Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Katharina die Zweite als Journalistin.

1. Warum streitet man sich bei uns so heftig um Wahrheiten, welche nirgends
mehr dem geringsten Zweifel begegnen?

Antwort. Bei uns, wie überall, streitet jeder über alles, was ihm nicht
gefällt oder nicht verständlich ist.

2. Weshalb sieht man so viele tüchtige Menschen verabschiedet?

A. Viele tüchtige Menschen sind wahrscheinlich deshalb aus dem Dienste ge¬
treten, weil sie darin ihren Vorteil finden.

3. Warum ist alle Welt verschuldet?

A. Weil die Menschen mehr verbrauchen, als sie Einnahme haben.

4. Wenn Verdienste durch Adel belohnt werden und zu dem Verdienste jedem
Bürger das Feld eröffnet ist, wie kommt es, daß dennoch niemals Kaufleute deu
Adel erlangen, sondern immer entweder Fabrikherren oder Pächter?

A. Die einen, dn sie reicher sind als die andern, haben Gelegenheit, irgend
ein Verdienst ein deu Tag zu legen, auf welches sie daun die Auszeichnung em¬
pfangen.

5. Warum lassen die Prozessirenden bei uns ihre Prozesse und die Entschei¬
dungen der Regierung nicht drucken?

A. Weil es bis 1782 keine freien Druckereien gab.

6. Warum vermindern sich nicht nur in Petersburg, sondern auch in Moskau
die Gesellschaften unter den Aristokraten?

A. Weil sich die Klubs vermehren.

7. Warum besteht das Hauptbestreben eines großen Teils des Adels nicht
darin, möglichst schnell aus seinen Kindern Menschen zu mache", souderu darin,
daß sie ohne eine Anstellung rasch Garde-Unteroffiziere werden?

A. Das eine ist leichter als das andre.

8. Warum siud unsre Gespräche so inhaltslos?

A. Weil man von Einbildungen spricht.

9. Weshalb nimmt man bekannte und offenbare Gauner überall ebenso auf
wie achtbare Menschen?

A. Deshalb, weil sie gerichtlich nicht überführt sind.

10. Warum hat in Ewigkeit kein Gesetzgeber darauf gesonnen, sich nach dieser
Richtung hin auszuzeichnen?

A. Weil das nicht jedermanns Sache ist.

11. Warum bringen die Ehrenzeichen, welche wahre Verdienste um das
Vaterland bezeugen sollen, meistenteils nicht die geringste innere Achtung gegen
deren Träger hervor?

A. Weil jeder nur das ihm Gleiche liebt und achtet, und nicht gesellige oder
Persönliche Tugend.

12. Warum ist Unthätigkeit bei uus keine Schande?

A. Dies ist nicht exakt. Eine Schande ist es, schlecht zu handeln, doch in
der Gesellschaft leben heißt nicht unthätig sein.

13. Wodurch kaun man den verfallenden Geist des Adels heben? Auf welche
Weise ist aus den Herzen die Indolenz gegen die Würde des adlichen Berufes
zu beseitigen? Was ist zu thun, damit der ehrenwerte Titel eines Aristokraten
das zweifellose Zeichen geistigen Adels werde?

A. Die Vergleichung früherer Zeiten mit den gegenwärtigen zeigt evident,
ob die Geister ermutigt oder gesunken siud. Das beweist schon die äußere Er¬
scheinung, der Gang u. s. w.


Katharina die Zweite als Journalistin.

1. Warum streitet man sich bei uns so heftig um Wahrheiten, welche nirgends
mehr dem geringsten Zweifel begegnen?

Antwort. Bei uns, wie überall, streitet jeder über alles, was ihm nicht
gefällt oder nicht verständlich ist.

2. Weshalb sieht man so viele tüchtige Menschen verabschiedet?

A. Viele tüchtige Menschen sind wahrscheinlich deshalb aus dem Dienste ge¬
treten, weil sie darin ihren Vorteil finden.

3. Warum ist alle Welt verschuldet?

A. Weil die Menschen mehr verbrauchen, als sie Einnahme haben.

4. Wenn Verdienste durch Adel belohnt werden und zu dem Verdienste jedem
Bürger das Feld eröffnet ist, wie kommt es, daß dennoch niemals Kaufleute deu
Adel erlangen, sondern immer entweder Fabrikherren oder Pächter?

A. Die einen, dn sie reicher sind als die andern, haben Gelegenheit, irgend
ein Verdienst ein deu Tag zu legen, auf welches sie daun die Auszeichnung em¬
pfangen.

