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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

und der Kenner: Plinius und Petronius sprechen von dieser "ägyptischen Er¬
findung" in ähnlichem Tone wie heutzutage manche Künstler und Kunstfreunde
von der Photographie, die gleichfalls beschuldigt wird, daß sie die wahre Kunst
zu Grunde richte.

Dieser Ursprung der Fresken von Herculaneum und Pompeji findet auch
im übrigen volle Bestätigung. Die Originale, deren Kopien sie sind, gehörten
unzweifelhaft der Zeit der Nachfolger Alexanders an; sie tragen den Stempel
dieser Epoche an der Stirn und besitzen alle Eigentümlichkeiten derselben. Eine
der großen Veränderungen, die sich damals in der griechischen Welt vollzogen,
war es auch, daß fast überall die Monarchie an die Stelle der Republik trat.
Um die Person des Herrschers und seiner Gemahlin sammelten sich Kriegs¬
männer, Minister, Diener, Poeten, Künstler; kurz, es bildete sich ein Hof, und
der Einfluß desselben machte sich, wie es immer geschieht, bald in den Sitten
der Völker bemerklich. Sie wurden glatter, zierlicher, verfeinerter. Man fing
an, die Vornehmheit der Umgangsformen, die Genüsse des Geistes, die Ge¬
wähltheit der Unterhaltungen, die Freuden der Geselligkeit über alles zu schätzen.
Das große Interesse der Gesellschaften aber, an denen beide Geschlechter teil¬
nehmen, ist regelmäßig die Liebe; so gewann denn diese für die Gesellschaft
und in der Folge auch für die Literatur jener Zeit die höchste Bedeutung. Von
nun an lebt die Poesie von ihr, und der Poesie eifern die bildenden Künste
nach. Aber die Liebe, wie die alexandrinischen Künstler sie zu malen Pflegen,
ist nicht die rasende Leidenschaft, die Euripides in der Phaedra dargestellt hat.
Ihre Malerei wird nicht mehr, wie die des Polygnot, vom Epos oder auch
nur von der alten Tragödie angeregt, vielmehr entlehnt sie ihre Stoffe der
Idylle und der Elegie, diesen Lieblingsgattungen der hellenistischen Dichtkunst.
Die Liebe ist bei ihnen eine Mischung von Galanterie und Empfindsamkeit.
Gern stellen sie freilich die Göttinnen und Heroinen dar, die ein Liebesleid be¬
drückt; die von Paris verlassene Oinone, Ariadne am Gestade von Naxos, wie
sie dem Schiffe nachblickt, das ihren Geliebten hinwegführt, Venus, die den
Jäger Adonis in ihren Armen sterben sieht, sind ihre Lieblingsstoffe. Aber sie
geben sorgsam Acht, daß der Schmerz dieser verlassenen Schönen ihrer Schön¬
heit nicht schade. Ihre Verzweiflung zeigt eine sehr elegante Haltung, sie siud
untröstlich, aber schön geschmückt, sie tragen Halsbänder und doppelte Arm¬
spangen, ihr Haar umschließen goldene Netze. Selten fehlt auch in einer Ecke
des Bildes ein kleiner Liebesgott, der dem Vorgang einen Zug lächelnder Heiter¬
keit verleiht, wenn er allzu ernst zu werden droht. Aus den pompejanischen
Fresken tummeln sich die Liebesgötter noch zahlreicher als auf den Gemälden
Watteaus, Bouchers und andrer französischer Künstler des 18. Jahrhunderts.
Sie sind das gewöhnliche Gefolge der Venus; sie helfen ihr, sich zu schmücken,
reichen ihr ihre Kleinodien und halten ihr den Spiegel, worin sie sich betrachtet.
Sie führen sie dem wartenden Mars zu; sie umgeben den verwundeten Adonis,


Pompejanische Spaziergänge.

und der Kenner: Plinius und Petronius sprechen von dieser „ägyptischen Er¬
findung" in ähnlichem Tone wie heutzutage manche Künstler und Kunstfreunde
von der Photographie, die gleichfalls beschuldigt wird, daß sie die wahre Kunst
zu Grunde richte.

