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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Lutherfeier.

wird er sich entweder garnicht oder nur in herablassender Erhabenheit finden
lassen.

Was ist vollends von jener großen Menge zu erwarten, welche aus der¬
gleichen grundstürzenden Theorien die praktischen Folgerungen gezogen hat? Aus
dem Herzen ähnlich gesinnter Zeitgenossen sind sie bereits treffend gezogen
worden vom Apostel Paulus: "Lasset uus essen und trinken, denn morgen sind
wir todt!" Dieser Grundsatz bildet den Sumpfboden, in dessen Miasmen die
verderbliche" Pestkraukheiten ausgebrütet werden, welche den Fortbestand aller
göttlichen und menschlichen Ordnungen, damit aber die Existenz des Menschen¬
geschlechts an der Wurzel bedrohen, als da sind der Atheismus, der Kommu¬
nismus, der Anarchismus, der Nihilismus, und wie sich die barbarischen Be¬
strebungen nennen, welche heute mit unerhörter Schamlosigkeit und brntciler
Offenheit ihr Wesen treiben. Um ihretwillen könnte man sich unter Umständen
veranlaßt sehen, die Festräume, in denen man Luthers Geburtstag begehen wird,
mit polizeilichen Maßregeln gegen ihre wüsten Störunge" zu schützen.

Was wird bei solcher Lage der Dinge aus dem beabsichtigten Feste werden?
Wird es nicht bei der Fülle von Gleichgiltigen und Lauer, von versteckten
und offenen Feinden hüben und drüben ein klägliches Fiasko machen zur Freude
aller Widersacher und zur bleibenden Schädigung des protestantischen Be¬
wußtseins?

Das kann und darf nicht sein! Das kann und darf keiner geschehen lassen,
welcher der Überzeugung lebt, daß der Protestantismus der Hort des Menschen¬
geschlechts, insbesondre die Grundlage unsrer nationalen Wohlfahrt, Luther
aber der Vater des Protestantismus ist. Gerade je ungünstiger die Aussichten
zu sein scheinen, desto ernster und gebieterischer tritt an uus Protestanten, in
vorderster Reihe an die Leiter in Kirche und Staat, die Forderung heran, in
jeder erdenklichen Form und mit Aufgebot aller Kräfte durch möglichst gro߬
artige Kundgebungen den Beweis zu liefern, daß der Name Luther nach wie
vor eine Weltmacht darstellt, und dadurch den Getreuen verstärkten Halt und
neu befestigte Zuversicht zu schaffen, die Lauer zu erwärmen, die Schwankenden
und dem Abfall Zugeneigten zu stützen und wieder heranzubringen, die Wider¬
sacher aber zurückzuscheuchen und von der Vergeblichkeit ihres Ansturms zu
überzeugen. Zu diesem Zweck wird es darauf ankommen, daß die fundamen¬
tale Bedeutung, welche dem Werke des großen Reformators, namentlich aber
auch und vor allem seiner genialen Persönlichkeit innewohnt, in ersinnlich klarster
Anschaulichkeit den weitesten Kreisen vor Augen gestellt werde.

In der That regt es sich aller Orten. Es ist nicht zu verkennen, daß
das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer religiös-sittlichen Erneuerung unsers
Geschlechts in steter Ausbreitung begriffen ist. Daß eine lebendige, getreue
Wiederauffrischung von Luthers Bild für diesen erhabenen Zweck höchst förderlich
sein muß, kann niemandem zweifelhaft sein. So bereitet man sich denn auf


Zur Lutherfeier.

wird er sich entweder garnicht oder nur in herablassender Erhabenheit finden
lassen.

Was ist vollends von jener großen Menge zu erwarten, welche aus der¬
gleichen grundstürzenden Theorien die praktischen Folgerungen gezogen hat? Aus
dem Herzen ähnlich gesinnter Zeitgenossen sind sie bereits treffend gezogen
worden vom Apostel Paulus: „Lasset uus essen und trinken, denn morgen sind
wir todt!" Dieser Grundsatz bildet den Sumpfboden, in dessen Miasmen die
verderbliche» Pestkraukheiten ausgebrütet werden, welche den Fortbestand aller
göttlichen und menschlichen Ordnungen, damit aber die Existenz des Menschen¬
geschlechts an der Wurzel bedrohen, als da sind der Atheismus, der Kommu¬
nismus, der Anarchismus, der Nihilismus, und wie sich die barbarischen Be¬
strebungen nennen, welche heute mit unerhörter Schamlosigkeit und brntciler
Offenheit ihr Wesen treiben. Um ihretwillen könnte man sich unter Umständen
veranlaßt sehen, die Festräume, in denen man Luthers Geburtstag begehen wird,
mit polizeilichen Maßregeln gegen ihre wüsten Störunge» zu schützen.

Was wird bei solcher Lage der Dinge aus dem beabsichtigten Feste werden?
Wird es nicht bei der Fülle von Gleichgiltigen und Lauer, von versteckten
und offenen Feinden hüben und drüben ein klägliches Fiasko machen zur Freude
aller Widersacher und zur bleibenden Schädigung des protestantischen Be¬
wußtseins?

