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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein Beispiel ultramontaner Propaganda.

Tante, Prinzessin Eulalia von Löwenstein-Wertheim. Endlich ein Besuch der
Mutter selbst, welche ebenfalls zu Fuß und unangemeldet in das Schloß kam,
sofort auf das Zimmer des Prinzen eilte und von dem anwesenden Lehrer for¬
derte, sie mit dem Prinzen allein zu lassen. Der Fürst wußte sich gegen diese
weibliche Übermacht nicht anders zu helfen, als daß er einen Gendarmen holen
ließ. Dies hinderte aber nicht, daß die Mutter in Gegenwart des Gendarmen
und des Lehrers längere Zeit mit ihrem Sohne sich in französischer Sprache
unterhielt, was die beiden zum Schutz berufenen nicht verstanden.

Inzwischen war auch die Angelegenheit zur definitiven Entscheidung des
obervormnndlichen Gerichts reif geworden. Dieselbe erfolgte im Frühjahre 1854.
Das Gericht sprach aus, daß die Mutter ihre angelobten Vormundspflichten
durch die heimliche Erziehung des Prinzen im katholischen Glauben, sowie durch
die auch später fortgesetzten Einwirkungen auf denselben, durch die Aufreizung zum
Ungehorsam gegen seinen Hauptvormund, durch den Rat, sich aus den: Schlosse
zu schleichen u. s. w. schwer verletzt habe. Jedenfalls habe sie sich unfähig er¬
wiesen, die religiöse Erziehung ihres Sohnes nach Maßgabe der Ehepakten
fernerhin zu leiten. Es müßte ihr deshalb das Recht zur Erziehung ihres
Sohnes entzogen werden. Auch gegen diese Entscheidung erhob die Prinzessin
Beschwerde beim höchsten Gerichtshofe, ward aber wiederum abgewiesen.

Nun verblieb Prinz Karl vorläufig in Birstein. Später wurde er der
Leitung des Direktors am Predigerseminar, Professor Dr. Schmieder, zu Witten-
berg untergeben, wo er im Sommer 18S5 konfirmirt wurde. Im Jahre 1858
besuchte er, um juristische und kameralistische Vorlesungen zu hören, die Uni¬
versität Göttingen. Der Fürst hatte ihm dort als Erzieher, den Leutnant
v. d. L. beigegeben. Nach dessen Versicherungen, sowie nach seinen eignen Wahr¬
nehmungen glaubte der Fürst sicher zu sein, daß der Prinz fortan dem Glaubens¬
bekenntnisse seines Vaters treu bleiben werde. Auch mit den mütterlichen Ver¬
wandten hatte der Fürst inzwischen sich ausgesöhnt.

Aber die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Im Jahre 1860 wurde
Prinz Karl volljährig. Bereits im folgenden Jahre zeigte er dem Fürsten an,
daß er nunmehr zur katholischen Kirche übergetreten sei. Vorträge des Jesuiten¬
paters Roth, welche dieser im Schloße Heubach gehalten, hätten ihn dazu bestimmt.

Im Jahre 186K verstarb Fürst Wolfgang Ernst. Prinz Karl war sein
Nachfolger. Bereits ein Jahr vorher hatte sich derselbe mit einer Prinzessin
von Toskana vermählt. So ist der nunmehrige Fürst Karl von Jsenburg-
Birstein mit seinen reichen Mitteln zu einer Hauptstütze des Ultramontanismus
in Deutschland geworden.

Warum wir diese wenig bekannten geschichtlichen Vorgänge hier veröffent¬
lichen? Weil in einem deutscheu evangelische" Lande die Verhältnisse der fürst¬
lichen Familie in einer Weise sich gestaltet haben, daß sie zu ähnlichem führen
könnten. Möge man sich allerorten vor Schaden hüten!


Ärciizt'oder II. 1833. ü"
Ein Beispiel ultramontaner Propaganda.

Tante, Prinzessin Eulalia von Löwenstein-Wertheim. Endlich ein Besuch der
Mutter selbst, welche ebenfalls zu Fuß und unangemeldet in das Schloß kam,
sofort auf das Zimmer des Prinzen eilte und von dem anwesenden Lehrer for¬
derte, sie mit dem Prinzen allein zu lassen. Der Fürst wußte sich gegen diese
weibliche Übermacht nicht anders zu helfen, als daß er einen Gendarmen holen
ließ. Dies hinderte aber nicht, daß die Mutter in Gegenwart des Gendarmen
und des Lehrers längere Zeit mit ihrem Sohne sich in französischer Sprache
unterhielt, was die beiden zum Schutz berufenen nicht verstanden.

Inzwischen war auch die Angelegenheit zur definitiven Entscheidung des
obervormnndlichen Gerichts reif geworden. Dieselbe erfolgte im Frühjahre 1854.
Das Gericht sprach aus, daß die Mutter ihre angelobten Vormundspflichten
durch die heimliche Erziehung des Prinzen im katholischen Glauben, sowie durch
die auch später fortgesetzten Einwirkungen auf denselben, durch die Aufreizung zum
Ungehorsam gegen seinen Hauptvormund, durch den Rat, sich aus den: Schlosse
zu schleichen u. s. w. schwer verletzt habe. Jedenfalls habe sie sich unfähig er¬
wiesen, die religiöse Erziehung ihres Sohnes nach Maßgabe der Ehepakten
fernerhin zu leiten. Es müßte ihr deshalb das Recht zur Erziehung ihres
Sohnes entzogen werden. Auch gegen diese Entscheidung erhob die Prinzessin
Beschwerde beim höchsten Gerichtshofe, ward aber wiederum abgewiesen.

