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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Der Sraatsral,

Die Einrichtung ist nicht neu; in einzelnen, selbst deutscheu Staaten, bildet
sie noch jetzt einen Teil des staatlichen Körpers, in andern ist sie nur in Ver¬
gessenheit geraten, und ihre Wiederbelebung ist selbstverständlich von einer Unter¬
suchung darüber abhängig, ob sie auch nützlich sei. Dies zu ermitteln bedarf
es aber nicht nur einer theoretischen Abwägung der Gründe, welche dafür und
dawider sprechen, vielmehr erscheint es angemessen, eine Lehre aus der Verwirk¬
lichung zu schöpfen, die der Staatsrat bei den einzelnen Völkern im Laufe der
Zeiten gefunden hat. Aus dieser vergleichenden Nechtsauatomie wird sich dann
am besten ergeben, ob eine solche Einrichtung für unser neues Verfassungsleben
paßt, oder welchen Ausbildungen sie unterworfen werden muß, um sich in das¬
selbe einzufügen.

Der Staatsrat ist eine Schöpfung des Mittelalters. Das Altertum hat
uns keine Spur von dem Bestehen eines Staatsrath gelassen. Der Familien¬
rat, wie er im alten Rom bei den wichtigen Entscheidungen dem Familienober-
hauptc zur Seite stand, fand zwar auch eine staatsrechtliche Nachahmung im
Senat, aNein dieser bildete sich doch bald zu einem selbständigen Faktor der
Staatsgewalt aus, sodaß er dem Staatsoberhaupte nicht sowohl zur Seite als
gegenüber trat. Dasselbe galt auch von den germanischen Volksversammlungen,
den echten Dingen, den spätern März- und Maifeldern, auf welchen die Könige
die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches mit ihren weltlichen und geistlichen
Großen und dem gesamten Volke zu beraten pflegten. Aus diesen Beratungen
haben sich weiterhin die Reichsstände und nach ihrem Muster in den Territorien
die Landstände gebildet. Die Keime zu einem Staatsrat lagen allerdings in
diesen Versammlungen, in welchen selbstverständlich die Großen des Reiches ein
Übergewicht hatten und auch zuerst um ihre Meinung befragt wurden, ehe die
Beschlüsse des Königs an die große Versammlung zu deren Billigung gelangten.
Aber diese Keime verkümmerten in Deutschland an der Zersplitterung der Reichs¬
hoheit durch die Übergriffe der Landesfürsten, denn diese traten als Ratgeber
der Krone nicht in deren Interesse, sondern zur Wahrnehmung der eignen Rechte
auf. Spuren erhielten sich höchstens noch in den kaiserlichen Gerichten am Hof¬
lager, aus denen sich später dem Reichskammergericht zur Seite ein Reichshof¬
rat entwickelte, dem nicht nur Rechtsstreitigkeiten, sondern auch Verwaltungsakte
des Kaisers zur Begutachtung und Bearbeitung überwiesen wurden. Allein
diese oberste Justiz- und Verwaltungsbehörde läßt sich eher mit einem modernen
Ministerium als mit einem Staatsrat vergleichen.

Als das Vaterland des Staatsrath kann man ebensogut England wie
Frankreich betrachten. In England erscheint schon unter Eduard I. (1272--1307)
eil? fester Staatsrat (eilf eoMnutü oouuvil), welcher aus den höchsten militärischen,
geistlichen und weltlichen Beamten bestand und im Laufe der Zeit den noch
heut bestehenden Namen (xriv^ oounoil) annahm als der Mittelpunkt der Staats¬
regierung. Er bildete den Stamm des großen Rats, zu welchem der König


Der Sraatsral,

Die Einrichtung ist nicht neu; in einzelnen, selbst deutscheu Staaten, bildet
sie noch jetzt einen Teil des staatlichen Körpers, in andern ist sie nur in Ver¬
gessenheit geraten, und ihre Wiederbelebung ist selbstverständlich von einer Unter¬
suchung darüber abhängig, ob sie auch nützlich sei. Dies zu ermitteln bedarf
es aber nicht nur einer theoretischen Abwägung der Gründe, welche dafür und
dawider sprechen, vielmehr erscheint es angemessen, eine Lehre aus der Verwirk¬
lichung zu schöpfen, die der Staatsrat bei den einzelnen Völkern im Laufe der
Zeiten gefunden hat. Aus dieser vergleichenden Nechtsauatomie wird sich dann
am besten ergeben, ob eine solche Einrichtung für unser neues Verfassungsleben
paßt, oder welchen Ausbildungen sie unterworfen werden muß, um sich in das¬
selbe einzufügen.

