Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Überseeische Annexionspläne Frankreichs und Englands.

an das Sprichwort denken, daß man den Tag nicht loben soll, bevor der Abend
gekommen ist.

Die öffentliche Meinung in England ist, nach der Londoner Presse zu
urteilen, über diese Vorfälle in starker Aufregung. Die Blätter sprechen von
"fieberhafter Unrnhe Frankreichs" und fürchten Friedensstörnng durch dieselbe.
Das "ungestüme Streben nach Ausdehnung" erinnert sie an die Zeiten, wo
Frankreich im Eifer für Kolonien und Eroberungen Kanada schuf, Louisiana
entwickelte und "vielleicht Indien erobert hätte, wenn Clive nicht gewesen wäre."
Man hofft in seiner Besorgnis, daß, wenn es zu einem Kriege mit China
kommen sollte, der den Handel nicht bloß Englands stören würde, auf Ein¬
spruch des letztern und Anschluß andrer Mächte an denselben. Auch auf den
Fürsten Bismarck wird seltsamerweise dabei gerechnet. Besonders die Brazzasche
Expedition erscheint bedenklich, und wieder soll es hier nicht bloß England,
sondern die ganze handeltreibende Welt sein, die in ihren Interessen bedroht
wäre. Einiges in den Betrachtungen, die darüber angestellt werden, läßt sich
hören, andres ist Übertreibung, und wieder bei anderm kann man fragen: Was
würden die Ankläger sagen, wenn die Engländer am Kongo zuvorgekommen wären,
und eine Expedition wie die Brazzasche ausgesandt hätten, um die Entdeckungen
Stanleys und der internationalen geographischen Gesellschaft auszubeuten? Und
haben es denn die Engländer nicht oft schon so gehalten? Wie ist denn das
ungeheure britische Kolonialreich zu Stande gekommen? Wurden die Funda¬
mente zu demselben nicht durch Leute wie der französische Konsul Roustan in
Tunis, der den Bei einschüchterte, und wie de Brazza, der Stanley zu über¬
listen sucht, gelegt? England hat sich Gibraltars, Maltas uns Abens doch
gewiß nicht im Interesse der ganzen Welt bemächtigt. Es gab die Ionischen
Inseln sicher nicht aus Großmut auf, und es gewann sich später zum Ersatz
dafür Cypern. Auch die Fidschi-Inseln und Nord-Vorneo zeigen, daß es noch
dann und wann einen fetten Bissen Land sich einzuverleiben versteht, und wenn
es auf das Transvaal-Land notgedrungen verzichtet hat, so hat es dafür nach
dem viel wertvolleren Ägypten gegriffen. Es hat folglich sehr wenig Recht,
den Franzosen Strafpredigten zu halten, weil sie sich an entfernten Küsten aus¬
zudehnen trachten. Es hat umso weniger Recht dazu, als es gerade jetzt ein
Land zu cmnektiren im Begriff ist, welches eine doppelt größere Fläche dar¬
stellt als ganz Deutschland.

Wir meinen hiermit die im Gange begriffene Annexion Neuguineas, über
welche die englische Negierung vor einigen Tagen im Ober- und zugleich im
Unterhause interpellirt wurde. Lord Derby antwortete auf die an ihn gerichtete
Anfrage mit der ihm eignen Behutsamkeit, aber aus seinen Worten ließ sich
deutlich heraushören, daß er das Verfahren des Gouverneurs von Queensland,
welcher die genannte große Insel den Besitzungen der englischen Krone einver¬
leibt hatte, billige. Er verpflichtete sich allerdings nicht, diesen Akt gntzn-


Überseeische Annexionspläne Frankreichs und Englands.

an das Sprichwort denken, daß man den Tag nicht loben soll, bevor der Abend
gekommen ist.

