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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Lutherfoier.

Zunächst fällt der Blick auf die große Zahl der Ultramontanen, Daß sie
nicht mitfeiern werden, ist selbstverständlich, daß sie der Verherrlichung ihres
größten Feindes entgegenarbeiten, ist menschlich. Daß sie sich aber entblöden,
dabei mit versteckten und offnen Lügen, Verleumdungen und Schmähungen zu
Werke zu gehen, ist teuflisch. Und doch haben sie von Anfang an dergleichen
Mittel nicht verschmäht.

Köstlins Lutherbiographie (Bd. 2, S. 589) berichtet: "Einige Zeit vor
Luthers Tode erschien in Italien ein Gedicht über sein angebliches Ableben.
Darin wurde gemeldet, der Totlranke habe das heilige Abendmahl genommen
und dann gefordert, daß sein Leichnam auf einen Altar gelegt und öffentlich
verehrt werde. Bei der Beerdigung aber sei ein schrecklicher Sturm und Rumor
losgebrochen, als ob die Hölle zusammenstürzte. Erst als man die von dem
Unwürdigen genossene heilige Hostie, die man deutlich in der Luft hängen sah,
mit großen Ehren wieder in das Heiligtum gelegt, habe der Tumult aufgehört.
In der folgenden Nacht habe man noch größern Lärm an seinem Grabe ver¬
nommen und dann dieses leer gefunden, nur voll Schwefelgestankes, der alle
Umstehenden krank gemacht habe. Dadurch seien viele zur Besserung des Lebens
und zum heiligen katholischen Glauben wieder gebracht worden." Aber auch
im eignen Vaterlande erlebte Luther dergleichen Kundgebungen in Menge. Bei
ihrer Beurteilung muß freilich Geist und Ton jener harten Zeit in Anschlag
gebracht werden. Aber selbst in dem so überaus toleranten vorigen Jahrhundert
finden sich ähnliche Erscheinungen. An katholischen Gymnasien Deutschlands
war damals ein Lehrbuch der Geschichte gebräuchlich mit dem Titel: "Historische
Rudimente," erschienen Konstanz 1761. Da heißt es unter andern,: "Im Jahre
1521 hat Kaiser Carolus V. auf dem Reichstage zu Worms, um das vom Papste
gefällte Urteil zu vollziehen, mit Bestimmung der übrigen Reichsstände den
Luther als einen, der kein Mensch, sondern der Teufel in menschlicher Gestalt,
welcher zum Verderben des menschlichen Geschlechts den Unflat und Kehrrat der
vorlängst verworfnen Ketzereien gleichsam in ein Schindgrub zusammen geschüttet
und unter dem Namen der evangelischen Bekenntnis allen Frieden und evan¬
gelische Liebe zu zerstören und gänzlich zu vertilgen sich bemüht, in die Reichs¬
acht erklärt und dessen als eines verstockten Ketzers pestilenzialische Schriften
und Bücher öffentlich zu verbrennen befohlen." In unserm Jahrhundert hat
ein neuer Landshuter Lehrplan dieses Buch wieder als Lehrmittel einführen
wollen!*)

Wie sich in der Gegenwart die ultramontane Feindseligkeit gestaltet hat,
dafür zeugen die unlängst von der "Germania" verbreiteten und ausdrücklich
vertretenen Briefe aus Hamburg von dem Pseudonymen "Gottlieb" (auch in
besonderen Abdruck für 60 Pfennige zu haben). Dort wird über Luther so ge-



*) Zirugiebel, Das Institut der Gesellschaft Jesu. Leipzig, 1370.
Grenzboten II. 1883. 49
Zur Lutherfoier.

Zunächst fällt der Blick auf die große Zahl der Ultramontanen, Daß sie
nicht mitfeiern werden, ist selbstverständlich, daß sie der Verherrlichung ihres
größten Feindes entgegenarbeiten, ist menschlich. Daß sie sich aber entblöden,
dabei mit versteckten und offnen Lügen, Verleumdungen und Schmähungen zu
Werke zu gehen, ist teuflisch. Und doch haben sie von Anfang an dergleichen
Mittel nicht verschmäht.

