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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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j)ompejanische öpaziergLnge.

wollen, werden höchstens auf Jos lieblicher Stirn zwei winzige, vom Haupt¬
haar halb verdeckte Hörnchen anbringen -- die einzige Erinnerung, die auf einem
Gemälde von der Metamorphose der Tochter des Inachos übrig bleiben wird.
Gerade so verhält es sich mit ihrem Wächter; die hundert Augen, welche der
Mythus ihm giebt, ergötzen den Ovid höchlich, der ihm dazu gratulire, daß er
sich überallhin zu wenden vermöge, ohne je sein Opfer aus den Augen zu ver¬
lieren. Wenn der Maler hier der Tradition treu bleiben wollte, so würde er
immer nur eine groteske Figur zustande bringen. Er stellt also den Argos
dreist wie einen gewöhnlichen Hirten dar und hängt ihm bloß ein Leopardenfell
über die Schultern, dessen Flecken für den gutwilligen Betrachter die hundert
Augen der Sage zu bedeuten haben. So stößt der Maler auf Schwierigkeiten,
die für den Dichter nicht vorhanden sind, und so muß er manchmal dieselben
Stoffe verschieden behandeln.

Diese Verschiedenheiten waren, wie gesagt, unvermeidlich, denn sie ergaben
sich aus den unabänderlichen Bedingungen der beiden Künste selbst und bedürfen
also keiner weitern Erörterung. Es giebt aber noch eine andre Verschiedenheit,
die wichtiger ist und die Maler von Pompeji scharf von den lateinischen Dich¬
tern trennt. Die übrigen Künste, welche aus Griechenland nach Rom gekommen
sind, scheinen keine Anstrengung gescheut zu haben, um sich in ihrem neuen
Vaterlande zu Mimatisiren; sie haben irgendwie dessen Eigenschaften und Cha¬
rakter angenommen. Die Malerei dagegen ist niemals römisch geworden. Nicht
als hätte sie sich mehr als die andern über den Empfang zu beklagen gehabt,
den ihr die Römer bereiteten. Seit dem Tage, da Aemilius Paulus den Metro-
doros aus Athen kommen ließ, um die Bilder zu malen, die seinen Triumph
verherrlichen sollten, und ihm die Erziehung seiner Kinder anvertraute, hatten
große Künstler in Rom Ehre und Lohn in Fülle gefunden. Schöne Gemälde
wurden dort ebenso teuer bezahlt wie die Bildsäulen von Meisterhand; war
man eifrig bestrebt, die Plätze oder Säulenhallen mit marmornen oder ehernen
Statuen der Götter und der großen Männer auszustatten, so fand man nicht
minder daran Gefallen, öffentliche oder private Gebäude mit Fresken zu schmücken,
und eben das Beispiel von Pompeji zeigt uns, wie allgemein diese Neigung
geworden war. Dafür, daß die Malerei in Rom, auch in den ältesten Zeiten,
in hohem Ansehen stand, spricht auch der Umstand, daß sie eine der ersten
Künste ist, in welcher die Römer sich selbst versuchten. Noch vor den Punischen
Kriegen hat es ein Patrizier, ein Mann aus uraltem und berühmtem Geschlecht,
nicht verschmäht, ein Schüler der griechischen Künstler zu werden und mit
eigner Hand einen Tempel auszumalen. Sein Talent erwarb ihm so großen
Ruf, daß man ihn nur noch Fabius den Maler (Mbius ?iewr) nannte und
seine Familie diesen Namen beibehielt. Seit jener Zeit haben in dem Ver¬
zeichnis der Maler, die es zur Berühmtheit gebracht, die Römer nicht gefehlt,
und unter denen, deren Andenken Plinius uns erhalten hat, war einer so stolz


j)ompejanische öpaziergLnge.

wollen, werden höchstens auf Jos lieblicher Stirn zwei winzige, vom Haupt¬
haar halb verdeckte Hörnchen anbringen — die einzige Erinnerung, die auf einem
Gemälde von der Metamorphose der Tochter des Inachos übrig bleiben wird.
Gerade so verhält es sich mit ihrem Wächter; die hundert Augen, welche der
Mythus ihm giebt, ergötzen den Ovid höchlich, der ihm dazu gratulire, daß er
sich überallhin zu wenden vermöge, ohne je sein Opfer aus den Augen zu ver¬
lieren. Wenn der Maler hier der Tradition treu bleiben wollte, so würde er
immer nur eine groteske Figur zustande bringen. Er stellt also den Argos
dreist wie einen gewöhnlichen Hirten dar und hängt ihm bloß ein Leopardenfell
über die Schultern, dessen Flecken für den gutwilligen Betrachter die hundert
Augen der Sage zu bedeuten haben. So stößt der Maler auf Schwierigkeiten,
die für den Dichter nicht vorhanden sind, und so muß er manchmal dieselben
Stoffe verschieden behandeln.

