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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Lutherfeier,

rissen ausgesetzt. Welche verderblichen Konsequenzen dieselben mit sich bringen,
das erleben wir heutzutage mehr denn je. Gerade für die Gegenwart ist es
daher von höchster Wichtigkeit, über das wahre Wesen der Freiheit aufgeklärt
zu werden. Nächst der heiligen Schrift nun findet sich über diese Lebensfrage
nirgends klarere, eindringendere Belehrung als bei Luther. Eben darum ist er
nicht der Revolutionär, wozu die Gegner ihn zu machen Pflegen, sondern der
Reformator; niedergerissen hat er nur, um neu zu bauen. Luther redet wohl¬
weislich von der Freiheit des "Christenmenschen," während die falsche Auffassung
den Christen möglichst aus dem Spiel läßt oder sich seiner gänzlich entledigt.
Luther gründet die Freiheit auf die Gebundenheit in Gott und seinem "all¬
mächtigen" Worte, während der Mißbrauch sich ausschließlich auf menschliche
Vernunft und Kraft stützen will. Für Luther ist die wahre Freiheit unbedingt
das Ergebnis des schmerzlichen Bußkampfes, der sich mit Gottes Hilfe den
Siegespreis des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung erringt, während auf
der andern Seite der natürliche sinnliche Hang den Ausgangspunkt, die "Eman¬
zipation des Fleisches" das Ziel bildet.

Solchen Belehrungen, die wir ihm danken, hat er aber erst dadurch ihren
vollen Wert und ihre fortwirkende Kraft gesichert, daß er sie durch seinen
Wandel vollauf bestätigt und uns damit ein lebendiges Vorbild gegeben hat.
Sein ganzes Leben, wie es offen vor aller Augen ausgebreitet liegt, ist ein un¬
unterbrochenes Ringen mit seinem Fleisch und mit der Welt, ein immer
völligeres Erringen der Freiheit des Christenmenschen durch die Waffen des
Glaubens und der Liebe. Und dieses Vorbild ist gerade für uns ein so un¬
vergleichlich anregendes, weil der Mann unserm gegenwärtigen Geschlechte so
nahe steht. Luther ist ein echter Kernmensch gewesen, der alle berechtigten Be¬
strebungen der neuen Zeit wie kein andrer in seiner Persönlichkeit wie in einem
Brennspiegel zusammengefaßt hat. Daher kann er jedem Menschen der neuen
Zeit, welcher zum Lichte strebt, als Muster dienen. Er ist in erster Linie ein
echter deutscher Manu gewesen. Jeder gute Deutsche findet in ihm sein eignes
Fleisch und Blut. In keiner andern vorbildlichen Persönlichkeit hat sich gleicher¬
maßen, wie in ihm, das christliche und das deutsche Wesen zur lebensvollen
Einheit durchdrungen. Daher ist er im hervorragendsten Sinne Muster und Vor¬
bild für uns Deutsche.

Wahrlich, wir Deutschen müssen, wenn wir uns nicht des schnödesten Ab¬
falls von unserm eigensten, besten Wesen schuldig machen wollen, uns heilig
verpflichtet fühlen, der Gedenkfeier dieses herrlichen Volksgenossen, den man "den
größten Deutschen" mit vollem Rechte genannt hat, unter Aufbietung aller ver¬
fügbaren Mittel den denkbar höchsten Glanz zu verleihen.

Machen wir einmal einen Voranschlag über die Aussichten, welche sich
für die Erfüllung dieser Verpflichtung bieten.


Zur Lutherfeier,

rissen ausgesetzt. Welche verderblichen Konsequenzen dieselben mit sich bringen,
das erleben wir heutzutage mehr denn je. Gerade für die Gegenwart ist es
daher von höchster Wichtigkeit, über das wahre Wesen der Freiheit aufgeklärt
zu werden. Nächst der heiligen Schrift nun findet sich über diese Lebensfrage
nirgends klarere, eindringendere Belehrung als bei Luther. Eben darum ist er
nicht der Revolutionär, wozu die Gegner ihn zu machen Pflegen, sondern der
Reformator; niedergerissen hat er nur, um neu zu bauen. Luther redet wohl¬
weislich von der Freiheit des „Christenmenschen," während die falsche Auffassung
den Christen möglichst aus dem Spiel läßt oder sich seiner gänzlich entledigt.
Luther gründet die Freiheit auf die Gebundenheit in Gott und seinem „all¬
mächtigen" Worte, während der Mißbrauch sich ausschließlich auf menschliche
Vernunft und Kraft stützen will. Für Luther ist die wahre Freiheit unbedingt
das Ergebnis des schmerzlichen Bußkampfes, der sich mit Gottes Hilfe den
Siegespreis des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung erringt, während auf
der andern Seite der natürliche sinnliche Hang den Ausgangspunkt, die „Eman¬
zipation des Fleisches" das Ziel bildet.

