Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
parlamentarische (Offenherzigkeiten.

Von einem Hospitanten des Fortschritts zu einem Mitgliede der "Volks¬
partei" ist der Schritt nicht groß. Rechtsanwalt Payer aus Würtemberg will
sich den König von Würtemberg als seinen ganzen und ungeteilten Landesvater
nicht rauben lassen. Hat ihm jemand denselben ganz oder teilweise nehmen
wollen? Das eigentlich nicht. Allein der Schatzsekretär Barchard hat sich heraus¬
genommen, die kaiserliche Botschaft eine landesväteruche Mahnung zu nennen,
und in diesem Punkte ist man sehr empfindlich, zumal wenn man der Volks-
Partei angehört. Dem Kaiser und dem Kanzler ist ja alles zuzutrauen! Mit
Berufung darauf, daß die Würtenberger durch ihr Schweigen bei jeuer Rede¬
wendung des Herrn Burchacd ihre Einwilligung erteilt hätten, könnte eines
schönen Morgens der König von Würtemberg vom Throne gestoßen werde",
und wenn die konservativen Schwaben meinen, die Gefahr sei nicht drohend,
das dynastische Feingefühl eines noch über den Fortschritt Fortgeschrittnen läßt
sich so schnell nicht beruhigen. Es ist ja nicht das erstemal, daß die Demokraten
sich als Paladine der bedrohten Souveräne bewähren. Im Jahre 1866 scharten
sich geschätzte Mitglieder der damaligen Fortschritts- und Volksparteien um den
armen Bundestag als letzten Hort der Freiheit, um den Kurfürsten von Hessen,
den König von Hannover und Herrn von Beust. Welches Glück sür die deutschen
Fürsten, daß, wenn es sich darum handelt, der Reichseinheit etwas anzuthun,
man sich ihrer -- der Fürsten -- wohlwollend erinnert. Ihr Fürsten könnet
ruhig sein, fest steht die Wacht der Volkspartei'n!

Und endlich Herr Bamberger, rechter Seitenverwandter des Fortschritts!
Wenn ein so gewiegter Geschäftsmann mobil macht, muß es ernst stehen. Daß
er mit edler Bescheidenheit die Eloquenz als aus der Mode gekommen be¬
zeichnet, werden ihm zwar manche guten Freunde verübelt haben, und es war
wirklich nicht notwendig, Herrn Laster so zu kränken. Doch das ist eine Kleinig¬
keit im Vergleich mit den unschätzbaren Eröffnungen politischer Natur. "Wer
in unserm lieben Deutschland jetzt eine republikanische Verfassung erstreben wollte,
der wäre ein reiner Narr," und "die Regierung muß den Weg gehen, den die
Reichstagsmajorität ihr vorzeichnet." Der Minister Scholz war in der That
wenig großmütig gegen den Redner, aber darin am wenigsten, daß er ihm das
"Jetzt" ausnutzte. Um des Himmels willen, man kann sich doch nicht für ewige
Zeiten binden! Es können "Konjunkturen" eintreten, die unbenutzt zu lassen
wenig Geschäftsgeist bekunden würde. "Jetzt" begnügen wir uns mit dem Parla¬
mentarismus, und zwar nicht dem Parlamentarismus "in der übertriebenen
Weise, daß man alle vierzehn Tage nach neuen parlamentarischen Kombinationen
ein neues Ministerium macht"; beileibe nicht! da würde alles Vergnügen für
die endlich auf parlamentarischem Wege ans Ruder Gelangten aufhören. Eine
neue Kombination läßt sich bald zustande bringen, wenn es sich überhaupt um
Opposition gegen eine Regierung handelt, und noch dazu mit der Aussicht, deren
Stelle einzunehmen. In solcher übertriebenen Weise wollen wir den Paria-


parlamentarische (Offenherzigkeiten.

