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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

Seiner Spur zu folgen bemühte ich mich vergebens. Die Bibliothek hat
das Buch eingebüßt. Im Adreßbuche stand der Mensch verzeichnet als "In¬
haber eines Schuldeueinziehtingsbürcaus"! Ich hatte ihn ganz richtig taxirt:
es war ein Lump.

Der Verfasser des Bibliothcksnrtikels erörtert die "wahrhaft anstößige
Möglichkeit," daß ein Buch zu Gunsten eines einzelnen Entleihers, der dasselbe
vielleicht monatelang unbenutzt zu Hause liegen lasse, allen übrigen entzogen
werde. Weit anstößiger aber noch ist die andre Möglichkeit, die er gar nicht
für möglich gehalten zu haben scheint, und die doch, auch bei der größten
Vorsicht der Bibliotheksverwaltuug, gar nicht so selteu ist, daß nämlich ein
Buch der Bibliothek für immer entzogen wird. Ein Fall wie der eben
erzählte steht glücklicherweise vereinzelt da. Aber es werden auch Bücher von
den Entleihern -- verloren. Sind das Bücher, die im Buchhandel noch zu
haben sind, so ist das Unglück nicht groß, die Bibliothek schafft sie auf Kosten
des Verlierers oder seines Bürgen wieder an. Wie aber, wenn sie nnr noch
antiquarisch zu haben, vielleicht höchst selten in antiquarischen Katalogen auf¬
tauchende Erscheinungen sind? -- Vorm Jahre verlor ein junger Maun ein
Buch unsrer Bibliothek, das zu Anfang vorigen Jahrhunderts in Holland er¬
schienen war. Es wurde der größten holländischen Autiquariatsbuchhandlnng
Auftrag gegeben, das Buch ü. Wut xrix zu schaffen. Nach monatelangem Harren
offerirte sie -- einen englischen Nachdruck, der natürlich nbgelehut wurde. Nach
Verlauf von abermals mehreren Monaten tauchte endlich ein Exemplar der
Originalausgabe in dem Lager eines großen Stuttgarter Antiquars auf, und
die Angelegenheit war damit glücklich erledigt. Ein andrer Fall: Ein Univcr-
sitcitsdvzent verlor vorm Jahre eine äußerst seltene kleine Schrift zur deutscheu
Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Seit Jahr und Tag hat ein großer
Frankfurter Antiquar Auftrag, das Büchlein wieder zu beschaffen -- bis jetzt
ohne Erfolg. Die Biblivtheksverwaltung studirt jeden ihr zugehenden antiqua¬
rischen Katalog auf das Schriftchen hin durch -- vergebens. Inzwischen ist der
betreffende Dozent, dem sein Verlust natürlich nicht minder verdrießlich ist wie
dem Bibliothekar, an eine andre Universität berufen worden, die Angelegenheit
droht einzuschlafen, die Bibliothek hat das Nachsehen. Aber gesetzt auch, das
Buch fände sich uoch irgendwo, wie kommt die Biblivtheksverwaltung dazu,
für die Nachlässigkeit eines einzelnen durch derartige überflüssige Sorge und
Arbeit zu büßen?

Man könnte sagen, die Vorsicht des Bibliothekars dürfe sich eben nicht
bloß auf die Personen, sie müsse sich auch auf die Bücher erstrecken, die Bi¬
bliothek dürfe eben nicht jedes Buch ausleihen, sie müsse unterscheiden zwischen
leicht wieder zu beschaffender und seltenen Büchern. Da hätten wir ja aber schon
die zweite Beschränkung! Erst soll uicht an jedermann, und nun soll auch nicht
jedes Buch verliehen werden. In der That hat anch über den letzten Punkt


Drei Antworten.

Seiner Spur zu folgen bemühte ich mich vergebens. Die Bibliothek hat
das Buch eingebüßt. Im Adreßbuche stand der Mensch verzeichnet als „In¬
haber eines Schuldeueinziehtingsbürcaus"! Ich hatte ihn ganz richtig taxirt:
es war ein Lump.

Der Verfasser des Bibliothcksnrtikels erörtert die „wahrhaft anstößige
Möglichkeit," daß ein Buch zu Gunsten eines einzelnen Entleihers, der dasselbe
vielleicht monatelang unbenutzt zu Hause liegen lasse, allen übrigen entzogen
werde. Weit anstößiger aber noch ist die andre Möglichkeit, die er gar nicht
für möglich gehalten zu haben scheint, und die doch, auch bei der größten
Vorsicht der Bibliotheksverwaltuug, gar nicht so selteu ist, daß nämlich ein
Buch der Bibliothek für immer entzogen wird. Ein Fall wie der eben
erzählte steht glücklicherweise vereinzelt da. Aber es werden auch Bücher von
den Entleihern — verloren. Sind das Bücher, die im Buchhandel noch zu
haben sind, so ist das Unglück nicht groß, die Bibliothek schafft sie auf Kosten
des Verlierers oder seines Bürgen wieder an. Wie aber, wenn sie nnr noch
antiquarisch zu haben, vielleicht höchst selten in antiquarischen Katalogen auf¬
tauchende Erscheinungen sind? — Vorm Jahre verlor ein junger Maun ein
Buch unsrer Bibliothek, das zu Anfang vorigen Jahrhunderts in Holland er¬
schienen war. Es wurde der größten holländischen Autiquariatsbuchhandlnng
Auftrag gegeben, das Buch ü. Wut xrix zu schaffen. Nach monatelangem Harren
offerirte sie — einen englischen Nachdruck, der natürlich nbgelehut wurde. Nach
Verlauf von abermals mehreren Monaten tauchte endlich ein Exemplar der
Originalausgabe in dem Lager eines großen Stuttgarter Antiquars auf, und
die Angelegenheit war damit glücklich erledigt. Ein andrer Fall: Ein Univcr-
sitcitsdvzent verlor vorm Jahre eine äußerst seltene kleine Schrift zur deutscheu
Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Seit Jahr und Tag hat ein großer
Frankfurter Antiquar Auftrag, das Büchlein wieder zu beschaffen — bis jetzt
ohne Erfolg. Die Biblivtheksverwaltung studirt jeden ihr zugehenden antiqua¬
rischen Katalog auf das Schriftchen hin durch — vergebens. Inzwischen ist der
betreffende Dozent, dem sein Verlust natürlich nicht minder verdrießlich ist wie
dem Bibliothekar, an eine andre Universität berufen worden, die Angelegenheit
droht einzuschlafen, die Bibliothek hat das Nachsehen. Aber gesetzt auch, das
Buch fände sich uoch irgendwo, wie kommt die Biblivtheksverwaltung dazu,
für die Nachlässigkeit eines einzelnen durch derartige überflüssige Sorge und
Arbeit zu büßen?