Diese Verschiedenheiten waren, wie gesagt, unvermeidlich, denn sie ergaben
sich aus den unabänderlichen Bedingungen der beiden Künste selbst und bedürfen
also keiner weitern Erörterung. Es giebt aber noch eine andre Verschiedenheit,
die wichtiger ist und die Maler von Pompeji scharf von den lateinischen Dich¬
tern trennt. Die übrigen Künste, welche aus Griechenland nach Rom gekommen
sind, scheinen keine Anstrengung gescheut zu haben, um sich in ihrem neuen
Vaterlande zu Mimatisiren; sie haben irgendwie dessen Eigenschaften und Cha¬
rakter angenommen. Die Malerei dagegen ist niemals römisch geworden. Nicht
als hätte sie sich mehr als die andern über den Empfang zu beklagen gehabt,
den ihr die Römer bereiteten. Seit dem Tage, da Aemilius Paulus den Metro-
doros aus Athen kommen ließ, um die Bilder zu malen, die seinen Triumph
verherrlichen sollten, und ihm die Erziehung seiner Kinder anvertraute, hatten
große Künstler in Rom Ehre und Lohn in Fülle gefunden. Schöne Gemälde
wurden dort ebenso teuer bezahlt wie die Bildsäulen von Meisterhand; war
man eifrig bestrebt, die Plätze oder Säulenhallen mit marmornen oder ehernen
Statuen der Götter und der großen Männer auszustatten, so fand man nicht
minder daran Gefallen, öffentliche oder private Gebäude mit Fresken zu schmücken,
und eben das Beispiel von Pompeji zeigt uns, wie allgemein diese Neigung
geworden war. Dafür, daß die Malerei in Rom, auch in den ältesten Zeiten,
in hohem Ansehen stand, spricht auch der Umstand, daß sie eine der ersten
Künste ist, in welcher die Römer sich selbst versuchten. Noch vor den Punischen
Kriegen hat es ein Patrizier, ein Mann aus uraltem und berühmtem Geschlecht,
nicht verschmäht, ein Schüler der griechischen Künstler zu werden und mit
eigner Hand einen Tempel auszumalen. Sein Talent erwarb ihm so großen
Ruf, daß man ihn nur noch Fabius den Maler (Mbius ?iewr) nannte und
seine Familie diesen Namen beibehielt. Seit jener Zeit haben in dem Ver¬
zeichnis der Maler, die es zur Berühmtheit gebracht, die Römer nicht gefehlt,
und unter denen, deren Andenken Plinius uns erhalten hat, war einer so stolz


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[0466] j)ompejanische öpaziergLnge. wollen, werden höchstens auf Jos lieblicher Stirn zwei winzige, vom Haupt¬ haar halb verdeckte Hörnchen anbringen — die einzige Erinnerung, die auf einem Gemälde von der Metamorphose der Tochter des Inachos übrig bleiben wird. Gerade so verhält es sich mit ihrem Wächter; die hundert Augen, welche der Mythus ihm giebt, ergötzen den Ovid höchlich, der ihm dazu gratulire, daß er sich überallhin zu wenden vermöge, ohne je sein Opfer aus den Augen zu ver¬ lieren. Wenn der Maler hier der Tradition treu bleiben wollte, so würde er immer nur eine groteske Figur zustande bringen. Er stellt also den Argos dreist wie einen gewöhnlichen Hirten dar und hängt ihm bloß ein Leopardenfell über die Schultern, dessen Flecken für den gutwilligen Betrachter die hundert Augen der Sage zu bedeuten haben. So stößt der Maler auf Schwierigkeiten, die für den Dichter nicht vorhanden sind, und so muß er manchmal dieselben Stoffe verschieden behandeln. Diese Verschiedenheiten waren, wie gesagt, unvermeidlich, denn sie ergaben sich aus den unabänderlichen Bedingungen der beiden Künste selbst und bedürfen also keiner weitern Erörterung. Es giebt aber noch eine andre Verschiedenheit, die wichtiger ist und die Maler von Pompeji scharf von den lateinischen Dich¬ tern trennt. Die übrigen Künste, welche aus Griechenland nach Rom gekommen sind, scheinen keine Anstrengung gescheut zu haben, um sich in ihrem neuen Vaterlande zu Mimatisiren; sie haben irgendwie dessen Eigenschaften und Cha¬ rakter angenommen. Die Malerei dagegen ist niemals römisch geworden. Nicht als hätte sie sich mehr als die andern über den Empfang zu beklagen gehabt, den ihr die Römer bereiteten. Seit dem Tage, da Aemilius Paulus den Metro- doros aus Athen kommen ließ, um die Bilder zu malen, die seinen Triumph verherrlichen sollten, und ihm die Erziehung seiner Kinder anvertraute, hatten große Künstler in Rom Ehre und Lohn in Fülle gefunden. Schöne Gemälde wurden dort ebenso teuer bezahlt wie die Bildsäulen von Meisterhand; war man eifrig bestrebt, die Plätze oder Säulenhallen mit marmornen oder ehernen Statuen der Götter und der großen Männer auszustatten, so fand man nicht minder daran Gefallen, öffentliche oder private Gebäude mit Fresken zu schmücken, und eben das Beispiel von Pompeji zeigt uns, wie allgemein diese Neigung geworden war. Dafür, daß die Malerei in Rom, auch in den ältesten Zeiten, in hohem Ansehen stand, spricht auch der Umstand, daß sie eine der ersten Künste ist, in welcher die Römer sich selbst versuchten. Noch vor den Punischen Kriegen hat es ein Patrizier, ein Mann aus uraltem und berühmtem Geschlecht, nicht verschmäht, ein Schüler der griechischen Künstler zu werden und mit eigner Hand einen Tempel auszumalen. Sein Talent erwarb ihm so großen Ruf, daß man ihn nur noch Fabius den Maler (Mbius ?iewr) nannte und seine Familie diesen Namen beibehielt. Seit jener Zeit haben in dem Ver¬ zeichnis der Maler, die es zur Berühmtheit gebracht, die Römer nicht gefehlt, und unter denen, deren Andenken Plinius uns erhalten hat, war einer so stolz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/466>, abgerufen am 22.07.2024.