Die öffentliche Meinung in England ist, nach der Londoner Presse zu
urteilen, über diese Vorfälle in starker Aufregung. Die Blätter sprechen von
„fieberhafter Unrnhe Frankreichs" und fürchten Friedensstörnng durch dieselbe.
Das „ungestüme Streben nach Ausdehnung" erinnert sie an die Zeiten, wo
Frankreich im Eifer für Kolonien und Eroberungen Kanada schuf, Louisiana
entwickelte und „vielleicht Indien erobert hätte, wenn Clive nicht gewesen wäre."
Man hofft in seiner Besorgnis, daß, wenn es zu einem Kriege mit China
kommen sollte, der den Handel nicht bloß Englands stören würde, auf Ein¬
spruch des letztern und Anschluß andrer Mächte an denselben. Auch auf den
Fürsten Bismarck wird seltsamerweise dabei gerechnet. Besonders die Brazzasche
Expedition erscheint bedenklich, und wieder soll es hier nicht bloß England,
sondern die ganze handeltreibende Welt sein, die in ihren Interessen bedroht
wäre. Einiges in den Betrachtungen, die darüber angestellt werden, läßt sich
hören, andres ist Übertreibung, und wieder bei anderm kann man fragen: Was
würden die Ankläger sagen, wenn die Engländer am Kongo zuvorgekommen wären,
und eine Expedition wie die Brazzasche ausgesandt hätten, um die Entdeckungen
Stanleys und der internationalen geographischen Gesellschaft auszubeuten? Und
haben es denn die Engländer nicht oft schon so gehalten? Wie ist denn das
ungeheure britische Kolonialreich zu Stande gekommen? Wurden die Funda¬
mente zu demselben nicht durch Leute wie der französische Konsul Roustan in
Tunis, der den Bei einschüchterte, und wie de Brazza, der Stanley zu über¬
listen sucht, gelegt? England hat sich Gibraltars, Maltas uns Abens doch
gewiß nicht im Interesse der ganzen Welt bemächtigt. Es gab die Ionischen
Inseln sicher nicht aus Großmut auf, und es gewann sich später zum Ersatz
dafür Cypern. Auch die Fidschi-Inseln und Nord-Vorneo zeigen, daß es noch
dann und wann einen fetten Bissen Land sich einzuverleiben versteht, und wenn
es auf das Transvaal-Land notgedrungen verzichtet hat, so hat es dafür nach
dem viel wertvolleren Ägypten gegriffen. Es hat folglich sehr wenig Recht,
den Franzosen Strafpredigten zu halten, weil sie sich an entfernten Küsten aus¬
zudehnen trachten. Es hat umso weniger Recht dazu, als es gerade jetzt ein
Land zu cmnektiren im Begriff ist, welches eine doppelt größere Fläche dar¬
stellt als ganz Deutschland.

