Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Lutherfeier.

sprochen: "Der Geist der Empörung bildet einen Grundzug in seinem Cha¬
rakter ... er glaubt sich ohne weiteres berechtigt, zu Mord, Totschlag, zu ge¬
waltsamer Empörung gegen die bestehenden Verhältnisse aufzureizen . . . eine.
Masse von Zoten und Lüsternheiten verunreinigen viele Partien in seinen
Schriften . . . auf der Wartburg brannte in ihm die sinnliche Leidenschaft. . .
er reißt jede Gelegenheit vom Zaun, um auf sein Lieblingsthema, die Frei¬
lassung des fleischlich-sinnlichen Elements der Menschennatur, mit den rücksichts¬
losesten, schmutzigsten Worten zurückzukommen . . . nicht um eine Schwäche
handelt es sich hier, denn in Luthers Leben und Lehrsystem erscheint die Zügel-
losigkeit der fleischlichen Lust nicht als beiläufige Schwäche, sondern als ein
ausgesprochenes Prinzip." (!)*)

Aber auch an größeren wissenschaftlichen Werken derselben Richtung fehlt
es nicht. Besonders macht sich in neuester Zeit vie ausführliche "Geschichte des
deutschen Volks seit dem Mittelalter von Johannes Janssen" bemerklich. Der
Geist und die Methode dieses Buches ist kürzlich in zwei lesenswerten Broschüren
von dem Lutherbiographcn I. Kostim und von A. Ebrard beleuchtet worden.**)

Der Verfasser schildert den unseligen Luther als den frevelhaften Zerstörer
der Blütezeit Deutschlands, welche vor der "sogenannten Reformation" be¬
stand. Um die Berechtigung dieser Auffassung nachzuweisen, hat er "alle Schäden,
alle Fehler, alle Sünden, die auf reformatorischer Seite vorgekommen sind, mit
dem Eifer und der Sorgfalt eines aeousatsm' xublio aufgestöbert und registrirt."
Dabei scheut er sich nicht, "mit raffinirtester Tendenz und systematischer Sophistik"
überall "geschichtliche Züge zu entstellen, ungeschichtliche einzutragen," durch
ungenaue und lückenhafte Zitate und durch Verschweigung wesentlicher Züge
die Wahrheit zu verhülle", aus den Thatsachen falsche Folgerungen zu ziehen,
ja "ach Bedarf auch zu groben Unwahrheiten zu greifen. Mit einem Worte:
Janssen thut es jenen Widersachern gleich, von denen Luther selbst gesagt
hat: Was an uns böse ist, das nutzen sie auf; des andern, guten schweigen
sie. "Als Resultat erscheint uns das Bild einer Kirche, die so bodenlos schlecht,
so heillos verrucht, so rein aus Negation der sittlichen wie christlichen Wahrheit
bestehend war, daß man absolut nicht begreift, wie ein solches Monstrum aus
dem Abgrunde auch nur ein halbes Jahrhundert bestehen konnte." Die ge¬
nannten Broschüren begründen dies Urteil durch zahlreiche Belege. Allerdings
ist Janssen klug genug, die früheren frechen, lügnerischen Schmutzgeschichten
und plumpen Verleumdungen mit Stillschweigen zu übergehen. Durch ihre
Benutzung hätte er doch seinem Werke zu deutlich seinen Stempel aufgeprägt,
als daß es möglich gewesen wäre, solche Reklame dafür zu machen, wie man
sie im letzten Jahrgange eines bekannten Weihnachtskatalogs findet, wo es




*) Baumgarten a. c>. O., S. 44, 47.
**) Luther und Janssen von I. Kostim. Halle, Niemeyer, 1883. -- Die Objektivität
Jansscns von A. Ebrard. Erlangen, Deichert, 1382.
Zur Lutherfeier.