Solchen Belehrungen, die wir ihm danken, hat er aber erst dadurch ihren
vollen Wert und ihre fortwirkende Kraft gesichert, daß er sie durch seinen
Wandel vollauf bestätigt und uns damit ein lebendiges Vorbild gegeben hat.
Sein ganzes Leben, wie es offen vor aller Augen ausgebreitet liegt, ist ein un¬
unterbrochenes Ringen mit seinem Fleisch und mit der Welt, ein immer
völligeres Erringen der Freiheit des Christenmenschen durch die Waffen des
Glaubens und der Liebe. Und dieses Vorbild ist gerade für uns ein so un¬
vergleichlich anregendes, weil der Mann unserm gegenwärtigen Geschlechte so
nahe steht. Luther ist ein echter Kernmensch gewesen, der alle berechtigten Be¬
strebungen der neuen Zeit wie kein andrer in seiner Persönlichkeit wie in einem
Brennspiegel zusammengefaßt hat. Daher kann er jedem Menschen der neuen
Zeit, welcher zum Lichte strebt, als Muster dienen. Er ist in erster Linie ein
echter deutscher Manu gewesen. Jeder gute Deutsche findet in ihm sein eignes
Fleisch und Blut. In keiner andern vorbildlichen Persönlichkeit hat sich gleicher¬
maßen, wie in ihm, das christliche und das deutsche Wesen zur lebensvollen
Einheit durchdrungen. Daher ist er im hervorragendsten Sinne Muster und Vor¬
bild für uns Deutsche.

Wahrlich, wir Deutschen müssen, wenn wir uns nicht des schnödesten Ab¬
falls von unserm eigensten, besten Wesen schuldig machen wollen, uns heilig
verpflichtet fühlen, der Gedenkfeier dieses herrlichen Volksgenossen, den man „den
größten Deutschen" mit vollem Rechte genannt hat, unter Aufbietung aller ver¬
fügbaren Mittel den denkbar höchsten Glanz zu verleihen.

Machen wir einmal einen Voranschlag über die Aussichten, welche sich
für die Erfüllung dieser Verpflichtung bieten.


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[0392] Zur Lutherfeier, rissen ausgesetzt. Welche verderblichen Konsequenzen dieselben mit sich bringen, das erleben wir heutzutage mehr denn je. Gerade für die Gegenwart ist es daher von höchster Wichtigkeit, über das wahre Wesen der Freiheit aufgeklärt zu werden. Nächst der heiligen Schrift nun findet sich über diese Lebensfrage nirgends klarere, eindringendere Belehrung als bei Luther. Eben darum ist er nicht der Revolutionär, wozu die Gegner ihn zu machen Pflegen, sondern der Reformator; niedergerissen hat er nur, um neu zu bauen. Luther redet wohl¬ weislich von der Freiheit des „Christenmenschen," während die falsche Auffassung den Christen möglichst aus dem Spiel läßt oder sich seiner gänzlich entledigt. Luther gründet die Freiheit auf die Gebundenheit in Gott und seinem „all¬ mächtigen" Worte, während der Mißbrauch sich ausschließlich auf menschliche Vernunft und Kraft stützen will. Für Luther ist die wahre Freiheit unbedingt das Ergebnis des schmerzlichen Bußkampfes, der sich mit Gottes Hilfe den Siegespreis des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung erringt, während auf der andern Seite der natürliche sinnliche Hang den Ausgangspunkt, die „Eman¬ zipation des Fleisches" das Ziel bildet. Solchen Belehrungen, die wir ihm danken, hat er aber erst dadurch ihren vollen Wert und ihre fortwirkende Kraft gesichert, daß er sie durch seinen Wandel vollauf bestätigt und uns damit ein lebendiges Vorbild gegeben hat. Sein ganzes Leben, wie es offen vor aller Augen ausgebreitet liegt, ist ein un¬ unterbrochenes Ringen mit seinem Fleisch und mit der Welt, ein immer völligeres Erringen der Freiheit des Christenmenschen durch die Waffen des Glaubens und der Liebe. Und dieses Vorbild ist gerade für uns ein so un¬ vergleichlich anregendes, weil der Mann unserm gegenwärtigen Geschlechte so nahe steht. Luther ist ein echter Kernmensch gewesen, der alle berechtigten Be¬ strebungen der neuen Zeit wie kein andrer in seiner Persönlichkeit wie in einem Brennspiegel zusammengefaßt hat. Daher kann er jedem Menschen der neuen Zeit, welcher zum Lichte strebt, als Muster dienen. Er ist in erster Linie ein echter deutscher Manu gewesen. Jeder gute Deutsche findet in ihm sein eignes Fleisch und Blut. In keiner andern vorbildlichen Persönlichkeit hat sich gleicher¬ maßen, wie in ihm, das christliche und das deutsche Wesen zur lebensvollen Einheit durchdrungen. Daher ist er im hervorragendsten Sinne Muster und Vor¬ bild für uns Deutsche. Wahrlich, wir Deutschen müssen, wenn wir uns nicht des schnödesten Ab¬ falls von unserm eigensten, besten Wesen schuldig machen wollen, uns heilig verpflichtet fühlen, der Gedenkfeier dieses herrlichen Volksgenossen, den man „den größten Deutschen" mit vollem Rechte genannt hat, unter Aufbietung aller ver¬ fügbaren Mittel den denkbar höchsten Glanz zu verleihen. Machen wir einmal einen Voranschlag über die Aussichten, welche sich für die Erfüllung dieser Verpflichtung bieten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/392>, abgerufen am 03.07.2024.