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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Tische gesetzt hatte. Aber das weltmännische Benehmen des alten Herrn ließ
ihn durchaus nicht empfinden, daß er etwa störe. Lächelnd wies der General
auf die höchst einfachen Schüsseln hin, die vor ihm standen, und lud ihn ein,
falls er Appetit habe, an seinem Mahle teilzunehmen, Eberhard: nahm die
Einladung dankend an, und mit unerschütterlicher Feierlichkeit, als warte er bei
Hofe auf, präsentirte ihm Großvater Degenhard in Frack und weißer Kravatte
die einzigen drei Gerichte, welche das Diner bildeten, Erzeugnisse des sandigen
Bodens der eignen Besitzung, Lohn des eignen Fleißes.

Obwohl so sehr von den Wallungen seines Herzens in Anspruch genommen,
konnte Eberhardt sich doch nicht dem Reiz entziehen, welcher in dieser an die
Lebensweise antiker Weisen liegenden Einfachheit des Daseins lag, und konnte
nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen, daß er bei so ärmlichem Mahle will¬
kommen war. Die Persönlichkeit des Grafen selbst, der Adel der Gesinnung,
dessen Spiegelbild sein Antlitz und dessen Ausdruck seine ruhige Höflichkeit war,
verlieh dieser Frugalität eine Vornehmheit, welche Eberhardt oft an den glän¬
zendsten Tafeln nicht gefunden hatte. Auch die Großartigkeit der Natur, welche
sich den bei Tische sitzenden durch die weitgeöffneten Fenster zeigte, stimmte in
wunderbarem Einklang mit diesem Haushalt zusammen, der des Pompes und
Reichtums deshalb nicht zu bedürfen schien, um zu imponiren, weil er das Ge¬
präge des größten Reichtums, nämlich der innerlich gefestigten und in sich zu¬
friedenen Menschennatur trug.

Mein junger Freund, sagte der General, sich nach der kurzen Mahlzeit er¬
hebend und indem er den Gast hinausführte unter den hölzernen Vorbau, wo
sein Lieblingsplatz war, ich bin ein so alter Mann und lebe so einsam, daß ich
viel Gelegenheit gehabt habe, nachzudenken. Und ich bin in mancher Hinsicht zu
Schlüssen gekommen, die freilich wohl der brausenden Jugend bizarr erscheinen
mögen, von denen ich Ihnen aber einiges mitteilen möchte, weil ich glaube,
Ihnen sowohl als meiner lieben Dorothea einen Dienst damit erweisen zu können.

Eberhardt blickte ihn fragend an, nicht sehr beruhigt durch diesen Anfang,
und indem er bei der Nennung des teuern Namens errötete.

Ich habe im Laufe meines Lebens eingesehen, fuhr der General fort, daß
die Tugend doch etwas Wirkliches ist und nicht bloß ein leeres Wort, wie jene
behaupten, die sich noch mit den Illusionen herumschlagen, welche im Getriebe
der ehrgeizigen, geldhungrigen und nach Genuß jagenden Welt herrschen. Wenn
so manches nach und nach verwelkt abbröckelt, wovon wir glaubten, es habe
ewig grünenden Bestand, dann werden wir sacht auf eine andre Erkenntnis hin¬
geführt und lernen einsehen, daß die Tugend einen Lohn in sich trägt, der für
alles andre reichlich entschädigt. Das Gefühl, gut zu handeln, ist so süß, daß
es jedes Opfer, welches wir bringen könnten, aufwiegt und sogar die Entbeh¬
rungen angenehm macht, die wir uns in tugendhafter Absicht auferlegen. Glauben
Sie nicht auch, daß ich damit Recht habe?


Die Grafen von Altenschwerdt.

Tische gesetzt hatte. Aber das weltmännische Benehmen des alten Herrn ließ
ihn durchaus nicht empfinden, daß er etwa störe. Lächelnd wies der General
auf die höchst einfachen Schüsseln hin, die vor ihm standen, und lud ihn ein,
falls er Appetit habe, an seinem Mahle teilzunehmen, Eberhard: nahm die
Einladung dankend an, und mit unerschütterlicher Feierlichkeit, als warte er bei
Hofe auf, präsentirte ihm Großvater Degenhard in Frack und weißer Kravatte
die einzigen drei Gerichte, welche das Diner bildeten, Erzeugnisse des sandigen
Bodens der eignen Besitzung, Lohn des eignen Fleißes.

Obwohl so sehr von den Wallungen seines Herzens in Anspruch genommen,
konnte Eberhardt sich doch nicht dem Reiz entziehen, welcher in dieser an die
Lebensweise antiker Weisen liegenden Einfachheit des Daseins lag, und konnte
nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen, daß er bei so ärmlichem Mahle will¬
kommen war. Die Persönlichkeit des Grafen selbst, der Adel der Gesinnung,
dessen Spiegelbild sein Antlitz und dessen Ausdruck seine ruhige Höflichkeit war,
verlieh dieser Frugalität eine Vornehmheit, welche Eberhardt oft an den glän¬
zendsten Tafeln nicht gefunden hatte. Auch die Großartigkeit der Natur, welche
sich den bei Tische sitzenden durch die weitgeöffneten Fenster zeigte, stimmte in
wunderbarem Einklang mit diesem Haushalt zusammen, der des Pompes und
Reichtums deshalb nicht zu bedürfen schien, um zu imponiren, weil er das Ge¬
präge des größten Reichtums, nämlich der innerlich gefestigten und in sich zu¬
friedenen Menschennatur trug.

Mein junger Freund, sagte der General, sich nach der kurzen Mahlzeit er¬
hebend und indem er den Gast hinausführte unter den hölzernen Vorbau, wo
sein Lieblingsplatz war, ich bin ein so alter Mann und lebe so einsam, daß ich
viel Gelegenheit gehabt habe, nachzudenken. Und ich bin in mancher Hinsicht zu
Schlüssen gekommen, die freilich wohl der brausenden Jugend bizarr erscheinen
mögen, von denen ich Ihnen aber einiges mitteilen möchte, weil ich glaube,
Ihnen sowohl als meiner lieben Dorothea einen Dienst damit erweisen zu können.

Eberhardt blickte ihn fragend an, nicht sehr beruhigt durch diesen Anfang,
und indem er bei der Nennung des teuern Namens errötete.

Ich habe im Laufe meines Lebens eingesehen, fuhr der General fort, daß
die Tugend doch etwas Wirkliches ist und nicht bloß ein leeres Wort, wie jene
behaupten, die sich noch mit den Illusionen herumschlagen, welche im Getriebe
der ehrgeizigen, geldhungrigen und nach Genuß jagenden Welt herrschen. Wenn
so manches nach und nach verwelkt abbröckelt, wovon wir glaubten, es habe
ewig grünenden Bestand, dann werden wir sacht auf eine andre Erkenntnis hin¬
geführt und lernen einsehen, daß die Tugend einen Lohn in sich trägt, der für
alles andre reichlich entschädigt. Das Gefühl, gut zu handeln, ist so süß, daß
es jedes Opfer, welches wir bringen könnten, aufwiegt und sogar die Entbeh¬
rungen angenehm macht, die wir uns in tugendhafter Absicht auferlegen. Glauben
Sie nicht auch, daß ich damit Recht habe?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/479>, abgerufen am 22.07.2024.