Von einem Hospitanten des Fortschritts zu einem Mitgliede der „Volks¬
partei" ist der Schritt nicht groß. Rechtsanwalt Payer aus Würtemberg will
sich den König von Würtemberg als seinen ganzen und ungeteilten Landesvater
nicht rauben lassen. Hat ihm jemand denselben ganz oder teilweise nehmen
wollen? Das eigentlich nicht. Allein der Schatzsekretär Barchard hat sich heraus¬
genommen, die kaiserliche Botschaft eine landesväteruche Mahnung zu nennen,
und in diesem Punkte ist man sehr empfindlich, zumal wenn man der Volks-
Partei angehört. Dem Kaiser und dem Kanzler ist ja alles zuzutrauen! Mit
Berufung darauf, daß die Würtenberger durch ihr Schweigen bei jeuer Rede¬
wendung des Herrn Burchacd ihre Einwilligung erteilt hätten, könnte eines
schönen Morgens der König von Würtemberg vom Throne gestoßen werde»,
und wenn die konservativen Schwaben meinen, die Gefahr sei nicht drohend,
das dynastische Feingefühl eines noch über den Fortschritt Fortgeschrittnen läßt
sich so schnell nicht beruhigen. Es ist ja nicht das erstemal, daß die Demokraten
sich als Paladine der bedrohten Souveräne bewähren. Im Jahre 1866 scharten
sich geschätzte Mitglieder der damaligen Fortschritts- und Volksparteien um den
armen Bundestag als letzten Hort der Freiheit, um den Kurfürsten von Hessen,
den König von Hannover und Herrn von Beust. Welches Glück sür die deutschen
Fürsten, daß, wenn es sich darum handelt, der Reichseinheit etwas anzuthun,
man sich ihrer — der Fürsten — wohlwollend erinnert. Ihr Fürsten könnet
ruhig sein, fest steht die Wacht der Volkspartei'n!

Und endlich Herr Bamberger, rechter Seitenverwandter des Fortschritts!
Wenn ein so gewiegter Geschäftsmann mobil macht, muß es ernst stehen. Daß
er mit edler Bescheidenheit die Eloquenz als aus der Mode gekommen be¬
zeichnet, werden ihm zwar manche guten Freunde verübelt haben, und es war
wirklich nicht notwendig, Herrn Laster so zu kränken. Doch das ist eine Kleinig¬
keit im Vergleich mit den unschätzbaren Eröffnungen politischer Natur. „Wer
in unserm lieben Deutschland jetzt eine republikanische Verfassung erstreben wollte,
der wäre ein reiner Narr," und „die Regierung muß den Weg gehen, den die
Reichstagsmajorität ihr vorzeichnet." Der Minister Scholz war in der That
wenig großmütig gegen den Redner, aber darin am wenigsten, daß er ihm das
„Jetzt" ausnutzte. Um des Himmels willen, man kann sich doch nicht für ewige
Zeiten binden! Es können „Konjunkturen" eintreten, die unbenutzt zu lassen
wenig Geschäftsgeist bekunden würde. „Jetzt" begnügen wir uns mit dem Parla¬
mentarismus, und zwar nicht dem Parlamentarismus „in der übertriebenen
Weise, daß man alle vierzehn Tage nach neuen parlamentarischen Kombinationen
ein neues Ministerium macht"; beileibe nicht! da würde alles Vergnügen für
die endlich auf parlamentarischem Wege ans Ruder Gelangten aufhören. Eine
neue Kombination läßt sich bald zustande bringen, wenn es sich überhaupt um
Opposition gegen eine Regierung handelt, und noch dazu mit der Aussicht, deren
Stelle einzunehmen. In solcher übertriebenen Weise wollen wir den Paria-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153136"/>
          <fw type="header" place="top"> parlamentarische (Offenherzigkeiten.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1535"> Von einem Hospitanten des Fortschritts zu einem Mitgliede der &#x201E;Volks¬<lb/>
