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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

die oberflächlichen Erscheinungen gelegt, welche sich dem Besucher in den lite¬
rarischen Zirkeln zeigen.

Aber mein gnädigstes Fräulein, entgegnete Dietrich, Sie werden doch nicht
leugnen wollen, daß die Literatur das Produkt und gewissermaßen die feinste
Blüte des Nationalcharakters ist, lind daß jene geheimen Triebfedern, von denen
Sie ganz richtig sprechen, in den Büchern, Bühnenstücken, Zeitungen und so
weiter sichtbar werden. Wenn auch die Pariser Salons nicht mehr das sind,
was sie zur Zeit einer Madame Roland oder Frau von Sevigne waren, so
zeigen sie doch noch immer in ihrer Vereinigung von Schönheit und Geist die
Crßme des Volkes.

Nun, ich denke das nicht, sagte Dorothea. Ich glaube, wenn die Pariser
Damen, welche Sie im Sinne haben, sich, wie es sich gehörte, um ihren Haus¬
halt und ihre Kinder bekümmerten, anstatt die Literatur und Politik regieren
zu wollen, so würden die berühmten Autoren und glänzenden Akademiker sehr
zusammenschrumpfen, das französische Volk aber immer noch bleiben, was es
war. Das wird in Frankreich nicht anders sein als bei uns.

Graf Dietrich ärgerte sich, und das war ihm anzusehen. Er war mehr
durch den Ton verletzt, mit dem Dorothea sprach, als durch ihre Entgegnung
selbst. Hierüber würde er wohl gelacht haben, weil sie etwas enthielt, was ihm
wahr und treffend erschien. Aber der Ton der Zurückweisung klang seinem Ohr
sehr unangenehm, und er fühlte sich deshalb auch in seiner verborgen gehaltenen
Eigenschaft als Dichter gekränkt. Wäre nicht seine Mutter gegeuwürtig gewesen,
so hätte er jetzt mit Dorothea ernstlich gestritten. Aber die Gräfin kam mit
ausgleichenden Bemerkungen dazwischen und verhinderte einen Zwist.

Dietrich überließ eine Zeit lang seiner Mutter die Sorge für die Unter¬
haltung, blickte zur Seite in den Wald und dachte an Anna zurück. Die süße
Sympathie dieses sanften jungen Mädchens fehlte ihm sehr, und er sehnte sich
doppelt darnach, weil er nicht nur von ihr getrennt war, sondern auch noch
einer andern den Hof machen mußte. Erst jetzt merkte er recht, wie lieb ihm
Anna war. und das Herz blutete ihm, wenn er an den Abschied dachte, den
er von ihr genommen hatte, und bei dem sie vor Schmerz ohnmächtig geworden
war. Das blasse Gesicht mit den traurigen Augen stand immer vor ihm, und
wenn er sich recht prüfte, mußte er sich gestehen, daß nur die Gleichgültigkeit
gegen die Welt, welche ihn nach diesem Abschiede erfüllte, es ihm möglich machte,
mit solcher Gelassenheit Dorotheens Kavalier zu sein. Er seufzte heimlich über
den Zwang, welchen seine vornehme Geburt und die Rücksicht auf seine Karriere
ihm auferlege, indem er nicht dem Zuge seines Herzens folgen könne, sondern
eine standesgemäße Partie machen müsse, und im geheimen dichtete er weh¬
mütige, sehnsüchtige Lieder, welche er an Anna sandte, um sicher zu sein, daß
sie fortfahre, sich um ihn zu grämen. Daß er außerdem noch seine Korrespondenz
mit Odette fortsetzte, geschah nur aus Höflichkeit und Galanterie, sowie aus der


Grenzbote" II. 1833. L4
Die Grafen von Altenschwerdt.

die oberflächlichen Erscheinungen gelegt, welche sich dem Besucher in den lite¬
rarischen Zirkeln zeigen.

Aber mein gnädigstes Fräulein, entgegnete Dietrich, Sie werden doch nicht
leugnen wollen, daß die Literatur das Produkt und gewissermaßen die feinste
Blüte des Nationalcharakters ist, lind daß jene geheimen Triebfedern, von denen
Sie ganz richtig sprechen, in den Büchern, Bühnenstücken, Zeitungen und so
weiter sichtbar werden. Wenn auch die Pariser Salons nicht mehr das sind,
was sie zur Zeit einer Madame Roland oder Frau von Sevigne waren, so
zeigen sie doch noch immer in ihrer Vereinigung von Schönheit und Geist die
Crßme des Volkes.

Nun, ich denke das nicht, sagte Dorothea. Ich glaube, wenn die Pariser
Damen, welche Sie im Sinne haben, sich, wie es sich gehörte, um ihren Haus¬
halt und ihre Kinder bekümmerten, anstatt die Literatur und Politik regieren
zu wollen, so würden die berühmten Autoren und glänzenden Akademiker sehr
zusammenschrumpfen, das französische Volk aber immer noch bleiben, was es
war. Das wird in Frankreich nicht anders sein als bei uns.

Graf Dietrich ärgerte sich, und das war ihm anzusehen. Er war mehr
durch den Ton verletzt, mit dem Dorothea sprach, als durch ihre Entgegnung
selbst. Hierüber würde er wohl gelacht haben, weil sie etwas enthielt, was ihm
wahr und treffend erschien. Aber der Ton der Zurückweisung klang seinem Ohr
sehr unangenehm, und er fühlte sich deshalb auch in seiner verborgen gehaltenen
Eigenschaft als Dichter gekränkt. Wäre nicht seine Mutter gegeuwürtig gewesen,
so hätte er jetzt mit Dorothea ernstlich gestritten. Aber die Gräfin kam mit
ausgleichenden Bemerkungen dazwischen und verhinderte einen Zwist.