Köstlins Lutherbiographie (Bd. 2, S. 589) berichtet: „Einige Zeit vor
Luthers Tode erschien in Italien ein Gedicht über sein angebliches Ableben.
Darin wurde gemeldet, der Totlranke habe das heilige Abendmahl genommen
und dann gefordert, daß sein Leichnam auf einen Altar gelegt und öffentlich
verehrt werde. Bei der Beerdigung aber sei ein schrecklicher Sturm und Rumor
losgebrochen, als ob die Hölle zusammenstürzte. Erst als man die von dem
Unwürdigen genossene heilige Hostie, die man deutlich in der Luft hängen sah,
mit großen Ehren wieder in das Heiligtum gelegt, habe der Tumult aufgehört.
In der folgenden Nacht habe man noch größern Lärm an seinem Grabe ver¬
nommen und dann dieses leer gefunden, nur voll Schwefelgestankes, der alle
Umstehenden krank gemacht habe. Dadurch seien viele zur Besserung des Lebens
und zum heiligen katholischen Glauben wieder gebracht worden." Aber auch
im eignen Vaterlande erlebte Luther dergleichen Kundgebungen in Menge. Bei
ihrer Beurteilung muß freilich Geist und Ton jener harten Zeit in Anschlag
gebracht werden. Aber selbst in dem so überaus toleranten vorigen Jahrhundert
finden sich ähnliche Erscheinungen. An katholischen Gymnasien Deutschlands
war damals ein Lehrbuch der Geschichte gebräuchlich mit dem Titel: „Historische
Rudimente," erschienen Konstanz 1761. Da heißt es unter andern,: „Im Jahre
1521 hat Kaiser Carolus V. auf dem Reichstage zu Worms, um das vom Papste
gefällte Urteil zu vollziehen, mit Bestimmung der übrigen Reichsstände den
Luther als einen, der kein Mensch, sondern der Teufel in menschlicher Gestalt,
welcher zum Verderben des menschlichen Geschlechts den Unflat und Kehrrat der
vorlängst verworfnen Ketzereien gleichsam in ein Schindgrub zusammen geschüttet
und unter dem Namen der evangelischen Bekenntnis allen Frieden und evan¬
gelische Liebe zu zerstören und gänzlich zu vertilgen sich bemüht, in die Reichs¬
acht erklärt und dessen als eines verstockten Ketzers pestilenzialische Schriften
und Bücher öffentlich zu verbrennen befohlen." In unserm Jahrhundert hat
ein neuer Landshuter Lehrplan dieses Buch wieder als Lehrmittel einführen
wollen!*)

Wie sich in der Gegenwart die ultramontane Feindseligkeit gestaltet hat,
dafür zeugen die unlängst von der „Germania" verbreiteten und ausdrücklich
vertretenen Briefe aus Hamburg von dem Pseudonymen „Gottlieb" (auch in
besonderen Abdruck für 60 Pfennige zu haben). Dort wird über Luther so ge-



*) Zirugiebel, Das Institut der Gesellschaft Jesu. Leipzig, 1370.
Grenzboten II. 1883. 49
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[0393] Zur Lutherfoier. Zunächst fällt der Blick auf die große Zahl der Ultramontanen, Daß sie nicht mitfeiern werden, ist selbstverständlich, daß sie der Verherrlichung ihres größten Feindes entgegenarbeiten, ist menschlich. Daß sie sich aber entblöden, dabei mit versteckten und offnen Lügen, Verleumdungen und Schmähungen zu Werke zu gehen, ist teuflisch. Und doch haben sie von Anfang an dergleichen Mittel nicht verschmäht. Köstlins Lutherbiographie (Bd. 2, S. 589) berichtet: „Einige Zeit vor Luthers Tode erschien in Italien ein Gedicht über sein angebliches Ableben. Darin wurde gemeldet, der Totlranke habe das heilige Abendmahl genommen und dann gefordert, daß sein Leichnam auf einen Altar gelegt und öffentlich verehrt werde. Bei der Beerdigung aber sei ein schrecklicher Sturm und Rumor losgebrochen, als ob die Hölle zusammenstürzte. Erst als man die von dem Unwürdigen genossene heilige Hostie, die man deutlich in der Luft hängen sah, mit großen Ehren wieder in das Heiligtum gelegt, habe der Tumult aufgehört. In der folgenden Nacht habe man noch größern Lärm an seinem Grabe ver¬ nommen und dann dieses leer gefunden, nur voll Schwefelgestankes, der alle Umstehenden krank gemacht habe. Dadurch seien viele zur Besserung des Lebens und zum heiligen katholischen Glauben wieder gebracht worden." Aber auch im eignen Vaterlande erlebte Luther dergleichen Kundgebungen in Menge. Bei ihrer Beurteilung muß freilich Geist und Ton jener harten Zeit in Anschlag gebracht werden. Aber selbst in dem so überaus toleranten vorigen Jahrhundert finden sich ähnliche Erscheinungen. An katholischen Gymnasien Deutschlands war damals ein Lehrbuch der Geschichte gebräuchlich mit dem Titel: „Historische Rudimente," erschienen Konstanz 1761. Da heißt es unter andern,: „Im Jahre 1521 hat Kaiser Carolus V. auf dem Reichstage zu Worms, um das vom Papste gefällte Urteil zu vollziehen, mit Bestimmung der übrigen Reichsstände den Luther als einen, der kein Mensch, sondern der Teufel in menschlicher Gestalt, welcher zum Verderben des menschlichen Geschlechts den Unflat und Kehrrat der vorlängst verworfnen Ketzereien gleichsam in ein Schindgrub zusammen geschüttet und unter dem Namen der evangelischen Bekenntnis allen Frieden und evan¬ gelische Liebe zu zerstören und gänzlich zu vertilgen sich bemüht, in die Reichs¬ acht erklärt und dessen als eines verstockten Ketzers pestilenzialische Schriften und Bücher öffentlich zu verbrennen befohlen." In unserm Jahrhundert hat ein neuer Landshuter Lehrplan dieses Buch wieder als Lehrmittel einführen wollen!*) Wie sich in der Gegenwart die ultramontane Feindseligkeit gestaltet hat, dafür zeugen die unlängst von der „Germania" verbreiteten und ausdrücklich vertretenen Briefe aus Hamburg von dem Pseudonymen „Gottlieb" (auch in besonderen Abdruck für 60 Pfennige zu haben). Dort wird über Luther so ge- *) Zirugiebel, Das Institut der Gesellschaft Jesu. Leipzig, 1370. Grenzboten II. 1883. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/393>, abgerufen am 22.07.2024.