Nun verblieb Prinz Karl vorläufig in Birstein. Später wurde er der
Leitung des Direktors am Predigerseminar, Professor Dr. Schmieder, zu Witten-
berg untergeben, wo er im Sommer 18S5 konfirmirt wurde. Im Jahre 1858
besuchte er, um juristische und kameralistische Vorlesungen zu hören, die Uni¬
versität Göttingen. Der Fürst hatte ihm dort als Erzieher, den Leutnant
v. d. L. beigegeben. Nach dessen Versicherungen, sowie nach seinen eignen Wahr¬
nehmungen glaubte der Fürst sicher zu sein, daß der Prinz fortan dem Glaubens¬
bekenntnisse seines Vaters treu bleiben werde. Auch mit den mütterlichen Ver¬
wandten hatte der Fürst inzwischen sich ausgesöhnt.

Aber die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Im Jahre 1860 wurde
Prinz Karl volljährig. Bereits im folgenden Jahre zeigte er dem Fürsten an,
daß er nunmehr zur katholischen Kirche übergetreten sei. Vorträge des Jesuiten¬
paters Roth, welche dieser im Schloße Heubach gehalten, hätten ihn dazu bestimmt.

Im Jahre 186K verstarb Fürst Wolfgang Ernst. Prinz Karl war sein
Nachfolger. Bereits ein Jahr vorher hatte sich derselbe mit einer Prinzessin
von Toskana vermählt. So ist der nunmehrige Fürst Karl von Jsenburg-
Birstein mit seinen reichen Mitteln zu einer Hauptstütze des Ultramontanismus
in Deutschland geworden.

Warum wir diese wenig bekannten geschichtlichen Vorgänge hier veröffent¬
lichen? Weil in einem deutscheu evangelische» Lande die Verhältnisse der fürst¬
lichen Familie in einer Weise sich gestaltet haben, daß sie zu ähnlichem führen
könnten. Möge man sich allerorten vor Schaden hüten!


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[0289] Ein Beispiel ultramontaner Propaganda. Tante, Prinzessin Eulalia von Löwenstein-Wertheim. Endlich ein Besuch der Mutter selbst, welche ebenfalls zu Fuß und unangemeldet in das Schloß kam, sofort auf das Zimmer des Prinzen eilte und von dem anwesenden Lehrer for¬ derte, sie mit dem Prinzen allein zu lassen. Der Fürst wußte sich gegen diese weibliche Übermacht nicht anders zu helfen, als daß er einen Gendarmen holen ließ. Dies hinderte aber nicht, daß die Mutter in Gegenwart des Gendarmen und des Lehrers längere Zeit mit ihrem Sohne sich in französischer Sprache unterhielt, was die beiden zum Schutz berufenen nicht verstanden. Inzwischen war auch die Angelegenheit zur definitiven Entscheidung des obervormnndlichen Gerichts reif geworden. Dieselbe erfolgte im Frühjahre 1854. Das Gericht sprach aus, daß die Mutter ihre angelobten Vormundspflichten durch die heimliche Erziehung des Prinzen im katholischen Glauben, sowie durch die auch später fortgesetzten Einwirkungen auf denselben, durch die Aufreizung zum Ungehorsam gegen seinen Hauptvormund, durch den Rat, sich aus den: Schlosse zu schleichen u. s. w. schwer verletzt habe. Jedenfalls habe sie sich unfähig er¬ wiesen, die religiöse Erziehung ihres Sohnes nach Maßgabe der Ehepakten fernerhin zu leiten. Es müßte ihr deshalb das Recht zur Erziehung ihres Sohnes entzogen werden. Auch gegen diese Entscheidung erhob die Prinzessin Beschwerde beim höchsten Gerichtshofe, ward aber wiederum abgewiesen. Nun verblieb Prinz Karl vorläufig in Birstein. Später wurde er der Leitung des Direktors am Predigerseminar, Professor Dr. Schmieder, zu Witten- berg untergeben, wo er im Sommer 18S5 konfirmirt wurde. Im Jahre 1858 besuchte er, um juristische und kameralistische Vorlesungen zu hören, die Uni¬ versität Göttingen. Der Fürst hatte ihm dort als Erzieher, den Leutnant v. d. L. beigegeben. Nach dessen Versicherungen, sowie nach seinen eignen Wahr¬ nehmungen glaubte der Fürst sicher zu sein, daß der Prinz fortan dem Glaubens¬ bekenntnisse seines Vaters treu bleiben werde. Auch mit den mütterlichen Ver¬ wandten hatte der Fürst inzwischen sich ausgesöhnt. Aber die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Im Jahre 1860 wurde Prinz Karl volljährig. Bereits im folgenden Jahre zeigte er dem Fürsten an, daß er nunmehr zur katholischen Kirche übergetreten sei. Vorträge des Jesuiten¬ paters Roth, welche dieser im Schloße Heubach gehalten, hätten ihn dazu bestimmt. Im Jahre 186K verstarb Fürst Wolfgang Ernst. Prinz Karl war sein Nachfolger. Bereits ein Jahr vorher hatte sich derselbe mit einer Prinzessin von Toskana vermählt. So ist der nunmehrige Fürst Karl von Jsenburg- Birstein mit seinen reichen Mitteln zu einer Hauptstütze des Ultramontanismus in Deutschland geworden. Warum wir diese wenig bekannten geschichtlichen Vorgänge hier veröffent¬ lichen? Weil in einem deutscheu evangelische» Lande die Verhältnisse der fürst¬ lichen Familie in einer Weise sich gestaltet haben, daß sie zu ähnlichem führen könnten. Möge man sich allerorten vor Schaden hüten! Ärciizt'oder II. 1833. ü«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/289>, abgerufen am 24.08.2024.