Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.Die Grafen von Altenschwcrdt, Gräfin Sibylle ward tief ergriffen von dem Ausbruch dieses Zornes, und Dorothea war inzwischen mit Dietrich draußen umher gewandert und hatte Er bemerkte nicht zur Befriedigung seines Selbstgefühls, daß Dorothea Die Grafen von Altenschwcrdt, Gräfin Sibylle ward tief ergriffen von dem Ausbruch dieses Zornes, und Dorothea war inzwischen mit Dietrich draußen umher gewandert und hatte Er bemerkte nicht zur Befriedigung seines Selbstgefühls, daß Dorothea <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153026"/> <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwcrdt,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1120"> Gräfin Sibylle ward tief ergriffen von dem Ausbruch dieses Zornes, und<lb/> sie schwieg, voll Achtung und beinahe in Furcht, diesen Sturm heraufbeschworen<lb/> zu haben. Sie sah still vor sich nieder, bis sie den Grafen wieder in ruhigerer<lb/> Weise reden hörte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121"> Dorothea war inzwischen mit Dietrich draußen umher gewandert und hatte<lb/> sich als kundige Führerin gezeigt. Sie wußte so viele Namen der umliegenden<lb/> Höhen, Wege und Waldstücke zu nennen, konnte auch so genau Bescheid geben<lb/> über die nicht sichtbaren Ortschaften, welche in dieser und jener Richtung lagen,<lb/> erzählte so gelehrt von vergangenen Zeiten, in denen noch Krieg mit den Schweden<lb/> und Kampf mit nordischen Seeräubern getobt hatten, daß Dietrich nicht dazu<lb/> kommen konnte, andre Themata zu berühren, die ihm erwünschter gewesen wären.<lb/> Da es nun einmal seine Aufgabe war, das Herz Dvrotheeus zu gewinne» und<lb/> da er sich nun einmal entschlossen hatte, sie zu heiraten, wäre es ihm lieb ge¬<lb/> wesen, wenn er in weltmännischer Weise und ohne sich gerade als schmachtenden<lb/> Schäfer zu zeige» dem Ziele hätte näher kommen können. Er hätte gern in<lb/> halb scherzender und halb ernsthafter Weise solche Gegenstände in das Gespräch<lb/> gebracht, die im Laufe der Zeit, »och innerhalb der vier Wochen, welche der<lb/> Besuch in Eichhausen dauern sollte, zu einer passend formulirten Erklärung<lb/> hätten führen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1122"> Er bemerkte nicht zur Befriedigung seines Selbstgefühls, daß Dorothea<lb/> viel mehr Sinn für Geographie und Geschichte zu haben scheine als für die<lb/> Ideen der großen Dichter, welche er zu Mittelspersonen zwischen sich und der<lb/> kalten Schönheit machen wollte. Dorothea beharrte bei der auffälligen Gering¬<lb/> schätzung der Literatur, welcher sie schon auf der Herfahrt so verletzenden Aus¬<lb/> druck gegeben hatte, sodaß Dietrich sich nicht enthalten konnte, sie in eine für<lb/> sie sehr ungünstig ausfallende Parallele mit Anna Glock zu stellen. Er malte<lb/> sich aus, was wohl geschehen würde, wenn Dorothea seine eignen lyrischen<lb/> Produkte in die Hand bekäme und von ihm gefragt würde, wie ihr dieselben<lb/> gefielen, und er empfand eine Regung des Mißbehagens, als er sich sagte, sie<lb/> würde ganz gewiß jenem heuchlerischen Tadel, den Anna so entrüstet zurückwies,<lb/> aus voller Seele zustimmen. Er fand sich selbst in der Unterhaltung mit<lb/> Dorothea steif und langweilig. Während am ersten Tage alles so gut gegangen<lb/> war und er sich vortrefflich mit ihr amüsirt hatte, schien die Schwierigkeit der<lb/> Intimität mit jedem neuen Tage größer anstatt geringer zu werde». Durchaus<lb/> richtige und schöne Gedanken froren ihm gleichsam im Halse fest, ehe sie auf<lb/> die Zunge kamen. Diesem kühlen Wesen gegenüber verschloß sich seine Natur<lb/> ebenso, wie sie sich Anna gegenüber warm eröffnet hatte. Er ging zuletzt ver¬<lb/> drießlich am Strande neben ihr her und sagte meistens nur noch ja oder nein,<lb/> wenn sie ihm erklärte, was für Muschel» es hier gebe, und ihn fragte, ob<lb/> die Muscheln an der Küste des Atlantischen Meeres mit diesen Ähnlichkeit<lb/> hätte».</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
Die Grafen von Altenschwcrdt,
Gräfin Sibylle ward tief ergriffen von dem Ausbruch dieses Zornes, und
sie schwieg, voll Achtung und beinahe in Furcht, diesen Sturm heraufbeschworen
zu haben. Sie sah still vor sich nieder, bis sie den Grafen wieder in ruhigerer
Weise reden hörte.