sprochen: „Der Geist der Empörung bildet einen Grundzug in seinem Cha¬
rakter ... er glaubt sich ohne weiteres berechtigt, zu Mord, Totschlag, zu ge¬
waltsamer Empörung gegen die bestehenden Verhältnisse aufzureizen . . . eine.
Masse von Zoten und Lüsternheiten verunreinigen viele Partien in seinen
Schriften . . . auf der Wartburg brannte in ihm die sinnliche Leidenschaft. . .
er reißt jede Gelegenheit vom Zaun, um auf sein Lieblingsthema, die Frei¬
lassung des fleischlich-sinnlichen Elements der Menschennatur, mit den rücksichts¬
losesten, schmutzigsten Worten zurückzukommen . . . nicht um eine Schwäche
handelt es sich hier, denn in Luthers Leben und Lehrsystem erscheint die Zügel-
losigkeit der fleischlichen Lust nicht als beiläufige Schwäche, sondern als ein
ausgesprochenes Prinzip." (!)*)

Aber auch an größeren wissenschaftlichen Werken derselben Richtung fehlt
es nicht. Besonders macht sich in neuester Zeit vie ausführliche „Geschichte des
deutschen Volks seit dem Mittelalter von Johannes Janssen" bemerklich. Der
Geist und die Methode dieses Buches ist kürzlich in zwei lesenswerten Broschüren
von dem Lutherbiographcn I. Kostim und von A. Ebrard beleuchtet worden.**)

Der Verfasser schildert den unseligen Luther als den frevelhaften Zerstörer
der Blütezeit Deutschlands, welche vor der „sogenannten Reformation" be¬
stand. Um die Berechtigung dieser Auffassung nachzuweisen, hat er „alle Schäden,
alle Fehler, alle Sünden, die auf reformatorischer Seite vorgekommen sind, mit
dem Eifer und der Sorgfalt eines aeousatsm' xublio aufgestöbert und registrirt."
Dabei scheut er sich nicht, „mit raffinirtester Tendenz und systematischer Sophistik"
überall „geschichtliche Züge zu entstellen, ungeschichtliche einzutragen," durch
ungenaue und lückenhafte Zitate und durch Verschweigung wesentlicher Züge
die Wahrheit zu verhülle», aus den Thatsachen falsche Folgerungen zu ziehen,
ja »ach Bedarf auch zu groben Unwahrheiten zu greifen. Mit einem Worte:
Janssen thut es jenen Widersachern gleich, von denen Luther selbst gesagt
hat: Was an uns böse ist, das nutzen sie auf; des andern, guten schweigen
sie. „Als Resultat erscheint uns das Bild einer Kirche, die so bodenlos schlecht,
so heillos verrucht, so rein aus Negation der sittlichen wie christlichen Wahrheit
bestehend war, daß man absolut nicht begreift, wie ein solches Monstrum aus
dem Abgrunde auch nur ein halbes Jahrhundert bestehen konnte." Die ge¬
nannten Broschüren begründen dies Urteil durch zahlreiche Belege. Allerdings
ist Janssen klug genug, die früheren frechen, lügnerischen Schmutzgeschichten
und plumpen Verleumdungen mit Stillschweigen zu übergehen. Durch ihre
Benutzung hätte er doch seinem Werke zu deutlich seinen Stempel aufgeprägt,
als daß es möglich gewesen wäre, solche Reklame dafür zu machen, wie man
sie im letzten Jahrgange eines bekannten Weihnachtskatalogs findet, wo es




