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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

sagt. So ziehe ich den größten Teil des Jahres draußen umher, und wenn
ich hier im alten Schlosse meiner Väter sitze, gräme ich mich. Darf ich mich
da nicht der Hoffnung hingeben, die wenigen Jahre, die mir noch beschieden
sind, in der Gesellschaft einer Frau von Geist und Gemüt zu verleben, die mein
Geschwätz geduldig anhört, mir diese öden Räume behaglich macht, sodasz ich
sie doch endlich noch einmal mit dem Gefühl bewohnen kann, in meiner eignen
Stammburg heimisch zu sein -- und die mir zuletzt die Augen zudrückt? Und
wer weiß -- vielleicht hat mir der Himmel für mein Lebensende noch eine
Gnade vorbehalten, um die ich ihn beinahe seit dreißig Jahren vergeblich an¬
gefleht habe.

Baron Sextus beschattete die Augen mit seiner Hand. Er war tief bewegt.

Der General hatte ihm mit großer Sympathie zugehört. Er konnte sich
in die Gefühle seines Freundes hineindenken, obwohl er selbst von ganz andrer
Lebensanschauung war und obwohl er in seiner Vereinsamung bei der Vor¬
stellung, eine solche Tochter, wie Dorothea, sein nennen zu können, den Baron un¬
dankbar nennen mußte. Seine Menschenkenntnis ließ ihn die größten Befürch¬
tungen für den Freund hegen, denn er beurteilte die Gräfin von Altenschwerdt
anders und bezweifelte wohl nicht ihren Geist, aber ihr Gemüt. Großer Gott!
sagte er sich, wie blind sind wir Menschen! Wie wenig sind wir befähigt, uns
selbst zu beurteilen und wie dankbar müssen wir dir sein, daß du nicht nach
unserm Willen, sondern nach deiner Weisheit mit uns handelst!

Er ließ dem Freunde Zeit, sich wieder zu fassen, und fragte dann, in der
Absicht, jetzt jenen andern Punkt herbeizuziehen, der ihm am Herzen lag: Was
wird Ihre Tochter Dorothea dazu sagen, wenn Sie heiraten?

Meine Tochter Dorothea, erwiederte Baron Sextus, ist ein so vortreff¬
liches Mädchen,' daß sie sich über alles freuen wird, was ihren Vater glück¬
lich macht.

Ja, mein Freund, sagte der General nachdrücklich, da haben Sie ein wahres
Wort gesprochen. Dorothea ist eine Perle, sie ist ein großer Schatz.

In vielen Fällen, fuhr der Baron fort, ist es ein sehr unerquickliches Ver¬
hältnis, wenn erwachsene Kinder leben, während der Vater sich zum zweitenmal
verheiratet. Aber hier ist das ja auch anders. Ich denke dann erst meinem
Wunsch Ausdruck zu geben, wenn Dorothea verheiratet sein wird. Und es ist
meine Absicht, daß sie ihren Mann nach Paris begleiten soll. Graf Dietrich
soll in seiner diplomatischen Laufbahn bleiben. Ich habe an mir selbst gesehen,
wie bedenklich es ist, wenn ein Mann seine Thätigkeit dem Lande zu früh ent¬
zieht und sich auf sich selbst zurückzieht. Es macht egoistisch.

Graf Dietrich ist ein sehr liebenswürdiger junger Herr und entspricht gewiß
ganz Ihren Erwartungen, sagte der General.

Baron Sextus schwieg und nahm eine frische Cigarre. Sehen Sie, mein
lieber Herr Nachbar, sagte er dann, ich denke, er wird sich, wenn er erst unter


Die Grafen von Altenschwerdt.

sagt. So ziehe ich den größten Teil des Jahres draußen umher, und wenn
ich hier im alten Schlosse meiner Väter sitze, gräme ich mich. Darf ich mich
da nicht der Hoffnung hingeben, die wenigen Jahre, die mir noch beschieden
sind, in der Gesellschaft einer Frau von Geist und Gemüt zu verleben, die mein
Geschwätz geduldig anhört, mir diese öden Räume behaglich macht, sodasz ich
sie doch endlich noch einmal mit dem Gefühl bewohnen kann, in meiner eignen
Stammburg heimisch zu sein — und die mir zuletzt die Augen zudrückt? Und
wer weiß — vielleicht hat mir der Himmel für mein Lebensende noch eine
Gnade vorbehalten, um die ich ihn beinahe seit dreißig Jahren vergeblich an¬
gefleht habe.

Baron Sextus beschattete die Augen mit seiner Hand. Er war tief bewegt.

Der General hatte ihm mit großer Sympathie zugehört. Er konnte sich
in die Gefühle seines Freundes hineindenken, obwohl er selbst von ganz andrer
Lebensanschauung war und obwohl er in seiner Vereinsamung bei der Vor¬
stellung, eine solche Tochter, wie Dorothea, sein nennen zu können, den Baron un¬
dankbar nennen mußte. Seine Menschenkenntnis ließ ihn die größten Befürch¬
tungen für den Freund hegen, denn er beurteilte die Gräfin von Altenschwerdt
anders und bezweifelte wohl nicht ihren Geist, aber ihr Gemüt. Großer Gott!
sagte er sich, wie blind sind wir Menschen! Wie wenig sind wir befähigt, uns
selbst zu beurteilen und wie dankbar müssen wir dir sein, daß du nicht nach
unserm Willen, sondern nach deiner Weisheit mit uns handelst!

