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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Nachgiebigkeit gegen sich selbst bemerkt hatte, von der er zu denken geneigt war,
daß sie nur eine Minute etwa gedauert habe.

Hatte es aber die Gräfin auch verstanden, ihren Besuch für den Baron zu
einer wahren Freude zu machen, indem sie alle Unbequemlichkeiten, die sür einen
in seinen Eigenheiten festgewurzelten ältern Herrn durch die dauernde Anwesen¬
heit Fremder wohl entstehen können, kluger Weise in eben so viele Annehmlich¬
keiten verwandelte, so scheiterten nach einer andern Richtung hin alle ihre Künste.
Dorothea gegenüber vermochte sie keine Fortschritte zu machen. Sie hätte so
sehr gewünscht, eine gewisse Autorität über das junge Mädchen zu gewinnen,
durch welche sie die allzu laue Werbung ihres Sohnes hätte unterstützen
können, aber sie mußte sich überzeuge", daß dies Herz sich umso fester zu¬
schloß, je dringender sie an dessen Pforte pochte. Schon nach dem ersten
Abend hatte sie die Umarmungen und Küsse weggelassen, womit sie zuerst stür¬
misch vorgegangen war, und hatte das Wesen einer mütterlichen Freundin an¬
genommen, welche durch ihre Lebenserfahrung geeignet ist, über die Jüngere
belehrend zu wachen. Aber ihre Grundsätze standen auf zu unsicherm Funda¬
ment, als daß sie nicht gegenüber der lichtvollen Lebensanschauung Dorotheens
sich als Sophismen hätten zeigen müssen, und sie hatte auch diesen Ton all¬
mählich verlassen. Nun zeigte sie sich als Freundin ohne die mütterliche Über¬
legenheit und gründete ihre Unterhaltung auf das Interesse an der Kunst, welches
sie in hohem Maße zu besitzen vorgab. Aber auch hier fühlte sie sich auf un-
gewissem Boden und beschränkte sich gar bald auf die bloße Beteuerung ihrer
Vorliebe für die Komponisten, welche Dorothea liebte, weil sie fühlte, daß die¬
selbe ganz andre Ansichten hatte als sie. Es war der Gräfin niemals in den
Sinn gekommen, daß die Kunst eine andre Bedeutung habe als die, reiche und
vornehme Leute zu amüsiren, und sie stand verlegen vor der Anschauung Do¬
rotheens, daß die Musik eine ernste und bedeutungsvolle Seite für die Erziehung
des Gemütes habe. So mußte sie sich immer mehr auf die Beobachtung einer
äußerlichen Zuvorkommenheit beschränken, und oft sah sie von der Seite, wenn
sie sich um den Baron bemühte, mit einem finstern und haßerfüllten Blick nach
Dorothea hiu, einem Blick, der dem Baron sehr aufgefallen sein würde, wenn
er ihn jemals überrascht hätte. Dieses Mädchen, sagte sich die Gräfin, ist das
Hindernis meines Erfolgs.

Dorothea ihrerseits durchschaute die Gräfin wohl nicht vollständig, aber
sah doch genug, um bekümmert zu sein. Alle die kleinen Liebkosungen, mit
welchen sie ihrem Vater sich zu nähern nie aufgegeben hatte, waren überflüssig
geworden und beiseite gedrängt durch diese schmeichlerische Frau, und mit
tiefer Betrübnis verfolgte sie die Fortschritte, welche die Fremde bei dem trotz
seiner Gleichgiltigkeit und Schroffheit innig geliebten Urheber ihrer Tage
machte.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Nachgiebigkeit gegen sich selbst bemerkt hatte, von der er zu denken geneigt war,
daß sie nur eine Minute etwa gedauert habe.

Hatte es aber die Gräfin auch verstanden, ihren Besuch für den Baron zu
einer wahren Freude zu machen, indem sie alle Unbequemlichkeiten, die sür einen
in seinen Eigenheiten festgewurzelten ältern Herrn durch die dauernde Anwesen¬
heit Fremder wohl entstehen können, kluger Weise in eben so viele Annehmlich¬
keiten verwandelte, so scheiterten nach einer andern Richtung hin alle ihre Künste.
Dorothea gegenüber vermochte sie keine Fortschritte zu machen. Sie hätte so
sehr gewünscht, eine gewisse Autorität über das junge Mädchen zu gewinnen,
durch welche sie die allzu laue Werbung ihres Sohnes hätte unterstützen
können, aber sie mußte sich überzeuge», daß dies Herz sich umso fester zu¬
schloß, je dringender sie an dessen Pforte pochte. Schon nach dem ersten
Abend hatte sie die Umarmungen und Küsse weggelassen, womit sie zuerst stür¬
misch vorgegangen war, und hatte das Wesen einer mütterlichen Freundin an¬
genommen, welche durch ihre Lebenserfahrung geeignet ist, über die Jüngere
belehrend zu wachen. Aber ihre Grundsätze standen auf zu unsicherm Funda¬
ment, als daß sie nicht gegenüber der lichtvollen Lebensanschauung Dorotheens
sich als Sophismen hätten zeigen müssen, und sie hatte auch diesen Ton all¬
mählich verlassen. Nun zeigte sie sich als Freundin ohne die mütterliche Über¬
legenheit und gründete ihre Unterhaltung auf das Interesse an der Kunst, welches
sie in hohem Maße zu besitzen vorgab. Aber auch hier fühlte sie sich auf un-
gewissem Boden und beschränkte sich gar bald auf die bloße Beteuerung ihrer
Vorliebe für die Komponisten, welche Dorothea liebte, weil sie fühlte, daß die¬
selbe ganz andre Ansichten hatte als sie. Es war der Gräfin niemals in den
Sinn gekommen, daß die Kunst eine andre Bedeutung habe als die, reiche und
vornehme Leute zu amüsiren, und sie stand verlegen vor der Anschauung Do¬
rotheens, daß die Musik eine ernste und bedeutungsvolle Seite für die Erziehung
des Gemütes habe. So mußte sie sich immer mehr auf die Beobachtung einer
äußerlichen Zuvorkommenheit beschränken, und oft sah sie von der Seite, wenn
sie sich um den Baron bemühte, mit einem finstern und haßerfüllten Blick nach
Dorothea hiu, einem Blick, der dem Baron sehr aufgefallen sein würde, wenn
er ihn jemals überrascht hätte. Dieses Mädchen, sagte sich die Gräfin, ist das
Hindernis meines Erfolgs.

Dorothea ihrerseits durchschaute die Gräfin wohl nicht vollständig, aber
sah doch genug, um bekümmert zu sein. Alle die kleinen Liebkosungen, mit
welchen sie ihrem Vater sich zu nähern nie aufgegeben hatte, waren überflüssig
geworden und beiseite gedrängt durch diese schmeichlerische Frau, und mit
tiefer Betrübnis verfolgte sie die Fortschritte, welche die Fremde bei dem trotz
seiner Gleichgiltigkeit und Schroffheit innig geliebten Urheber ihrer Tage
machte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/419>, abgerufen am 24.08.2024.