Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Beispiel nltramontaner Propaganda.

Stellung der Prinzessin wurde darauf zurückgeführt, daß sie seit dem Jahre 1848
überhaupt mehr Umgang mit Personen ihres Glaubens, namentlich ihren Ver¬
wandten, mit dem Bischof Ketteler in Mainz und mit dem Pfarrer Beda Weber
zu Frankfurt a. M, gehabt habe. Im Jahre 1852 habe die Prinzessin die
Vorträge der Jesuiteumissivnen in Frankfurt fast täglich besucht, auch habe
sie häufige Besuche des Jesuitenpaters Fürsten Zeit empfangen, welcher auch
mit dem Prinzen viel verkehrt habe. Endlich habe die Prinzessin ihren Sohn,
zur Prüfung seiner Gesinnung dem Bischof von Mainz zugeführt -- ein Schritte
den sie vor dessen Geistlichen und Lehrern streng geheim gehalten habe.

Die Prinzessin, welche erst in Folge angedrohter Geldstrafen eine Erklärung
abgab, mußte im wesentlichen diese Thatsachen zugestehen, wenn sie auch einzelne
entschuldigende Momente hervorhob. Sie machte namentlich geltend, daß sie
erst nach Rücksprache mit einem ausgezeichneten Rechtsgelehrten -- als welcher
später der fürstlich Lichtensteinschc Buudestagsgesaudte v. Linde benannt wurde --
sich entschlossen habe, ihren Sohn in den Dogmen der katholischen Kirche zu
unterrichten.

Während so die Sache in der Verhandlung begriffen war, ereigneten sich
einige interessante Zwischenfälle. Am Vorabend des Christfestes 1853 saß die
fürstliche Familie zu Birstein gemütlich beim Lottospiel zusammen. Da verließ
Prinz Karl unbemerkt das Zimmer. Als man nach ihm suchte, war er ver¬
schwunden. Ein zurückgelassener Brief warnte geheimnisvoll vor vergeblichen
Nachstellungen. Umsonst hielt man allerwärts Nnchsuchung. Alle Behörden
wurden in Bewegung gesetzt, um nach dem Vermißten zu fahnden. Erst nach
einigen Tagen ergab sich folgendes. Der Prinz war, leicht bekleidet, in dunkler
Nacht bei heftiger Kälte und hohem Schnee zu Fuß nach der vier Stunden von
Birstein entfernten Stadt Gelnhausen geeilt, hatte dort einen von seiner Mutter
entgegengeschickten Wagen bestiegen und war gegen acht Uhr morgens in Offen-
bach angelangt, um dort sofort zur Messe in die katholische Kirche geführt zu
werden. Die Festtage über verweilte er bei seiner Mutter. Dann wurde er
von dem requirirteu dessen-darmstüdtischen Gericht dem Fürsten nach Birstein
wieder zugeführt. Eine bei der Flucht des Prinzen zurückgebliebene Korrespon¬
denz hatte ergeben, in wie hohem Maße fortwährend Einwirkungen auf den
Prinzen geübt worden waren.

Weitere Zwischenfälle knüpften sich an die Thatsache, daß der Prinz nach
einiger Zeit erklärte, er wolle die protestantische Kirche wieder besuchen. Darauf
zunächst ein mahnender Brief seiner Mutter: Weil wir nur um Gottes willen
der Obrigkeit gehorchten, dürften wir ihr nicht Folge leisten, wo ihre Gebote
uns einem Gewissenszwange unterwürfen. Kurz darauf ein Besuch der beiden
Schwestern, welche in das Zimmer stürmten und den Prinzen mit Vorwürfen
überschütteten. Die Szene wurde so heftig, daß der vom Fürsten gegen die
Eindringlinge vorgeschobene Nachtriegel gesprengt wurde. Dann ein Besuch der


Lin Beispiel nltramontaner Propaganda.