Dieser Ursprung der Fresken von Herculaneum und Pompeji findet auch
im übrigen volle Bestätigung. Die Originale, deren Kopien sie sind, gehörten
unzweifelhaft der Zeit der Nachfolger Alexanders an; sie tragen den Stempel
dieser Epoche an der Stirn und besitzen alle Eigentümlichkeiten derselben. Eine
der großen Veränderungen, die sich damals in der griechischen Welt vollzogen,
war es auch, daß fast überall die Monarchie an die Stelle der Republik trat.
Um die Person des Herrschers und seiner Gemahlin sammelten sich Kriegs¬
männer, Minister, Diener, Poeten, Künstler; kurz, es bildete sich ein Hof, und
der Einfluß desselben machte sich, wie es immer geschieht, bald in den Sitten
der Völker bemerklich. Sie wurden glatter, zierlicher, verfeinerter. Man fing
an, die Vornehmheit der Umgangsformen, die Genüsse des Geistes, die Ge¬
wähltheit der Unterhaltungen, die Freuden der Geselligkeit über alles zu schätzen.
Das große Interesse der Gesellschaften aber, an denen beide Geschlechter teil¬
nehmen, ist regelmäßig die Liebe; so gewann denn diese für die Gesellschaft
und in der Folge auch für die Literatur jener Zeit die höchste Bedeutung. Von
nun an lebt die Poesie von ihr, und der Poesie eifern die bildenden Künste
nach. Aber die Liebe, wie die alexandrinischen Künstler sie zu malen Pflegen,
ist nicht die rasende Leidenschaft, die Euripides in der Phaedra dargestellt hat.
Ihre Malerei wird nicht mehr, wie die des Polygnot, vom Epos oder auch
nur von der alten Tragödie angeregt, vielmehr entlehnt sie ihre Stoffe der
Idylle und der Elegie, diesen Lieblingsgattungen der hellenistischen Dichtkunst.
Die Liebe ist bei ihnen eine Mischung von Galanterie und Empfindsamkeit.
Gern stellen sie freilich die Göttinnen und Heroinen dar, die ein Liebesleid be¬
drückt; die von Paris verlassene Oinone, Ariadne am Gestade von Naxos, wie
sie dem Schiffe nachblickt, das ihren Geliebten hinwegführt, Venus, die den
Jäger Adonis in ihren Armen sterben sieht, sind ihre Lieblingsstoffe. Aber sie
geben sorgsam Acht, daß der Schmerz dieser verlassenen Schönen ihrer Schön¬
heit nicht schade. Ihre Verzweiflung zeigt eine sehr elegante Haltung, sie siud
untröstlich, aber schön geschmückt, sie tragen Halsbänder und doppelte Arm¬
spangen, ihr Haar umschließen goldene Netze. Selten fehlt auch in einer Ecke
des Bildes ein kleiner Liebesgott, der dem Vorgang einen Zug lächelnder Heiter¬
keit verleiht, wenn er allzu ernst zu werden droht. Aus den pompejanischen
Fresken tummeln sich die Liebesgötter noch zahlreicher als auf den Gemälden
Watteaus, Bouchers und andrer französischer Künstler des 18. Jahrhunderts.
Sie sind das gewöhnliche Gefolge der Venus; sie helfen ihr, sich zu schmücken,
reichen ihr ihre Kleinodien und halten ihr den Spiegel, worin sie sich betrachtet.
Sie führen sie dem wartenden Mars zu; sie umgeben den verwundeten Adonis,


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[0346] Pompejanische Spaziergänge. und der Kenner: Plinius und Petronius sprechen von dieser „ägyptischen Er¬ findung" in ähnlichem Tone wie heutzutage manche Künstler und Kunstfreunde von der Photographie, die gleichfalls beschuldigt wird, daß sie die wahre Kunst zu Grunde richte. Dieser Ursprung der Fresken von Herculaneum und Pompeji findet auch im übrigen volle Bestätigung. Die Originale, deren Kopien sie sind, gehörten unzweifelhaft der Zeit der Nachfolger Alexanders an; sie tragen den Stempel dieser Epoche an der Stirn und besitzen alle Eigentümlichkeiten derselben. Eine der großen Veränderungen, die sich damals in der griechischen Welt vollzogen, war es auch, daß fast überall die Monarchie an die Stelle der Republik trat. Um die Person des Herrschers und seiner Gemahlin sammelten sich Kriegs¬ männer, Minister, Diener, Poeten, Künstler; kurz, es bildete sich ein Hof, und der Einfluß desselben machte sich, wie es immer geschieht, bald in den Sitten der Völker bemerklich. Sie wurden glatter, zierlicher, verfeinerter. Man fing an, die Vornehmheit der Umgangsformen, die Genüsse des Geistes, die Ge¬ wähltheit der Unterhaltungen, die Freuden der Geselligkeit über alles zu schätzen. Das große Interesse der Gesellschaften aber, an denen beide Geschlechter teil¬ nehmen, ist regelmäßig die Liebe; so gewann denn diese für die Gesellschaft und in der Folge auch für die Literatur jener Zeit die höchste Bedeutung. Von nun an lebt die Poesie von ihr, und der Poesie eifern die bildenden Künste nach. Aber die Liebe, wie die alexandrinischen Künstler sie zu malen Pflegen, ist nicht die rasende Leidenschaft, die Euripides in der Phaedra dargestellt hat. Ihre Malerei wird nicht mehr, wie die des Polygnot, vom Epos oder auch nur von der alten Tragödie angeregt, vielmehr entlehnt sie ihre Stoffe der Idylle und der Elegie, diesen Lieblingsgattungen der hellenistischen Dichtkunst. Die Liebe ist bei ihnen eine Mischung von Galanterie und Empfindsamkeit. Gern stellen sie freilich die Göttinnen und Heroinen dar, die ein Liebesleid be¬ drückt; die von Paris verlassene Oinone, Ariadne am Gestade von Naxos, wie sie dem Schiffe nachblickt, das ihren Geliebten hinwegführt, Venus, die den Jäger Adonis in ihren Armen sterben sieht, sind ihre Lieblingsstoffe. Aber sie geben sorgsam Acht, daß der Schmerz dieser verlassenen Schönen ihrer Schön¬ heit nicht schade. Ihre Verzweiflung zeigt eine sehr elegante Haltung, sie siud untröstlich, aber schön geschmückt, sie tragen Halsbänder und doppelte Arm¬ spangen, ihr Haar umschließen goldene Netze. Selten fehlt auch in einer Ecke des Bildes ein kleiner Liebesgott, der dem Vorgang einen Zug lächelnder Heiter¬ keit verleiht, wenn er allzu ernst zu werden droht. Aus den pompejanischen Fresken tummeln sich die Liebesgötter noch zahlreicher als auf den Gemälden Watteaus, Bouchers und andrer französischer Künstler des 18. Jahrhunderts. Sie sind das gewöhnliche Gefolge der Venus; sie helfen ihr, sich zu schmücken, reichen ihr ihre Kleinodien und halten ihr den Spiegel, worin sie sich betrachtet. Sie führen sie dem wartenden Mars zu; sie umgeben den verwundeten Adonis,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/346>, abgerufen am 22.07.2024.