Wir meinen hiermit die im Gange begriffene Annexion Neuguineas, über
welche die englische Negierung vor einigen Tagen im Ober- und zugleich im
Unterhause interpellirt wurde. Lord Derby antwortete auf die an ihn gerichtete
Anfrage mit der ihm eignen Behutsamkeit, aber aus seinen Worten ließ sich
deutlich heraushören, daß er das Verfahren des Gouverneurs von Queensland,
welcher die genannte große Insel den Besitzungen der englischen Krone einver¬
leibt hatte, billige. Er verpflichtete sich allerdings nicht, diesen Akt gntzn-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153060"/>
          <fw type="header" place="top"> Überseeische Annexionspläne Frankreichs und Englands.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1231" prev="#ID_1230"> an das Sprichwort denken, daß man den Tag nicht loben soll, bevor der Abend<lb/>
gekommen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1232"> Die öffentliche Meinung in England ist, nach der Londoner Presse zu<lb/>
urteilen, über diese Vorfälle in starker Aufregung. Die Blätter sprechen von<lb/>
&#x201E;fieberhafter Unrnhe Frankreichs" und fürchten Friedensstörnng durch dieselbe.<lb/>
Das &#x201E;ungestüme Streben nach Ausdehnung" erinnert sie an die Zeiten, wo<lb/>
Frankreich im Eifer für Kolonien und Eroberungen Kanada schuf, Louisiana<lb/>
entwickelte und &#x201E;vielleicht Indien erobert hätte, wenn Clive nicht gewesen wäre."<lb/>
Man hofft in seiner Besorgnis, daß, wenn es zu einem Kriege mit China<lb/>
kommen sollte, der den Handel nicht bloß Englands stören würde, auf Ein¬<lb/>
spruch des letztern und Anschluß andrer Mächte an denselben. Auch auf den<lb/>
Fürsten Bismarck wird seltsamerweise dabei gerechnet. Besonders die Brazzasche<lb/>
Expedition erscheint bedenklich, und wieder soll es hier nicht bloß England,<lb/>
sondern die ganze handeltreibende Welt sein, die in ihren Interessen bedroht<lb/>
wäre. Einiges in den Betrachtungen, die darüber angestellt werden, läßt sich<lb/>
hören, andres ist Übertreibung, und wieder bei anderm kann man fragen: Was<lb/>
würden die Ankläger sagen, wenn die Engländer am Kongo zuvorgekommen wären,<lb/>
und eine Expedition wie die Brazzasche ausgesandt hätten, um die Entdeckungen<lb/>
Stanleys und der internationalen geographischen Gesellschaft auszubeuten? Und<lb/>
haben es denn die Engländer nicht oft schon so gehalten? Wie ist denn das<lb/>
ungeheure britische Kolonialreich zu Stande gekommen? Wurden die Funda¬<lb/>
mente zu demselben nicht durch Leute wie der französische Konsul Roustan in<lb/>
Tunis, der den Bei einschüchterte, und wie de Brazza, der Stanley zu über¬<lb/>
listen sucht, gelegt? England hat sich Gibraltars, Maltas uns Abens doch<lb/>
gewiß nicht im Interesse der ganzen Welt bemächtigt. Es gab die Ionischen<lb/>
Inseln sicher nicht aus Großmut auf, und es gewann sich später zum Ersatz<lb/>
dafür Cypern. Auch die Fidschi-Inseln und Nord-Vorneo zeigen, daß es noch<lb/>
dann und wann einen fetten Bissen Land sich einzuverleiben versteht, und wenn<lb/>
es auf das Transvaal-Land notgedrungen verzichtet hat, so hat es dafür nach<lb/>
dem viel wertvolleren Ägypten gegriffen. Es hat folglich sehr wenig Recht,<lb/>
den Franzosen Strafpredigten zu halten, weil sie sich an entfernten Küsten aus¬<lb/>
zudehnen trachten. Es hat umso weniger Recht dazu, als es gerade jetzt ein<lb/>
Land zu cmnektiren im Begriff ist, welches eine doppelt größere Fläche dar¬<lb/>
stellt als ganz Deutschland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1233" next="#ID_1234"> Wir meinen hiermit die im Gange begriffene Annexion Neuguineas, über<lb/>
welche die englische Negierung vor einigen Tagen im Ober- und zugleich im<lb/>
Unterhause interpellirt wurde. Lord Derby antwortete auf die an ihn gerichtete<lb/>
Anfrage mit der ihm eignen Behutsamkeit, aber aus seinen Worten ließ sich<lb/>
deutlich heraushören, daß er das Verfahren des Gouverneurs von Queensland,<lb/>
welcher die genannte große Insel den Besitzungen der englischen Krone einver¬<lb/>
leibt hatte, billige.  Er verpflichtete sich allerdings nicht, diesen Akt gntzn-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] Überseeische Annexionspläne Frankreichs und Englands. an das Sprichwort denken, daß man den Tag nicht loben soll, bevor der Abend gekommen ist. Die öffentliche Meinung in England ist, nach der Londoner Presse zu urteilen, über diese Vorfälle in starker Aufregung. Die Blätter sprechen von „fieberhafter Unrnhe Frankreichs" und fürchten Friedensstörnng durch dieselbe. Das „ungestüme Streben nach Ausdehnung" erinnert sie an die Zeiten, wo Frankreich im Eifer für Kolonien und Eroberungen Kanada schuf, Louisiana entwickelte und „vielleicht Indien erobert hätte, wenn Clive nicht gewesen wäre." Man hofft in seiner Besorgnis, daß, wenn es zu einem Kriege mit China kommen sollte, der den Handel nicht bloß Englands stören würde, auf Ein¬ spruch des letztern und Anschluß andrer Mächte an denselben. Auch auf den Fürsten Bismarck wird seltsamerweise dabei gerechnet. Besonders die Brazzasche Expedition erscheint bedenklich, und wieder soll es hier nicht bloß England, sondern die ganze handeltreibende Welt sein, die in ihren Interessen bedroht wäre. Einiges in den Betrachtungen, die darüber angestellt werden, läßt sich hören, andres ist Übertreibung, und wieder bei anderm kann man fragen: Was würden die Ankläger sagen, wenn die Engländer am Kongo zuvorgekommen wären, und eine Expedition wie die Brazzasche ausgesandt hätten, um die Entdeckungen Stanleys und der internationalen geographischen Gesellschaft auszubeuten? Und haben es denn die Engländer nicht oft schon so gehalten? Wie ist denn das ungeheure britische Kolonialreich zu Stande gekommen? Wurden die Funda¬ mente zu demselben nicht durch Leute wie der französische Konsul Roustan in Tunis, der den Bei einschüchterte, und wie de Brazza, der Stanley zu über¬ listen sucht, gelegt? England hat sich Gibraltars, Maltas uns Abens doch gewiß nicht im Interesse der ganzen Welt bemächtigt. Es gab die Ionischen Inseln sicher nicht aus Großmut auf, und es gewann sich später zum Ersatz dafür Cypern. Auch die Fidschi-Inseln und Nord-Vorneo zeigen, daß es noch dann und wann einen fetten Bissen Land sich einzuverleiben versteht, und wenn es auf das Transvaal-Land notgedrungen verzichtet hat, so hat es dafür nach dem viel wertvolleren Ägypten gegriffen. Es hat folglich sehr wenig Recht, den Franzosen Strafpredigten zu halten, weil sie sich an entfernten Küsten aus¬ zudehnen trachten. Es hat umso weniger Recht dazu, als es gerade jetzt ein Land zu cmnektiren im Begriff ist, welches eine doppelt größere Fläche dar¬ stellt als ganz Deutschland. Wir meinen hiermit die im Gange begriffene Annexion Neuguineas, über welche die englische Negierung vor einigen Tagen im Ober- und zugleich im Unterhause interpellirt wurde. Lord Derby antwortete auf die an ihn gerichtete Anfrage mit der ihm eignen Behutsamkeit, aber aus seinen Worten ließ sich deutlich heraushören, daß er das Verfahren des Gouverneurs von Queensland, welcher die genannte große Insel den Besitzungen der englischen Krone einver¬ leibt hatte, billige. Er verpflichtete sich allerdings nicht, diesen Akt gntzn-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/311>, abgerufen am 22.07.2024.