Stellung der Prinzessin wurde darauf zurückgeführt, daß sie seit dem Jahre 1848
überhaupt mehr Umgang mit Personen ihres Glaubens, namentlich ihren Ver¬
wandten, mit dem Bischof Ketteler in Mainz und mit dem Pfarrer Beda Weber
zu Frankfurt a. M, gehabt habe. Im Jahre 1852 habe die Prinzessin die
Vorträge der Jesuiteumissivnen in Frankfurt fast täglich besucht, auch habe
sie häufige Besuche des Jesuitenpaters Fürsten Zeit empfangen, welcher auch
mit dem Prinzen viel verkehrt habe. Endlich habe die Prinzessin ihren Sohn,
zur Prüfung seiner Gesinnung dem Bischof von Mainz zugeführt — ein Schritte
den sie vor dessen Geistlichen und Lehrern streng geheim gehalten habe.

Die Prinzessin, welche erst in Folge angedrohter Geldstrafen eine Erklärung
abgab, mußte im wesentlichen diese Thatsachen zugestehen, wenn sie auch einzelne
entschuldigende Momente hervorhob. Sie machte namentlich geltend, daß sie
erst nach Rücksprache mit einem ausgezeichneten Rechtsgelehrten — als welcher
später der fürstlich Lichtensteinschc Buudestagsgesaudte v. Linde benannt wurde —
sich entschlossen habe, ihren Sohn in den Dogmen der katholischen Kirche zu
unterrichten.

Während so die Sache in der Verhandlung begriffen war, ereigneten sich
einige interessante Zwischenfälle. Am Vorabend des Christfestes 1853 saß die
fürstliche Familie zu Birstein gemütlich beim Lottospiel zusammen. Da verließ
Prinz Karl unbemerkt das Zimmer. Als man nach ihm suchte, war er ver¬
schwunden. Ein zurückgelassener Brief warnte geheimnisvoll vor vergeblichen
Nachstellungen. Umsonst hielt man allerwärts Nnchsuchung. Alle Behörden
wurden in Bewegung gesetzt, um nach dem Vermißten zu fahnden. Erst nach
einigen Tagen ergab sich folgendes. Der Prinz war, leicht bekleidet, in dunkler
Nacht bei heftiger Kälte und hohem Schnee zu Fuß nach der vier Stunden von
Birstein entfernten Stadt Gelnhausen geeilt, hatte dort einen von seiner Mutter
entgegengeschickten Wagen bestiegen und war gegen acht Uhr morgens in Offen-
bach angelangt, um dort sofort zur Messe in die katholische Kirche geführt zu
werden. Die Festtage über verweilte er bei seiner Mutter. Dann wurde er
von dem requirirteu dessen-darmstüdtischen Gericht dem Fürsten nach Birstein
wieder zugeführt. Eine bei der Flucht des Prinzen zurückgebliebene Korrespon¬
denz hatte ergeben, in wie hohem Maße fortwährend Einwirkungen auf den
Prinzen geübt worden waren.