Dorothea war inzwischen mit Dietrich draußen umher gewandert und hatte
sich als kundige Führerin gezeigt. Sie wußte so viele Namen der umliegenden
Höhen, Wege und Waldstücke zu nennen, konnte auch so genau Bescheid geben
über die nicht sichtbaren Ortschaften, welche in dieser und jener Richtung lagen,
erzählte so gelehrt von vergangenen Zeiten, in denen noch Krieg mit den Schweden
und Kampf mit nordischen Seeräubern getobt hatten, daß Dietrich nicht dazu
kommen konnte, andre Themata zu berühren, die ihm erwünschter gewesen wären.
Da es nun einmal seine Aufgabe war, das Herz Dvrotheeus zu gewinne» und
da er sich nun einmal entschlossen hatte, sie zu heiraten, wäre es ihm lieb ge¬
wesen, wenn er in weltmännischer Weise und ohne sich gerade als schmachtenden
Schäfer zu zeige» dem Ziele hätte näher kommen können. Er hätte gern in
halb scherzender und halb ernsthafter Weise solche Gegenstände in das Gespräch
gebracht, die im Laufe der Zeit, »och innerhalb der vier Wochen, welche der
Besuch in Eichhausen dauern sollte, zu einer passend formulirten Erklärung
hätten führen können.
Er bemerkte nicht zur Befriedigung seines Selbstgefühls, daß Dorothea
viel mehr Sinn für Geographie und Geschichte zu haben scheine als für die
Ideen der großen Dichter, welche er zu Mittelspersonen zwischen sich und der
kalten Schönheit machen wollte. Dorothea beharrte bei der auffälligen Gering¬
schätzung der Literatur, welcher sie schon auf der Herfahrt so verletzenden Aus¬
druck gegeben hatte, sodaß Dietrich sich nicht enthalten konnte, sie in eine für
sie sehr ungünstig ausfallende Parallele mit Anna Glock zu stellen. Er malte
sich aus, was wohl geschehen würde, wenn Dorothea seine eignen lyrischen
Produkte in die Hand bekäme und von ihm gefragt würde, wie ihr dieselben
gefielen, und er empfand eine Regung des Mißbehagens, als er sich sagte, sie
würde ganz gewiß jenem heuchlerischen Tadel, den Anna so entrüstet zurückwies,
aus voller Seele zustimmen. Er fand sich selbst in der Unterhaltung mit
Dorothea steif und langweilig. Während am ersten Tage alles so gut gegangen
war und er sich vortrefflich mit ihr amüsirt hatte, schien die Schwierigkeit der
Intimität mit jedem neuen Tage größer anstatt geringer zu werde». Durchaus
richtige und schöne Gedanken froren ihm gleichsam im Halse fest, ehe sie auf
die Zunge kamen. Diesem kühlen Wesen gegenüber verschloß sich seine Natur
ebenso, wie sie sich Anna gegenüber warm eröffnet hatte. Er ging zuletzt ver¬
drießlich am Strande neben ihr her und sagte meistens nur noch ja oder nein,
wenn sie ihm erklärte, was für Muschel» es hier gebe, und ihn fragte, ob
die Muscheln an der Küste des Atlantischen Meeres mit diesen Ähnlichkeit
hätte».
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