks, das aus der Vereinigung zweier Liebenden entspringen muß, den ewig unglücklich machen muß, der allein und hoffnungslos sich in Sehnen nach dem geliebten Gegenstande verzehrt. Eberhardt sprach mit solcher Wärme, und sein offner Blick hing so ver¬ trauensvoll an dem Antlitz des alten Herrn, daß dieser die innigste Teilnahme mit ihm empfand. Doch wollte er in der Voraussicht der Vergeblichkeit aller Hoffnung seine schwere Aufgabe zu Ende führen und dachte, daß es am besten für Eberhardt und Dorothea sei, wenn sie so früh als möglich und ehe ihre gegenseitige Sehnsucht sich noch tiefer einbohrte, auf jeden fernern Versuch der Vereinigung verzichteten. Nur die Überzeugung, daß Sie doch im Unrecht sind, mein lieber junger Freund, macht es mir möglich, Ihnen zu sagen, daß Sie durch alle Gebote der Pflicht und der Ehre bestimmt werden müssen, von Ihrem Wunsche abzu¬ stehen, entgegnete er sanft. Bedenken Sie, welche Verantwortung Sie auf sich laden, wenn Sie Dvrotheens Herz fernerhin noch auf einen Weg führen, den zu verfolgen ihr unmöglich gemacht wird. Denken Sie an ihr Glück mehr als an das Ihrige. Niemals wird ihr Vater diese Verbindung zugeben, das habe ich gestern klar erkannt, oder habe ich vielmehr nur von neuem wieder ein¬ gesehen. Denn ich wußte vorher, was er erwiedern würde, und hatte Ihnen selbst es auch schon vorher gesagt. Man kann die tiefsten Anschauungen und Grundsätze eines Menschen nicht umstoßen, und der Baron Sextus ist ein Mann, der gewisse Anschauungen und Grundsätze mit einer ganz besondern Zähigkeit festhält. Er wird außerdem durch bestimmte Familiengesetze noch mehr zum Festhalten derselben bewogen. Sie haben gar keine Aussicht, Dörotheens Hand zu erhalten. Und nun bedenken Sie, was aus dem Leben eines so liebens¬ würdigen und edeln jungen Mädchens werden soll, wenn Sie fortfahren, ihr Herz zu bestürmen! Muß sie nicht umso unglücklicher werden, je mehr sie Ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/482>, abgerufen am 22.07.2024.