partei" ist der Schritt nicht groß. Rechtsanwalt Payer aus Würtemberg will<lb/>
sich den König von Würtemberg als seinen ganzen und ungeteilten Landesvater<lb/>
nicht rauben lassen. Hat ihm jemand denselben ganz oder teilweise nehmen<lb/>
wollen? Das eigentlich nicht. Allein der Schatzsekretär Barchard hat sich heraus¬<lb/>
genommen, die kaiserliche Botschaft eine landesväteruche Mahnung zu nennen,<lb/>
und in diesem Punkte ist man sehr empfindlich, zumal wenn man der Volks-<lb/>
Partei angehört. Dem Kaiser und dem Kanzler ist ja alles zuzutrauen! Mit<lb/>
Berufung darauf, daß die Würtenberger durch ihr Schweigen bei jeuer Rede¬<lb/>
wendung des Herrn Burchacd ihre Einwilligung erteilt hätten, könnte eines<lb/>
schönen Morgens der König von Würtemberg vom Throne gestoßen werde»,<lb/>
und wenn die konservativen Schwaben meinen, die Gefahr sei nicht drohend,<lb/>
das dynastische Feingefühl eines noch über den Fortschritt Fortgeschrittnen läßt<lb/>
sich so schnell nicht beruhigen. Es ist ja nicht das erstemal, daß die Demokraten<lb/>
sich als Paladine der bedrohten Souveräne bewähren. Im Jahre 1866 scharten<lb/>
sich geschätzte Mitglieder der damaligen Fortschritts- und Volksparteien um den<lb/>
armen Bundestag als letzten Hort der Freiheit, um den Kurfürsten von Hessen,<lb/>
den König von Hannover und Herrn von Beust. Welches Glück sür die deutschen<lb/>
Fürsten, daß, wenn es sich darum handelt, der Reichseinheit etwas anzuthun,<lb/>
man sich ihrer &#x2014; der Fürsten &#x2014; wohlwollend erinnert. Ihr Fürsten könnet<lb/>
ruhig sein, fest steht die Wacht der Volkspartei'n!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536" next="#ID_1537"> Und endlich Herr Bamberger, rechter Seitenverwandter des Fortschritts!<lb/>
Wenn ein so gewiegter Geschäftsmann mobil macht, muß es ernst stehen. Daß<lb/>
er mit edler Bescheidenheit die Eloquenz als aus der Mode gekommen be¬<lb/>
zeichnet, werden ihm zwar manche guten Freunde verübelt haben, und es war<lb/>
wirklich nicht notwendig, Herrn Laster so zu kränken. Doch das ist eine Kleinig¬<lb/>
keit im Vergleich mit den unschätzbaren Eröffnungen politischer Natur. &#x201E;Wer<lb/>
in unserm lieben Deutschland jetzt eine republikanische Verfassung erstreben wollte,<lb/>
der wäre ein reiner Narr," und &#x201E;die Regierung muß den Weg gehen, den die<lb/>
Reichstagsmajorität ihr vorzeichnet." Der Minister Scholz war in der That<lb/>
wenig großmütig gegen den Redner, aber darin am wenigsten, daß er ihm das<lb/>
&#x201E;Jetzt" ausnutzte. Um des Himmels willen, man kann sich doch nicht für ewige<lb/>
Zeiten binden! Es können &#x201E;Konjunkturen" eintreten, die unbenutzt zu lassen<lb/>
wenig Geschäftsgeist bekunden würde. &#x201E;Jetzt" begnügen wir uns mit dem Parla¬<lb/>
mentarismus, und zwar nicht dem Parlamentarismus &#x201E;in der übertriebenen<lb/>
Weise, daß man alle vierzehn Tage nach neuen parlamentarischen Kombinationen<lb/>
ein neues Ministerium macht"; beileibe nicht! da würde alles Vergnügen für<lb/>
die endlich auf parlamentarischem Wege ans Ruder Gelangten aufhören. Eine<lb/>
neue Kombination läßt sich bald zustande bringen, wenn es sich überhaupt um<lb/>
Opposition gegen eine Regierung handelt, und noch dazu mit der Aussicht, deren<lb/>