Das kann und darf nicht sein! Das kann und darf keiner geschehen lassen,
welcher der Überzeugung lebt, daß der Protestantismus der Hort des Menschen¬
geschlechts, insbesondre die Grundlage unsrer nationalen Wohlfahrt, Luther
aber der Vater des Protestantismus ist. Gerade je ungünstiger die Aussichten
zu sein scheinen, desto ernster und gebieterischer tritt an uus Protestanten, in
vorderster Reihe an die Leiter in Kirche und Staat, die Forderung heran, in
jeder erdenklichen Form und mit Aufgebot aller Kräfte durch möglichst gro߬
artige Kundgebungen den Beweis zu liefern, daß der Name Luther nach wie
vor eine Weltmacht darstellt, und dadurch den Getreuen verstärkten Halt und
neu befestigte Zuversicht zu schaffen, die Lauer zu erwärmen, die Schwankenden
und dem Abfall Zugeneigten zu stützen und wieder heranzubringen, die Wider¬
sacher aber zurückzuscheuchen und von der Vergeblichkeit ihres Ansturms zu
überzeugen. Zu diesem Zweck wird es darauf ankommen, daß die fundamen¬
tale Bedeutung, welche dem Werke des großen Reformators, namentlich aber
auch und vor allem seiner genialen Persönlichkeit innewohnt, in ersinnlich klarster
Anschaulichkeit den weitesten Kreisen vor Augen gestellt werde.

In der That regt es sich aller Orten. Es ist nicht zu verkennen, daß
das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer religiös-sittlichen Erneuerung unsers
Geschlechts in steter Ausbreitung begriffen ist. Daß eine lebendige, getreue
Wiederauffrischung von Luthers Bild für diesen erhabenen Zweck höchst förderlich
sein muß, kann niemandem zweifelhaft sein. So bereitet man sich denn auf


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[0398] Zur Lutherfeier. wird er sich entweder garnicht oder nur in herablassender Erhabenheit finden lassen. Was ist vollends von jener großen Menge zu erwarten, welche aus der¬ gleichen grundstürzenden Theorien die praktischen Folgerungen gezogen hat? Aus dem Herzen ähnlich gesinnter Zeitgenossen sind sie bereits treffend gezogen worden vom Apostel Paulus: „Lasset uus essen und trinken, denn morgen sind wir todt!" Dieser Grundsatz bildet den Sumpfboden, in dessen Miasmen die verderbliche» Pestkraukheiten ausgebrütet werden, welche den Fortbestand aller göttlichen und menschlichen Ordnungen, damit aber die Existenz des Menschen¬ geschlechts an der Wurzel bedrohen, als da sind der Atheismus, der Kommu¬ nismus, der Anarchismus, der Nihilismus, und wie sich die barbarischen Be¬ strebungen nennen, welche heute mit unerhörter Schamlosigkeit und brntciler Offenheit ihr Wesen treiben. Um ihretwillen könnte man sich unter Umständen veranlaßt sehen, die Festräume, in denen man Luthers Geburtstag begehen wird, mit polizeilichen Maßregeln gegen ihre wüsten Störunge» zu schützen. Was wird bei solcher Lage der Dinge aus dem beabsichtigten Feste werden? Wird es nicht bei der Fülle von Gleichgiltigen und Lauer, von versteckten und offenen Feinden hüben und drüben ein klägliches Fiasko machen zur Freude aller Widersacher und zur bleibenden Schädigung des protestantischen Be¬ wußtseins? Das kann und darf nicht sein! Das kann und darf keiner geschehen lassen, welcher der Überzeugung lebt, daß der Protestantismus der Hort des Menschen¬ geschlechts, insbesondre die Grundlage unsrer nationalen Wohlfahrt, Luther aber der Vater des Protestantismus ist. Gerade je ungünstiger die Aussichten zu sein scheinen, desto ernster und gebieterischer tritt an uus Protestanten, in vorderster Reihe an die Leiter in Kirche und Staat, die Forderung heran, in jeder erdenklichen Form und mit Aufgebot aller Kräfte durch möglichst gro߬ artige Kundgebungen den Beweis zu liefern, daß der Name Luther nach wie vor eine Weltmacht darstellt, und dadurch den Getreuen verstärkten Halt und neu befestigte Zuversicht zu schaffen, die Lauer zu erwärmen, die Schwankenden und dem Abfall Zugeneigten zu stützen und wieder heranzubringen, die Wider¬ sacher aber zurückzuscheuchen und von der Vergeblichkeit ihres Ansturms zu überzeugen. Zu diesem Zweck wird es darauf ankommen, daß die fundamen¬ tale Bedeutung, welche dem Werke des großen Reformators, namentlich aber auch und vor allem seiner genialen Persönlichkeit innewohnt, in ersinnlich klarster Anschaulichkeit den weitesten Kreisen vor Augen gestellt werde. In der That regt es sich aller Orten. Es ist nicht zu verkennen, daß das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer religiös-sittlichen Erneuerung unsers Geschlechts in steter Ausbreitung begriffen ist. Daß eine lebendige, getreue Wiederauffrischung von Luthers Bild für diesen erhabenen Zweck höchst förderlich sein muß, kann niemandem zweifelhaft sein. So bereitet man sich denn auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/398>, abgerufen am 22.07.2024.