5. Warum lassen die Prozessirenden bei uns ihre Prozesse und die Entschei¬
dungen der Regierung nicht drucken?

A. Weil es bis 1782 keine freien Druckereien gab.

6. Warum vermindern sich nicht nur in Petersburg, sondern auch in Moskau
die Gesellschaften unter den Aristokraten?

A. Weil sich die Klubs vermehren.

7. Warum besteht das Hauptbestreben eines großen Teils des Adels nicht
darin, möglichst schnell aus seinen Kindern Menschen zu mache», souderu darin,
daß sie ohne eine Anstellung rasch Garde-Unteroffiziere werden?

A. Das eine ist leichter als das andre.

8. Warum siud unsre Gespräche so inhaltslos?

A. Weil man von Einbildungen spricht.

9. Weshalb nimmt man bekannte und offenbare Gauner überall ebenso auf
wie achtbare Menschen?

A. Deshalb, weil sie gerichtlich nicht überführt sind.

10. Warum hat in Ewigkeit kein Gesetzgeber darauf gesonnen, sich nach dieser
Richtung hin auszuzeichnen?

A. Weil das nicht jedermanns Sache ist.

11. Warum bringen die Ehrenzeichen, welche wahre Verdienste um das
Vaterland bezeugen sollen, meistenteils nicht die geringste innere Achtung gegen
deren Träger hervor?

A. Weil jeder nur das ihm Gleiche liebt und achtet, und nicht gesellige oder
Persönliche Tugend.

12. Warum ist Unthätigkeit bei uus keine Schande?

A. Dies ist nicht exakt. Eine Schande ist es, schlecht zu handeln, doch in
der Gesellschaft leben heißt nicht unthätig sein.

13. Wodurch kaun man den verfallenden Geist des Adels heben? Auf welche
Weise ist aus den Herzen die Indolenz gegen die Würde des adlichen Berufes
zu beseitigen? Was ist zu thun, damit der ehrenwerte Titel eines Aristokraten
das zweifellose Zeichen geistigen Adels werde?

