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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Lutherfeier.

desselbigen und alles, was sein ist, rühmen darf und darauf pochen und trotzen
Wider Sünde, Tod, Teufel, Hölle und alles Unglück; so ist es nicht möglich,
ich muß ihn wiederum lieb haben und ihm hold sein, seine Gebote halten und
alles, was er nur haben will, mit Lust und Liebe thun. -- Glaube ist eine
lebendige, erwegende verwegene) Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß,
daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht . . . machet fröhlich,
trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der heilige Geist
thuet im Glauben. Daher der Mensch ohne Zwang willig wird, jedermann
Gutes zu thun, jedermann zu diene", allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und Lob,
der ihm solche Gnade erzeiget hat -- also daß unmöglich ist, Werk vom Glauben
scheiden, ja so unmöglich, als brennen und leuchten vom Feuer mag geschieden
werden. -- Durch den Glauben fährt der Christ über sich in Gott; aus Gott
fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibet doch immer in Gott und
göttlicher Liebe. -- Durch den Glauben wird ein Christenmensch so hoch er¬
haben über alle Dinge, daß er ein Herr aller wird geistlich; nicht daß er leiblich
ihrer mächtig sei, sie zu besitzen, wie die Menschen auf Erden, aber sie müssen
ihm alle Unterthan sein und helfen zu seinem Besten und zu seiner Seligkeit,
es sei Leben oder Tod, Gutes oder Böses, Gegenwärtiges oder Zukünftiges ...
Das ist eine rechte allmächtige Herrschaft, die da regieret auch in leiblicher
Unterdrückung. -- Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und
niemand Unterthan."*)

So äußert sich jene "herrliche Freiheit der Kinder Gottes" aus der inner¬
lichsten Erfahrung des großen Mannes heraus. Im Vollgefühle dieser Freiheit
ist er selbst aus dem zagenden Grübler zum todesmutigen Helden geworden.
Als ihr begeisterter Prophet und Vorkämpfer hat er dann das von neuem
auferlegte Joch des Menschendienstes beseitigt und die ursprüngliche, gotteben-
bildliche Würde des Menschen erneuert. Eben dadurch aber ist er der Bahn¬
weiser der neuen Zeit geworden. Denn worin beruht hauptsächlich die unter¬
scheidende Eigentümlichkeit der modernen Weltanschauung? Unverkennbar darin,
daß das Bewußtsein von der Menschenwürde und von der Freiheit der Persön¬
lichkeit lebhafter und allgemeiner erwacht ist als in irgend einer früheren Pe¬
riode der Geschichte. Daher die wunderbare Beweglichkeit der Geister in den
letzten Jahrhunderten, durch welche sich die Menschheit mit steigendem Erfolge
der Lösung ihrer erhabenen Aufgabe nähert, sich das Erdreich Unterthan zu
machen. Nur die Verblendung kann in Abrede stellen, daß Luther diese Rich¬
tung angebahnt habe.

Aber sein Verdienst beschränkt sich keineswegs darauf. Der Begriff der
Freiheit ist, wie die Erfahrung nur zu deutlich lehrt, den größten Mißverstand-



* An den christlichen Adel ze. -- Vorrede zum Römerbriese. -- Von der Freiheit des
Christenmenschen,
Zur Lutherfeier.

desselbigen und alles, was sein ist, rühmen darf und darauf pochen und trotzen
Wider Sünde, Tod, Teufel, Hölle und alles Unglück; so ist es nicht möglich,
ich muß ihn wiederum lieb haben und ihm hold sein, seine Gebote halten und
alles, was er nur haben will, mit Lust und Liebe thun. — Glaube ist eine
lebendige, erwegende verwegene) Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß,
daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht . . . machet fröhlich,
trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der heilige Geist
thuet im Glauben. Daher der Mensch ohne Zwang willig wird, jedermann
Gutes zu thun, jedermann zu diene», allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und Lob,
der ihm solche Gnade erzeiget hat — also daß unmöglich ist, Werk vom Glauben
scheiden, ja so unmöglich, als brennen und leuchten vom Feuer mag geschieden
werden. — Durch den Glauben fährt der Christ über sich in Gott; aus Gott
fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibet doch immer in Gott und
göttlicher Liebe. — Durch den Glauben wird ein Christenmensch so hoch er¬
haben über alle Dinge, daß er ein Herr aller wird geistlich; nicht daß er leiblich
ihrer mächtig sei, sie zu besitzen, wie die Menschen auf Erden, aber sie müssen
ihm alle Unterthan sein und helfen zu seinem Besten und zu seiner Seligkeit,
es sei Leben oder Tod, Gutes oder Böses, Gegenwärtiges oder Zukünftiges ...
Das ist eine rechte allmächtige Herrschaft, die da regieret auch in leiblicher
Unterdrückung. — Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und
niemand Unterthan."*)