Man könnte sagen, die Vorsicht des Bibliothekars dürfe sich eben nicht
bloß auf die Personen, sie müsse sich auch auf die Bücher erstrecken, die Bi¬
bliothek dürfe eben nicht jedes Buch ausleihen, sie müsse unterscheiden zwischen
leicht wieder zu beschaffender und seltenen Büchern. Da hätten wir ja aber schon
die zweite Beschränkung! Erst soll uicht an jedermann, und nun soll auch nicht
jedes Buch verliehen werden. In der That hat anch über den letzten Punkt


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[0360] Drei Antworten. Seiner Spur zu folgen bemühte ich mich vergebens. Die Bibliothek hat das Buch eingebüßt. Im Adreßbuche stand der Mensch verzeichnet als „In¬ haber eines Schuldeueinziehtingsbürcaus"! Ich hatte ihn ganz richtig taxirt: es war ein Lump. Der Verfasser des Bibliothcksnrtikels erörtert die „wahrhaft anstößige Möglichkeit," daß ein Buch zu Gunsten eines einzelnen Entleihers, der dasselbe vielleicht monatelang unbenutzt zu Hause liegen lasse, allen übrigen entzogen werde. Weit anstößiger aber noch ist die andre Möglichkeit, die er gar nicht für möglich gehalten zu haben scheint, und die doch, auch bei der größten Vorsicht der Bibliotheksverwaltuug, gar nicht so selteu ist, daß nämlich ein Buch der Bibliothek für immer entzogen wird. Ein Fall wie der eben erzählte steht glücklicherweise vereinzelt da. Aber es werden auch Bücher von den Entleihern — verloren. Sind das Bücher, die im Buchhandel noch zu haben sind, so ist das Unglück nicht groß, die Bibliothek schafft sie auf Kosten des Verlierers oder seines Bürgen wieder an. Wie aber, wenn sie nnr noch antiquarisch zu haben, vielleicht höchst selten in antiquarischen Katalogen auf¬ tauchende Erscheinungen sind? — Vorm Jahre verlor ein junger Maun ein Buch unsrer Bibliothek, das zu Anfang vorigen Jahrhunderts in Holland er¬ schienen war. Es wurde der größten holländischen Autiquariatsbuchhandlnng Auftrag gegeben, das Buch ü. Wut xrix zu schaffen. Nach monatelangem Harren offerirte sie — einen englischen Nachdruck, der natürlich nbgelehut wurde. Nach Verlauf von abermals mehreren Monaten tauchte endlich ein Exemplar der Originalausgabe in dem Lager eines großen Stuttgarter Antiquars auf, und die Angelegenheit war damit glücklich erledigt. Ein andrer Fall: Ein Univcr- sitcitsdvzent verlor vorm Jahre eine äußerst seltene kleine Schrift zur deutscheu Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Seit Jahr und Tag hat ein großer Frankfurter Antiquar Auftrag, das Büchlein wieder zu beschaffen — bis jetzt ohne Erfolg. Die Biblivtheksverwaltung studirt jeden ihr zugehenden antiqua¬ rischen Katalog auf das Schriftchen hin durch — vergebens. Inzwischen ist der betreffende Dozent, dem sein Verlust natürlich nicht minder verdrießlich ist wie dem Bibliothekar, an eine andre Universität berufen worden, die Angelegenheit droht einzuschlafen, die Bibliothek hat das Nachsehen. Aber gesetzt auch, das Buch fände sich uoch irgendwo, wie kommt die Biblivtheksverwaltung dazu, für die Nachlässigkeit eines einzelnen durch derartige überflüssige Sorge und Arbeit zu büßen? Man könnte sagen, die Vorsicht des Bibliothekars dürfe sich eben nicht bloß auf die Personen, sie müsse sich auch auf die Bücher erstrecken, die Bi¬ bliothek dürfe eben nicht jedes Buch ausleihen, sie müsse unterscheiden zwischen leicht wieder zu beschaffender und seltenen Büchern. Da hätten wir ja aber schon die zweite Beschränkung! Erst soll uicht an jedermann, und nun soll auch nicht jedes Buch verliehen werden. In der That hat anch über den letzten Punkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/360>, abgerufen am 22.07.2024.