Er ließ dem Freunde Zeit, sich wieder zu fassen, und fragte dann, in der
Absicht, jetzt jenen andern Punkt herbeizuziehen, der ihm am Herzen lag: Was
wird Ihre Tochter Dorothea dazu sagen, wenn Sie heiraten?

Meine Tochter Dorothea, erwiederte Baron Sextus, ist ein so vortreff¬
liches Mädchen,' daß sie sich über alles freuen wird, was ihren Vater glück¬
lich macht.

Ja, mein Freund, sagte der General nachdrücklich, da haben Sie ein wahres
Wort gesprochen. Dorothea ist eine Perle, sie ist ein großer Schatz.

In vielen Fällen, fuhr der Baron fort, ist es ein sehr unerquickliches Ver¬
hältnis, wenn erwachsene Kinder leben, während der Vater sich zum zweitenmal
verheiratet. Aber hier ist das ja auch anders. Ich denke dann erst meinem
Wunsch Ausdruck zu geben, wenn Dorothea verheiratet sein wird. Und es ist
meine Absicht, daß sie ihren Mann nach Paris begleiten soll. Graf Dietrich
soll in seiner diplomatischen Laufbahn bleiben. Ich habe an mir selbst gesehen,
wie bedenklich es ist, wenn ein Mann seine Thätigkeit dem Lande zu früh ent¬
zieht und sich auf sich selbst zurückzieht. Es macht egoistisch.

Graf Dietrich ist ein sehr liebenswürdiger junger Herr und entspricht gewiß
ganz Ihren Erwartungen, sagte der General.

Baron Sextus schwieg und nahm eine frische Cigarre. Sehen Sie, mein
lieber Herr Nachbar, sagte er dann, ich denke, er wird sich, wenn er erst unter


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[0424] Die Grafen von Altenschwerdt. sagt. So ziehe ich den größten Teil des Jahres draußen umher, und wenn ich hier im alten Schlosse meiner Väter sitze, gräme ich mich. Darf ich mich da nicht der Hoffnung hingeben, die wenigen Jahre, die mir noch beschieden sind, in der Gesellschaft einer Frau von Geist und Gemüt zu verleben, die mein Geschwätz geduldig anhört, mir diese öden Räume behaglich macht, sodasz ich sie doch endlich noch einmal mit dem Gefühl bewohnen kann, in meiner eignen Stammburg heimisch zu sein — und die mir zuletzt die Augen zudrückt? Und wer weiß — vielleicht hat mir der Himmel für mein Lebensende noch eine Gnade vorbehalten, um die ich ihn beinahe seit dreißig Jahren vergeblich an¬ gefleht habe. Baron Sextus beschattete die Augen mit seiner Hand. Er war tief bewegt. Der General hatte ihm mit großer Sympathie zugehört. Er konnte sich in die Gefühle seines Freundes hineindenken, obwohl er selbst von ganz andrer Lebensanschauung war und obwohl er in seiner Vereinsamung bei der Vor¬ stellung, eine solche Tochter, wie Dorothea, sein nennen zu können, den Baron un¬ dankbar nennen mußte. Seine Menschenkenntnis ließ ihn die größten Befürch¬ tungen für den Freund hegen, denn er beurteilte die Gräfin von Altenschwerdt anders und bezweifelte wohl nicht ihren Geist, aber ihr Gemüt. Großer Gott! sagte er sich, wie blind sind wir Menschen! Wie wenig sind wir befähigt, uns selbst zu beurteilen und wie dankbar müssen wir dir sein, daß du nicht nach unserm Willen, sondern nach deiner Weisheit mit uns handelst! Er ließ dem Freunde Zeit, sich wieder zu fassen, und fragte dann, in der Absicht, jetzt jenen andern Punkt herbeizuziehen, der ihm am Herzen lag: Was wird Ihre Tochter Dorothea dazu sagen, wenn Sie heiraten? Meine Tochter Dorothea, erwiederte Baron Sextus, ist ein so vortreff¬ liches Mädchen,' daß sie sich über alles freuen wird, was ihren Vater glück¬ lich macht. Ja, mein Freund, sagte der General nachdrücklich, da haben Sie ein wahres Wort gesprochen. Dorothea ist eine Perle, sie ist ein großer Schatz. In vielen Fällen, fuhr der Baron fort, ist es ein sehr unerquickliches Ver¬ hältnis, wenn erwachsene Kinder leben, während der Vater sich zum zweitenmal verheiratet. Aber hier ist das ja auch anders. Ich denke dann erst meinem Wunsch Ausdruck zu geben, wenn Dorothea verheiratet sein wird. Und es ist meine Absicht, daß sie ihren Mann nach Paris begleiten soll. Graf Dietrich soll in seiner diplomatischen Laufbahn bleiben. Ich habe an mir selbst gesehen, wie bedenklich es ist, wenn ein Mann seine Thätigkeit dem Lande zu früh ent¬ zieht und sich auf sich selbst zurückzieht. Es macht egoistisch. Graf Dietrich ist ein sehr liebenswürdiger junger Herr und entspricht gewiß ganz Ihren Erwartungen, sagte der General. Baron Sextus schwieg und nahm eine frische Cigarre. Sehen Sie, mein lieber Herr Nachbar, sagte er dann, ich denke, er wird sich, wenn er erst unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/424>, abgerufen am 24.08.2024.