*) Baumgarten a. c>. O., S. 44, 47.
**) Luther und Janssen von I. Kostim. Halle, Niemeyer, 1883. — Die Objektivität
Jansscns von A. Ebrard. Erlangen, Deichert, 1382.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153143"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Lutherfeier.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1554" prev="#ID_1553"> sprochen: &#x201E;Der Geist der Empörung bildet einen Grundzug in seinem Cha¬<lb/>
rakter ... er glaubt sich ohne weiteres berechtigt, zu Mord, Totschlag, zu ge¬<lb/>
waltsamer Empörung gegen die bestehenden Verhältnisse aufzureizen . . . eine.<lb/>
Masse von Zoten und Lüsternheiten verunreinigen viele Partien in seinen<lb/>
Schriften . . . auf der Wartburg brannte in ihm die sinnliche Leidenschaft. . .<lb/>
er reißt jede Gelegenheit vom Zaun, um auf sein Lieblingsthema, die Frei¬<lb/>
lassung des fleischlich-sinnlichen Elements der Menschennatur, mit den rücksichts¬<lb/>
losesten, schmutzigsten Worten zurückzukommen . . . nicht um eine Schwäche<lb/>
handelt es sich hier, denn in Luthers Leben und Lehrsystem erscheint die Zügel-<lb/>
losigkeit der fleischlichen Lust nicht als beiläufige Schwäche, sondern als ein<lb/>
ausgesprochenes Prinzip." (!)*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1555"> Aber auch an größeren wissenschaftlichen Werken derselben Richtung fehlt<lb/>
es nicht. Besonders macht sich in neuester Zeit vie ausführliche &#x201E;Geschichte des<lb/>
deutschen Volks seit dem Mittelalter von Johannes Janssen" bemerklich. Der<lb/>
Geist und die Methode dieses Buches ist kürzlich in zwei lesenswerten Broschüren<lb/>
von dem Lutherbiographcn I. Kostim und von A. Ebrard beleuchtet worden.**)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1556" next="#ID_1557"> Der Verfasser schildert den unseligen Luther als den frevelhaften Zerstörer<lb/>
der Blütezeit Deutschlands, welche vor der &#x201E;sogenannten Reformation" be¬<lb/>
stand. Um die Berechtigung dieser Auffassung nachzuweisen, hat er &#x201E;alle Schäden,<lb/>
alle Fehler, alle Sünden, die auf reformatorischer Seite vorgekommen sind, mit<lb/>
dem Eifer und der Sorgfalt eines aeousatsm' xublio aufgestöbert und registrirt."<lb/>
Dabei scheut er sich nicht, &#x201E;mit raffinirtester Tendenz und systematischer Sophistik"<lb/>
überall &#x201E;geschichtliche Züge zu entstellen, ungeschichtliche einzutragen," durch<lb/>
ungenaue und lückenhafte Zitate und durch Verschweigung wesentlicher Züge<lb/>
die Wahrheit zu verhülle», aus den Thatsachen falsche Folgerungen zu ziehen,<lb/>
ja »ach Bedarf auch zu groben Unwahrheiten zu greifen. Mit einem Worte:<lb/>
Janssen thut es jenen Widersachern gleich, von denen Luther selbst gesagt<lb/>
hat: Was an uns böse ist, das nutzen sie auf; des andern, guten schweigen<lb/>
sie. &#x201E;Als Resultat erscheint uns das Bild einer Kirche, die so bodenlos schlecht,<lb/>
so heillos verrucht, so rein aus Negation der sittlichen wie christlichen Wahrheit<lb/>
bestehend war, daß man absolut nicht begreift, wie ein solches Monstrum aus<lb/>
dem Abgrunde auch nur ein halbes Jahrhundert bestehen konnte." Die ge¬<lb/>
nannten Broschüren begründen dies Urteil durch zahlreiche Belege. Allerdings<lb/>
ist Janssen klug genug, die früheren frechen, lügnerischen Schmutzgeschichten<lb/>
und plumpen Verleumdungen mit Stillschweigen zu übergehen. Durch ihre<lb/>
Benutzung hätte er doch seinem Werke zu deutlich seinen Stempel aufgeprägt,<lb/>
als daß es möglich gewesen wäre, solche Reklame dafür zu machen, wie man<lb/>