A. Die Vergleichung früherer Zeiten mit den gegenwärtigen zeigt evident,
ob die Geister ermutigt oder gesunken siud. Das beweist schon die äußere Er¬
scheinung, der Gang u. s. w.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153202"/>
          <fw type="header" place="top"> Katharina die Zweite als Journalistin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1775"> 1. Warum streitet man sich bei uns so heftig um Wahrheiten, welche nirgends<lb/>
mehr dem geringsten Zweifel begegnen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1776"> Antwort. Bei uns, wie überall, streitet jeder über alles, was ihm nicht<lb/>
gefällt oder nicht verständlich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1777"> 2. Weshalb sieht man so viele tüchtige Menschen verabschiedet?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1778"> A. Viele tüchtige Menschen sind wahrscheinlich deshalb aus dem Dienste ge¬<lb/>
treten, weil sie darin ihren Vorteil finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1779"> 3. Warum ist alle Welt verschuldet?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1780"> A. Weil die Menschen mehr verbrauchen, als sie Einnahme haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1781"> 4. Wenn Verdienste durch Adel belohnt werden und zu dem Verdienste jedem<lb/>
Bürger das Feld eröffnet ist, wie kommt es, daß dennoch niemals Kaufleute deu<lb/>
Adel erlangen, sondern immer entweder Fabrikherren oder Pächter?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1782"> A. Die einen, dn sie reicher sind als die andern, haben Gelegenheit, irgend<lb/>
ein Verdienst ein deu Tag zu legen, auf welches sie daun die Auszeichnung em¬<lb/>
pfangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1783"> 5. Warum lassen die Prozessirenden bei uns ihre Prozesse und die Entschei¬<lb/>
dungen der Regierung nicht drucken?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1784"> A. Weil es bis 1782 keine freien Druckereien gab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1785"> 6. Warum vermindern sich nicht nur in Petersburg, sondern auch in Moskau<lb/>
die Gesellschaften unter den Aristokraten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1786"> A. Weil sich die Klubs vermehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1787"> 7. Warum besteht das Hauptbestreben eines großen Teils des Adels nicht<lb/>
darin, möglichst schnell aus seinen Kindern Menschen zu mache», souderu darin,<lb/>
daß sie ohne eine Anstellung rasch Garde-Unteroffiziere werden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1788"> A. Das eine ist leichter als das andre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1789"> 8. Warum siud unsre Gespräche so inhaltslos?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1790"> A. Weil man von Einbildungen spricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1791"> 9. Weshalb nimmt man bekannte und offenbare Gauner überall ebenso auf<lb/>
wie achtbare Menschen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1792"> A. Deshalb, weil sie gerichtlich nicht überführt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1793"> 10. Warum hat in Ewigkeit kein Gesetzgeber darauf gesonnen, sich nach dieser<lb/>
Richtung hin auszuzeichnen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1794"> A. Weil das nicht jedermanns Sache ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1795"> 11. Warum bringen die Ehrenzeichen, welche wahre Verdienste um das<lb/>
Vaterland bezeugen sollen, meistenteils nicht die geringste innere Achtung gegen<lb/>
deren Träger hervor?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1796"> A. Weil jeder nur das ihm Gleiche liebt und achtet, und nicht gesellige oder<lb/>
Persönliche Tugend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1797"> 12. Warum ist Unthätigkeit bei uus keine Schande?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1798"> A. Dies ist nicht exakt. Eine Schande ist es, schlecht zu handeln, doch in<lb/>
der Gesellschaft leben heißt nicht unthätig sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1799"> 13. Wodurch kaun man den verfallenden Geist des Adels heben? Auf welche<lb/>
Weise ist aus den Herzen die Indolenz gegen die Würde des adlichen Berufes<lb/>
zu beseitigen? Was ist zu thun, damit der ehrenwerte Titel eines Aristokraten<lb/>
das zweifellose Zeichen geistigen Adels werde?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1800"> A. Die Vergleichung früherer Zeiten mit den gegenwärtigen zeigt evident,<lb/>
ob die Geister ermutigt oder gesunken siud. Das beweist schon die äußere Er¬<lb/>
scheinung, der Gang u. s. w.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] Katharina die Zweite als Journalistin. 1. Warum streitet man sich bei uns so heftig um Wahrheiten, welche nirgends mehr dem geringsten Zweifel begegnen? Antwort. Bei uns, wie überall, streitet jeder über alles, was ihm nicht gefällt oder nicht verständlich ist. 2. Weshalb sieht man so viele tüchtige Menschen verabschiedet? A. Viele tüchtige Menschen sind wahrscheinlich deshalb aus dem Dienste ge¬ treten, weil sie darin ihren Vorteil finden. 3. Warum ist alle Welt verschuldet? A. Weil die Menschen mehr verbrauchen, als sie Einnahme haben. 4. Wenn Verdienste durch Adel belohnt werden und zu dem Verdienste jedem Bürger das Feld eröffnet ist, wie kommt es, daß dennoch niemals Kaufleute deu Adel erlangen, sondern immer entweder Fabrikherren oder Pächter? A. Die einen, dn sie reicher sind als die andern, haben Gelegenheit, irgend ein Verdienst ein deu Tag zu legen, auf welches sie daun die Auszeichnung em¬ pfangen. 5. Warum lassen die Prozessirenden bei uns ihre Prozesse und die Entschei¬ dungen der Regierung nicht drucken? A. Weil es bis 1782 keine freien Druckereien gab. 6. Warum vermindern sich nicht nur in Petersburg, sondern auch in Moskau die Gesellschaften unter den Aristokraten? A. Weil sich die Klubs vermehren. 7. Warum besteht das Hauptbestreben eines großen Teils des Adels nicht darin, möglichst schnell aus seinen Kindern Menschen zu mache», souderu darin, daß sie ohne eine Anstellung rasch Garde-Unteroffiziere werden? A. Das eine ist leichter als das andre. 8. Warum siud unsre Gespräche so inhaltslos? A. Weil man von Einbildungen spricht. 9. Weshalb nimmt man bekannte und offenbare Gauner überall ebenso auf wie achtbare Menschen? A. Deshalb, weil sie gerichtlich nicht überführt sind. 10. Warum hat in Ewigkeit kein Gesetzgeber darauf gesonnen, sich nach dieser Richtung hin auszuzeichnen? A. Weil das nicht jedermanns Sache ist. 11. Warum bringen die Ehrenzeichen, welche wahre Verdienste um das Vaterland bezeugen sollen, meistenteils nicht die geringste innere Achtung gegen deren Träger hervor? A. Weil jeder nur das ihm Gleiche liebt und achtet, und nicht gesellige oder Persönliche Tugend. 12. Warum ist Unthätigkeit bei uus keine Schande? A. Dies ist nicht exakt. Eine Schande ist es, schlecht zu handeln, doch in der Gesellschaft leben heißt nicht unthätig sein. 13. Wodurch kaun man den verfallenden Geist des Adels heben? Auf welche Weise ist aus den Herzen die Indolenz gegen die Würde des adlichen Berufes zu beseitigen? Was ist zu thun, damit der ehrenwerte Titel eines Aristokraten das zweifellose Zeichen geistigen Adels werde? A. Die Vergleichung früherer Zeiten mit den gegenwärtigen zeigt evident, ob die Geister ermutigt oder gesunken siud. Das beweist schon die äußere Er¬ scheinung, der Gang u. s. w.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/453>, abgerufen am 22.07.2024.