Der Staatsrat ist eine Schöpfung des Mittelalters. Das Altertum hat
uns keine Spur von dem Bestehen eines Staatsrath gelassen. Der Familien¬
rat, wie er im alten Rom bei den wichtigen Entscheidungen dem Familienober-
hauptc zur Seite stand, fand zwar auch eine staatsrechtliche Nachahmung im
Senat, aNein dieser bildete sich doch bald zu einem selbständigen Faktor der
Staatsgewalt aus, sodaß er dem Staatsoberhaupte nicht sowohl zur Seite als
gegenüber trat. Dasselbe galt auch von den germanischen Volksversammlungen,
den echten Dingen, den spätern März- und Maifeldern, auf welchen die Könige
die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches mit ihren weltlichen und geistlichen
Großen und dem gesamten Volke zu beraten pflegten. Aus diesen Beratungen
haben sich weiterhin die Reichsstände und nach ihrem Muster in den Territorien
die Landstände gebildet. Die Keime zu einem Staatsrat lagen allerdings in
diesen Versammlungen, in welchen selbstverständlich die Großen des Reiches ein
Übergewicht hatten und auch zuerst um ihre Meinung befragt wurden, ehe die
Beschlüsse des Königs an die große Versammlung zu deren Billigung gelangten.
Aber diese Keime verkümmerten in Deutschland an der Zersplitterung der Reichs¬
hoheit durch die Übergriffe der Landesfürsten, denn diese traten als Ratgeber
der Krone nicht in deren Interesse, sondern zur Wahrnehmung der eignen Rechte
auf. Spuren erhielten sich höchstens noch in den kaiserlichen Gerichten am Hof¬
lager, aus denen sich später dem Reichskammergericht zur Seite ein Reichshof¬
rat entwickelte, dem nicht nur Rechtsstreitigkeiten, sondern auch Verwaltungsakte
des Kaisers zur Begutachtung und Bearbeitung überwiesen wurden. Allein
diese oberste Justiz- und Verwaltungsbehörde läßt sich eher mit einem modernen
Ministerium als mit einem Staatsrat vergleichen.

Als das Vaterland des Staatsrath kann man ebensogut England wie
Frankreich betrachten. In England erscheint schon unter Eduard I. (1272—1307)
eil? fester Staatsrat (eilf eoMnutü oouuvil), welcher aus den höchsten militärischen,
geistlichen und weltlichen Beamten bestand und im Laufe der Zeit den noch
heut bestehenden Namen (xriv^ oounoil) annahm als der Mittelpunkt der Staats¬
regierung. Er bildete den Stamm des großen Rats, zu welchem der König


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[0330] Der Sraatsral, Die Einrichtung ist nicht neu; in einzelnen, selbst deutscheu Staaten, bildet sie noch jetzt einen Teil des staatlichen Körpers, in andern ist sie nur in Ver¬ gessenheit geraten, und ihre Wiederbelebung ist selbstverständlich von einer Unter¬ suchung darüber abhängig, ob sie auch nützlich sei. Dies zu ermitteln bedarf es aber nicht nur einer theoretischen Abwägung der Gründe, welche dafür und dawider sprechen, vielmehr erscheint es angemessen, eine Lehre aus der Verwirk¬ lichung zu schöpfen, die der Staatsrat bei den einzelnen Völkern im Laufe der Zeiten gefunden hat. Aus dieser vergleichenden Nechtsauatomie wird sich dann am besten ergeben, ob eine solche Einrichtung für unser neues Verfassungsleben paßt, oder welchen Ausbildungen sie unterworfen werden muß, um sich in das¬ selbe einzufügen. Der Staatsrat ist eine Schöpfung des Mittelalters. Das Altertum hat uns keine Spur von dem Bestehen eines Staatsrath gelassen. Der Familien¬ rat, wie er im alten Rom bei den wichtigen Entscheidungen dem Familienober- hauptc zur Seite stand, fand zwar auch eine staatsrechtliche Nachahmung im Senat, aNein dieser bildete sich doch bald zu einem selbständigen Faktor der Staatsgewalt aus, sodaß er dem Staatsoberhaupte nicht sowohl zur Seite als gegenüber trat. Dasselbe galt auch von den germanischen Volksversammlungen, den echten Dingen, den spätern März- und Maifeldern, auf welchen die Könige die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches mit ihren weltlichen und geistlichen Großen und dem gesamten Volke zu beraten pflegten. Aus diesen Beratungen haben sich weiterhin die Reichsstände und nach ihrem Muster in den Territorien die Landstände gebildet. Die Keime zu einem Staatsrat lagen allerdings in diesen Versammlungen, in welchen selbstverständlich die Großen des Reiches ein Übergewicht hatten und auch zuerst um ihre Meinung befragt wurden, ehe die Beschlüsse des Königs an die große Versammlung zu deren Billigung gelangten. Aber diese Keime verkümmerten in Deutschland an der Zersplitterung der Reichs¬ hoheit durch die Übergriffe der Landesfürsten, denn diese traten als Ratgeber der Krone nicht in deren Interesse, sondern zur Wahrnehmung der eignen Rechte auf. Spuren erhielten sich höchstens noch in den kaiserlichen Gerichten am Hof¬ lager, aus denen sich später dem Reichskammergericht zur Seite ein Reichshof¬ rat entwickelte, dem nicht nur Rechtsstreitigkeiten, sondern auch Verwaltungsakte des Kaisers zur Begutachtung und Bearbeitung überwiesen wurden. Allein diese oberste Justiz- und Verwaltungsbehörde läßt sich eher mit einem modernen Ministerium als mit einem Staatsrat vergleichen. Als das Vaterland des Staatsrath kann man ebensogut England wie Frankreich betrachten. In England erscheint schon unter Eduard I. (1272—1307) eil? fester Staatsrat (eilf eoMnutü oouuvil), welcher aus den höchsten militärischen, geistlichen und weltlichen Beamten bestand und im Laufe der Zeit den noch heut bestehenden Namen (xriv^ oounoil) annahm als der Mittelpunkt der Staats¬ regierung. Er bildete den Stamm des großen Rats, zu welchem der König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/330>, abgerufen am 22.07.2024.