sie im letzten Jahrgange eines bekannten Weihnachtskatalogs findet, wo es</p><lb/>
          <note xml:id="FID_77" place="foot"> *) Baumgarten a. c&gt;. O., S. 44, 47.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_78" place="foot"> **) Luther und Janssen von I. Kostim. Halle, Niemeyer, 1883. &#x2014; Die Objektivität<lb/>
Jansscns von A. Ebrard. Erlangen, Deichert, 1382.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Zur Lutherfeier. sprochen: „Der Geist der Empörung bildet einen Grundzug in seinem Cha¬ rakter ... er glaubt sich ohne weiteres berechtigt, zu Mord, Totschlag, zu ge¬ waltsamer Empörung gegen die bestehenden Verhältnisse aufzureizen . . . eine. Masse von Zoten und Lüsternheiten verunreinigen viele Partien in seinen Schriften . . . auf der Wartburg brannte in ihm die sinnliche Leidenschaft. . . er reißt jede Gelegenheit vom Zaun, um auf sein Lieblingsthema, die Frei¬ lassung des fleischlich-sinnlichen Elements der Menschennatur, mit den rücksichts¬ losesten, schmutzigsten Worten zurückzukommen . . . nicht um eine Schwäche handelt es sich hier, denn in Luthers Leben und Lehrsystem erscheint die Zügel- losigkeit der fleischlichen Lust nicht als beiläufige Schwäche, sondern als ein ausgesprochenes Prinzip." (!)*) Aber auch an größeren wissenschaftlichen Werken derselben Richtung fehlt es nicht. Besonders macht sich in neuester Zeit vie ausführliche „Geschichte des deutschen Volks seit dem Mittelalter von Johannes Janssen" bemerklich. Der Geist und die Methode dieses Buches ist kürzlich in zwei lesenswerten Broschüren von dem Lutherbiographcn I. Kostim und von A. Ebrard beleuchtet worden.**) Der Verfasser schildert den unseligen Luther als den frevelhaften Zerstörer der Blütezeit Deutschlands, welche vor der „sogenannten Reformation" be¬ stand. Um die Berechtigung dieser Auffassung nachzuweisen, hat er „alle Schäden, alle Fehler, alle Sünden, die auf reformatorischer Seite vorgekommen sind, mit dem Eifer und der Sorgfalt eines aeousatsm' xublio aufgestöbert und registrirt." Dabei scheut er sich nicht, „mit raffinirtester Tendenz und systematischer Sophistik" überall „geschichtliche Züge zu entstellen, ungeschichtliche einzutragen," durch ungenaue und lückenhafte Zitate und durch Verschweigung wesentlicher Züge die Wahrheit zu verhülle», aus den Thatsachen falsche Folgerungen zu ziehen, ja »ach Bedarf auch zu groben Unwahrheiten zu greifen. Mit einem Worte: Janssen thut es jenen Widersachern gleich, von denen Luther selbst gesagt hat: Was an uns böse ist, das nutzen sie auf; des andern, guten schweigen sie. „Als Resultat erscheint uns das Bild einer Kirche, die so bodenlos schlecht, so heillos verrucht, so rein aus Negation der sittlichen wie christlichen Wahrheit bestehend war, daß man absolut nicht begreift, wie ein solches Monstrum aus dem Abgrunde auch nur ein halbes Jahrhundert bestehen konnte." Die ge¬ nannten Broschüren begründen dies Urteil durch zahlreiche Belege. Allerdings ist Janssen klug genug, die früheren frechen, lügnerischen Schmutzgeschichten und plumpen Verleumdungen mit Stillschweigen zu übergehen. Durch ihre Benutzung hätte er doch seinem Werke zu deutlich seinen Stempel aufgeprägt, als daß es möglich gewesen wäre, solche Reklame dafür zu machen, wie man sie im letzten Jahrgange eines bekannten Weihnachtskatalogs findet, wo es *) Baumgarten a. c>. O., S. 44, 47. **) Luther und Janssen von I. Kostim. Halle, Niemeyer, 1883. — Die Objektivität Jansscns von A. Ebrard. Erlangen, Deichert, 1382.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/394>, abgerufen am 22.07.2024.