Stelle einzunehmen.  In solcher übertriebenen Weise wollen wir den Paria-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] parlamentarische (Offenherzigkeiten. Von einem Hospitanten des Fortschritts zu einem Mitgliede der „Volks¬ partei" ist der Schritt nicht groß. Rechtsanwalt Payer aus Würtemberg will sich den König von Würtemberg als seinen ganzen und ungeteilten Landesvater nicht rauben lassen. Hat ihm jemand denselben ganz oder teilweise nehmen wollen? Das eigentlich nicht. Allein der Schatzsekretär Barchard hat sich heraus¬ genommen, die kaiserliche Botschaft eine landesväteruche Mahnung zu nennen, und in diesem Punkte ist man sehr empfindlich, zumal wenn man der Volks- Partei angehört. Dem Kaiser und dem Kanzler ist ja alles zuzutrauen! Mit Berufung darauf, daß die Würtenberger durch ihr Schweigen bei jeuer Rede¬ wendung des Herrn Burchacd ihre Einwilligung erteilt hätten, könnte eines schönen Morgens der König von Würtemberg vom Throne gestoßen werde», und wenn die konservativen Schwaben meinen, die Gefahr sei nicht drohend, das dynastische Feingefühl eines noch über den Fortschritt Fortgeschrittnen läßt sich so schnell nicht beruhigen. Es ist ja nicht das erstemal, daß die Demokraten sich als Paladine der bedrohten Souveräne bewähren. Im Jahre 1866 scharten sich geschätzte Mitglieder der damaligen Fortschritts- und Volksparteien um den armen Bundestag als letzten Hort der Freiheit, um den Kurfürsten von Hessen, den König von Hannover und Herrn von Beust. Welches Glück sür die deutschen Fürsten, daß, wenn es sich darum handelt, der Reichseinheit etwas anzuthun, man sich ihrer — der Fürsten — wohlwollend erinnert. Ihr Fürsten könnet ruhig sein, fest steht die Wacht der Volkspartei'n! Und endlich Herr Bamberger, rechter Seitenverwandter des Fortschritts! Wenn ein so gewiegter Geschäftsmann mobil macht, muß es ernst stehen. Daß er mit edler Bescheidenheit die Eloquenz als aus der Mode gekommen be¬ zeichnet, werden ihm zwar manche guten Freunde verübelt haben, und es war wirklich nicht notwendig, Herrn Laster so zu kränken. Doch das ist eine Kleinig¬ keit im Vergleich mit den unschätzbaren Eröffnungen politischer Natur. „Wer in unserm lieben Deutschland jetzt eine republikanische Verfassung erstreben wollte, der wäre ein reiner Narr," und „die Regierung muß den Weg gehen, den die Reichstagsmajorität ihr vorzeichnet." Der Minister Scholz war in der That wenig großmütig gegen den Redner, aber darin am wenigsten, daß er ihm das „Jetzt" ausnutzte. Um des Himmels willen, man kann sich doch nicht für ewige Zeiten binden! Es können „Konjunkturen" eintreten, die unbenutzt zu lassen wenig Geschäftsgeist bekunden würde. „Jetzt" begnügen wir uns mit dem Parla¬ mentarismus, und zwar nicht dem Parlamentarismus „in der übertriebenen Weise, daß man alle vierzehn Tage nach neuen parlamentarischen Kombinationen ein neues Ministerium macht"; beileibe nicht! da würde alles Vergnügen für die endlich auf parlamentarischem Wege ans Ruder Gelangten aufhören. Eine neue Kombination läßt sich bald zustande bringen, wenn es sich überhaupt um Opposition gegen eine Regierung handelt, und noch dazu mit der Aussicht, deren Stelle einzunehmen. In solcher übertriebenen Weise wollen wir den Paria-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/387>, abgerufen am 03.07.2024.