So äußert sich jene „herrliche Freiheit der Kinder Gottes" aus der inner¬
lichsten Erfahrung des großen Mannes heraus. Im Vollgefühle dieser Freiheit
ist er selbst aus dem zagenden Grübler zum todesmutigen Helden geworden.
Als ihr begeisterter Prophet und Vorkämpfer hat er dann das von neuem
auferlegte Joch des Menschendienstes beseitigt und die ursprüngliche, gotteben-
bildliche Würde des Menschen erneuert. Eben dadurch aber ist er der Bahn¬
weiser der neuen Zeit geworden. Denn worin beruht hauptsächlich die unter¬
scheidende Eigentümlichkeit der modernen Weltanschauung? Unverkennbar darin,
daß das Bewußtsein von der Menschenwürde und von der Freiheit der Persön¬
lichkeit lebhafter und allgemeiner erwacht ist als in irgend einer früheren Pe¬
riode der Geschichte. Daher die wunderbare Beweglichkeit der Geister in den
letzten Jahrhunderten, durch welche sich die Menschheit mit steigendem Erfolge
der Lösung ihrer erhabenen Aufgabe nähert, sich das Erdreich Unterthan zu
machen. Nur die Verblendung kann in Abrede stellen, daß Luther diese Rich¬
tung angebahnt habe.

Aber sein Verdienst beschränkt sich keineswegs darauf. Der Begriff der
Freiheit ist, wie die Erfahrung nur zu deutlich lehrt, den größten Mißverstand-



* An den christlichen Adel ze. — Vorrede zum Römerbriese. — Von der Freiheit des
Christenmenschen,
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[0391] Zur Lutherfeier. desselbigen und alles, was sein ist, rühmen darf und darauf pochen und trotzen Wider Sünde, Tod, Teufel, Hölle und alles Unglück; so ist es nicht möglich, ich muß ihn wiederum lieb haben und ihm hold sein, seine Gebote halten und alles, was er nur haben will, mit Lust und Liebe thun. — Glaube ist eine lebendige, erwegende verwegene) Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht . . . machet fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der heilige Geist thuet im Glauben. Daher der Mensch ohne Zwang willig wird, jedermann Gutes zu thun, jedermann zu diene», allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und Lob, der ihm solche Gnade erzeiget hat — also daß unmöglich ist, Werk vom Glauben scheiden, ja so unmöglich, als brennen und leuchten vom Feuer mag geschieden werden. — Durch den Glauben fährt der Christ über sich in Gott; aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibet doch immer in Gott und göttlicher Liebe. — Durch den Glauben wird ein Christenmensch so hoch er¬ haben über alle Dinge, daß er ein Herr aller wird geistlich; nicht daß er leiblich ihrer mächtig sei, sie zu besitzen, wie die Menschen auf Erden, aber sie müssen ihm alle Unterthan sein und helfen zu seinem Besten und zu seiner Seligkeit, es sei Leben oder Tod, Gutes oder Böses, Gegenwärtiges oder Zukünftiges ... Das ist eine rechte allmächtige Herrschaft, die da regieret auch in leiblicher Unterdrückung. — Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand Unterthan."*) So äußert sich jene „herrliche Freiheit der Kinder Gottes" aus der inner¬ lichsten Erfahrung des großen Mannes heraus. Im Vollgefühle dieser Freiheit ist er selbst aus dem zagenden Grübler zum todesmutigen Helden geworden. Als ihr begeisterter Prophet und Vorkämpfer hat er dann das von neuem auferlegte Joch des Menschendienstes beseitigt und die ursprüngliche, gotteben- bildliche Würde des Menschen erneuert. Eben dadurch aber ist er der Bahn¬ weiser der neuen Zeit geworden. Denn worin beruht hauptsächlich die unter¬ scheidende Eigentümlichkeit der modernen Weltanschauung? Unverkennbar darin, daß das Bewußtsein von der Menschenwürde und von der Freiheit der Persön¬ lichkeit lebhafter und allgemeiner erwacht ist als in irgend einer früheren Pe¬ riode der Geschichte. Daher die wunderbare Beweglichkeit der Geister in den letzten Jahrhunderten, durch welche sich die Menschheit mit steigendem Erfolge der Lösung ihrer erhabenen Aufgabe nähert, sich das Erdreich Unterthan zu machen. Nur die Verblendung kann in Abrede stellen, daß Luther diese Rich¬ tung angebahnt habe. Aber sein Verdienst beschränkt sich keineswegs darauf. Der Begriff der Freiheit ist, wie die Erfahrung nur zu deutlich lehrt, den größten Mißverstand- * An den christlichen Adel ze. — Vorrede zum Römerbriese. — Von der Freiheit des Christenmenschen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/391>, abgerufen am 03.07.2024.