Weitere Zwischenfälle knüpften sich an die Thatsache, daß der Prinz nach
einiger Zeit erklärte, er wolle die protestantische Kirche wieder besuchen. Darauf
zunächst ein mahnender Brief seiner Mutter: Weil wir nur um Gottes willen
der Obrigkeit gehorchten, dürften wir ihr nicht Folge leisten, wo ihre Gebote
uns einem Gewissenszwange unterwürfen. Kurz darauf ein Besuch der beiden
Schwestern, welche in das Zimmer stürmten und den Prinzen mit Vorwürfen
überschütteten. Die Szene wurde so heftig, daß der vom Fürsten gegen die
Eindringlinge vorgeschobene Nachtriegel gesprengt wurde. Dann ein Besuch der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153037"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Beispiel nltramontaner Propaganda.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1165" prev="#ID_1164"> Stellung der Prinzessin wurde darauf zurückgeführt, daß sie seit dem Jahre 1848<lb/>
überhaupt mehr Umgang mit Personen ihres Glaubens, namentlich ihren Ver¬<lb/>
wandten, mit dem Bischof Ketteler in Mainz und mit dem Pfarrer Beda Weber<lb/>
zu Frankfurt a. M, gehabt habe. Im Jahre 1852 habe die Prinzessin die<lb/>
Vorträge der Jesuiteumissivnen in Frankfurt fast täglich besucht, auch habe<lb/>
sie häufige Besuche des Jesuitenpaters Fürsten Zeit empfangen, welcher auch<lb/>
mit dem Prinzen viel verkehrt habe. Endlich habe die Prinzessin ihren Sohn,<lb/>
zur Prüfung seiner Gesinnung dem Bischof von Mainz zugeführt &#x2014; ein Schritte<lb/>
den sie vor dessen Geistlichen und Lehrern streng geheim gehalten habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166"> Die Prinzessin, welche erst in Folge angedrohter Geldstrafen eine Erklärung<lb/>
abgab, mußte im wesentlichen diese Thatsachen zugestehen, wenn sie auch einzelne<lb/>
entschuldigende Momente hervorhob. Sie machte namentlich geltend, daß sie<lb/>
erst nach Rücksprache mit einem ausgezeichneten Rechtsgelehrten &#x2014; als welcher<lb/>
später der fürstlich Lichtensteinschc Buudestagsgesaudte v. Linde benannt wurde &#x2014;<lb/>
sich entschlossen habe, ihren Sohn in den Dogmen der katholischen Kirche zu<lb/>
unterrichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1167"> Während so die Sache in der Verhandlung begriffen war, ereigneten sich<lb/>
einige interessante Zwischenfälle. Am Vorabend des Christfestes 1853 saß die<lb/>
fürstliche Familie zu Birstein gemütlich beim Lottospiel zusammen. Da verließ<lb/>
Prinz Karl unbemerkt das Zimmer. Als man nach ihm suchte, war er ver¬<lb/>
schwunden. Ein zurückgelassener Brief warnte geheimnisvoll vor vergeblichen<lb/>
Nachstellungen. Umsonst hielt man allerwärts Nnchsuchung. Alle Behörden<lb/>
wurden in Bewegung gesetzt, um nach dem Vermißten zu fahnden. Erst nach<lb/>
einigen Tagen ergab sich folgendes. Der Prinz war, leicht bekleidet, in dunkler<lb/>
Nacht bei heftiger Kälte und hohem Schnee zu Fuß nach der vier Stunden von<lb/>
Birstein entfernten Stadt Gelnhausen geeilt, hatte dort einen von seiner Mutter<lb/>
entgegengeschickten Wagen bestiegen und war gegen acht Uhr morgens in Offen-<lb/>
bach angelangt, um dort sofort zur Messe in die katholische Kirche geführt zu<lb/>
werden. Die Festtage über verweilte er bei seiner Mutter. Dann wurde er<lb/>
von dem requirirteu dessen-darmstüdtischen Gericht dem Fürsten nach Birstein<lb/>
wieder zugeführt. Eine bei der Flucht des Prinzen zurückgebliebene Korrespon¬<lb/>
denz hatte ergeben, in wie hohem Maße fortwährend Einwirkungen auf den<lb/>
Prinzen geübt worden waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1168" next="#ID_1169"> Weitere Zwischenfälle knüpften sich an die Thatsache, daß der Prinz nach<lb/>
einiger Zeit erklärte, er wolle die protestantische Kirche wieder besuchen. Darauf<lb/>