Dietrich überließ eine Zeit lang seiner Mutter die Sorge für die Unter¬
haltung, blickte zur Seite in den Wald und dachte an Anna zurück. Die süße
Sympathie dieses sanften jungen Mädchens fehlte ihm sehr, und er sehnte sich
doppelt darnach, weil er nicht nur von ihr getrennt war, sondern auch noch
einer andern den Hof machen mußte. Erst jetzt merkte er recht, wie lieb ihm
Anna war. und das Herz blutete ihm, wenn er an den Abschied dachte, den
er von ihr genommen hatte, und bei dem sie vor Schmerz ohnmächtig geworden
war. Das blasse Gesicht mit den traurigen Augen stand immer vor ihm, und
wenn er sich recht prüfte, mußte er sich gestehen, daß nur die Gleichgültigkeit
gegen die Welt, welche ihn nach diesem Abschiede erfüllte, es ihm möglich machte,
mit solcher Gelassenheit Dorotheens Kavalier zu sein. Er seufzte heimlich über
den Zwang, welchen seine vornehme Geburt und die Rücksicht auf seine Karriere
ihm auferlege, indem er nicht dem Zuge seines Herzens folgen könne, sondern
eine standesgemäße Partie machen müsse, und im geheimen dichtete er weh¬
mütige, sehnsüchtige Lieder, welche er an Anna sandte, um sicher zu sein, daß
sie fortfahre, sich um ihn zu grämen. Daß er außerdem noch seine Korrespondenz
mit Odette fortsetzte, geschah nur aus Höflichkeit und Galanterie, sowie aus der


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[0273] Die Grafen von Altenschwerdt. die oberflächlichen Erscheinungen gelegt, welche sich dem Besucher in den lite¬ rarischen Zirkeln zeigen. Aber mein gnädigstes Fräulein, entgegnete Dietrich, Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß die Literatur das Produkt und gewissermaßen die feinste Blüte des Nationalcharakters ist, lind daß jene geheimen Triebfedern, von denen Sie ganz richtig sprechen, in den Büchern, Bühnenstücken, Zeitungen und so weiter sichtbar werden. Wenn auch die Pariser Salons nicht mehr das sind, was sie zur Zeit einer Madame Roland oder Frau von Sevigne waren, so zeigen sie doch noch immer in ihrer Vereinigung von Schönheit und Geist die Crßme des Volkes. Nun, ich denke das nicht, sagte Dorothea. Ich glaube, wenn die Pariser Damen, welche Sie im Sinne haben, sich, wie es sich gehörte, um ihren Haus¬ halt und ihre Kinder bekümmerten, anstatt die Literatur und Politik regieren zu wollen, so würden die berühmten Autoren und glänzenden Akademiker sehr zusammenschrumpfen, das französische Volk aber immer noch bleiben, was es war. Das wird in Frankreich nicht anders sein als bei uns. Graf Dietrich ärgerte sich, und das war ihm anzusehen. Er war mehr durch den Ton verletzt, mit dem Dorothea sprach, als durch ihre Entgegnung selbst. Hierüber würde er wohl gelacht haben, weil sie etwas enthielt, was ihm wahr und treffend erschien. Aber der Ton der Zurückweisung klang seinem Ohr sehr unangenehm, und er fühlte sich deshalb auch in seiner verborgen gehaltenen Eigenschaft als Dichter gekränkt. Wäre nicht seine Mutter gegeuwürtig gewesen, so hätte er jetzt mit Dorothea ernstlich gestritten. Aber die Gräfin kam mit ausgleichenden Bemerkungen dazwischen und verhinderte einen Zwist. Dietrich überließ eine Zeit lang seiner Mutter die Sorge für die Unter¬ haltung, blickte zur Seite in den Wald und dachte an Anna zurück. Die süße Sympathie dieses sanften jungen Mädchens fehlte ihm sehr, und er sehnte sich doppelt darnach, weil er nicht nur von ihr getrennt war, sondern auch noch einer andern den Hof machen mußte. Erst jetzt merkte er recht, wie lieb ihm Anna war. und das Herz blutete ihm, wenn er an den Abschied dachte, den er von ihr genommen hatte, und bei dem sie vor Schmerz ohnmächtig geworden war. Das blasse Gesicht mit den traurigen Augen stand immer vor ihm, und wenn er sich recht prüfte, mußte er sich gestehen, daß nur die Gleichgültigkeit gegen die Welt, welche ihn nach diesem Abschiede erfüllte, es ihm möglich machte, mit solcher Gelassenheit Dorotheens Kavalier zu sein. Er seufzte heimlich über den Zwang, welchen seine vornehme Geburt und die Rücksicht auf seine Karriere ihm auferlege, indem er nicht dem Zuge seines Herzens folgen könne, sondern eine standesgemäße Partie machen müsse, und im geheimen dichtete er weh¬ mütige, sehnsüchtige Lieder, welche er an Anna sandte, um sicher zu sein, daß sie fortfahre, sich um ihn zu grämen. Daß er außerdem noch seine Korrespondenz mit Odette fortsetzte, geschah nur aus Höflichkeit und Galanterie, sowie aus der Grenzbote» II. 1833. L4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/273>, abgerufen am 25.08.2024.