zunächst ein mahnender Brief seiner Mutter: Weil wir nur um Gottes willen<lb/>
der Obrigkeit gehorchten, dürften wir ihr nicht Folge leisten, wo ihre Gebote<lb/>
uns einem Gewissenszwange unterwürfen. Kurz darauf ein Besuch der beiden<lb/>
Schwestern, welche in das Zimmer stürmten und den Prinzen mit Vorwürfen<lb/>
überschütteten. Die Szene wurde so heftig, daß der vom Fürsten gegen die<lb/>
Eindringlinge vorgeschobene Nachtriegel gesprengt wurde. Dann ein Besuch der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0288] Lin Beispiel nltramontaner Propaganda. Stellung der Prinzessin wurde darauf zurückgeführt, daß sie seit dem Jahre 1848 überhaupt mehr Umgang mit Personen ihres Glaubens, namentlich ihren Ver¬ wandten, mit dem Bischof Ketteler in Mainz und mit dem Pfarrer Beda Weber zu Frankfurt a. M, gehabt habe. Im Jahre 1852 habe die Prinzessin die Vorträge der Jesuiteumissivnen in Frankfurt fast täglich besucht, auch habe sie häufige Besuche des Jesuitenpaters Fürsten Zeit empfangen, welcher auch mit dem Prinzen viel verkehrt habe. Endlich habe die Prinzessin ihren Sohn, zur Prüfung seiner Gesinnung dem Bischof von Mainz zugeführt — ein Schritte den sie vor dessen Geistlichen und Lehrern streng geheim gehalten habe. Die Prinzessin, welche erst in Folge angedrohter Geldstrafen eine Erklärung abgab, mußte im wesentlichen diese Thatsachen zugestehen, wenn sie auch einzelne entschuldigende Momente hervorhob. Sie machte namentlich geltend, daß sie erst nach Rücksprache mit einem ausgezeichneten Rechtsgelehrten — als welcher später der fürstlich Lichtensteinschc Buudestagsgesaudte v. Linde benannt wurde — sich entschlossen habe, ihren Sohn in den Dogmen der katholischen Kirche zu unterrichten. Während so die Sache in der Verhandlung begriffen war, ereigneten sich einige interessante Zwischenfälle. Am Vorabend des Christfestes 1853 saß die fürstliche Familie zu Birstein gemütlich beim Lottospiel zusammen. Da verließ Prinz Karl unbemerkt das Zimmer. Als man nach ihm suchte, war er ver¬ schwunden. Ein zurückgelassener Brief warnte geheimnisvoll vor vergeblichen Nachstellungen. Umsonst hielt man allerwärts Nnchsuchung. Alle Behörden wurden in Bewegung gesetzt, um nach dem Vermißten zu fahnden. Erst nach einigen Tagen ergab sich folgendes. Der Prinz war, leicht bekleidet, in dunkler Nacht bei heftiger Kälte und hohem Schnee zu Fuß nach der vier Stunden von Birstein entfernten Stadt Gelnhausen geeilt, hatte dort einen von seiner Mutter entgegengeschickten Wagen bestiegen und war gegen acht Uhr morgens in Offen- bach angelangt, um dort sofort zur Messe in die katholische Kirche geführt zu werden. Die Festtage über verweilte er bei seiner Mutter. Dann wurde er von dem requirirteu dessen-darmstüdtischen Gericht dem Fürsten nach Birstein wieder zugeführt. Eine bei der Flucht des Prinzen zurückgebliebene Korrespon¬ denz hatte ergeben, in wie hohem Maße fortwährend Einwirkungen auf den Prinzen geübt worden waren. Weitere Zwischenfälle knüpften sich an die Thatsache, daß der Prinz nach einiger Zeit erklärte, er wolle die protestantische Kirche wieder besuchen. Darauf zunächst ein mahnender Brief seiner Mutter: Weil wir nur um Gottes willen der Obrigkeit gehorchten, dürften wir ihr nicht Folge leisten, wo ihre Gebote uns einem Gewissenszwange unterwürfen. Kurz darauf ein Besuch der beiden Schwestern, welche in das Zimmer stürmten und den Prinzen mit Vorwürfen überschütteten. Die Szene wurde so heftig, daß der vom Fürsten gegen die Eindringlinge vorgeschobene Nachtriegel gesprengt wurde. Dann ein Besuch der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/288
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/288>, abgerufen am 03.07.2024.