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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschmerdt.

Eichhausen und ihre Befürchtungen hinsichtlich Erfüllung derselben gingen ihr
so lebhaft im Kopfe herum und versetzten sie in eine solche Spannung, daß ihre
Neigung zu gewagten Dingen die Oberhand über ihr natürliches Mißtrauen gewann.
Die fünfzehn Prozent Dividende, welche ihr Herr Schmidt in Aussicht stellte,
falls sie ihm ein Kapital anvertrauen wollte, lockten sie in dieser Gemütsver¬
fassung zu sehr, als daß sie hätte widerstehen können, und sie sagte ihm zu, ein
Kapital von zwanzigtausend Thalern ihm übergeben zu wollen, wenn er ihr
die nötige Sicherheit dafür biete. Es war dies das ganze Vermögen, welches
sie besaß, worüber sie Herrn Schmidt jedoch keine Aufklärung gab. Er ver¬
sprach ihr hypothekarische Sicherstellung der Summe, und es ward verabredet,
daß er das Geld in den Wertpapieren, worin es jetzt bestand, zum Tageskurse
übernehmen sollte.

Herr Schmidt war äußerst befriedigt von diesem Ergebnis der Besprechung.
Er hätte gern auch noch hinsichtlich seines Projekts der Bierbrauerei etwas
erreicht und tastete vorsichtig nach der Gräfin Ansicht über die Geneigtheit des
Barons Sextus zu solchen Unternehmungen. Aber er merkte frühzeitig, daß er
sich da auf unsichern Boden begeben habe, und brach rasch davon ab. Gräfin
Sibylle schüttelte sofort mit dem Kopfe, als er nur leise auf eine etwaige Ge¬
neigtheit des Barons zu spekulativen Unternehmungen anspielte, und sagte in
ziemlich trockenem Tone, daß sie davon nichts wisse und daß sie sich darum
auch nicht kümmere. Herr Schmidt sah ein, daß er alles erreicht habe, was
er billig zu erreichen hoffen durfte, und zog sich zurück, mit dem Gefühl der
Befriedigung nicht nur darüber, daß er selbst ein neues Kapital bekommen werde,
sondern auch darüber, daß er in seiner Gutmütigkeit und Geschäftsgewandtheit
der Gräfin einen Dienst erweise. Er beschloß, die Angelegenheit der Brauerei
auf eine andre Weise in Gang zu bringen, nämlich mit Hilfe des Pfarrers
Sengstack und der Baronesse Dorothea, von deren Kolonisationsidee er ge¬
hört hatte, und ging wieder zu seinem Oheim hinüber, wo er ein solides Mittag¬
essen aufgetischt sand und wo er sich in eine nochmalige Unterredung mit dem
jungen Menschen vertiefte, welcher so große Neigung für die Literatur gezeigt hatte.

Gräfin Sibylle hatte sich inzwischen mit Dorothea und ihrem Sohne in
den Wagen gesetzt, um noch vor dem Diner, welches um sechs Uhr stattfand,
einen Besuch beim Grasen von Franeker abzustatten.

Nicht wahr, mein süßer Liebling, sagte Gräfin Sibylle beim Einsteigen zu
Dorothea, diese Familie Schmidt, welcher Ihre gute Millicent ja auch ange¬
hört, ist doch eine sehr zuverlässige und solide?

Gewiß, entgegnete Dorothea, der ihr gütiges Herz nie erlaubte, von
jemand übel zu sprechen. Millicents Brüder sind sehr strebsame und tüchtige
Männer, und ein Bruder ihres Vaters ist ja unser Inspektor.

Dorothea erkundigte sich nicht nach dem Grunde der Frage. Sie bewahrte
der Gräfin gegenüber eine abwartende Haltung und gab, beinahe absichtslos und


Die Grafen von Altenschmerdt.

Eichhausen und ihre Befürchtungen hinsichtlich Erfüllung derselben gingen ihr
so lebhaft im Kopfe herum und versetzten sie in eine solche Spannung, daß ihre
Neigung zu gewagten Dingen die Oberhand über ihr natürliches Mißtrauen gewann.
Die fünfzehn Prozent Dividende, welche ihr Herr Schmidt in Aussicht stellte,
falls sie ihm ein Kapital anvertrauen wollte, lockten sie in dieser Gemütsver¬
fassung zu sehr, als daß sie hätte widerstehen können, und sie sagte ihm zu, ein
Kapital von zwanzigtausend Thalern ihm übergeben zu wollen, wenn er ihr
die nötige Sicherheit dafür biete. Es war dies das ganze Vermögen, welches
sie besaß, worüber sie Herrn Schmidt jedoch keine Aufklärung gab. Er ver¬
sprach ihr hypothekarische Sicherstellung der Summe, und es ward verabredet,
daß er das Geld in den Wertpapieren, worin es jetzt bestand, zum Tageskurse
übernehmen sollte.

Herr Schmidt war äußerst befriedigt von diesem Ergebnis der Besprechung.
Er hätte gern auch noch hinsichtlich seines Projekts der Bierbrauerei etwas
erreicht und tastete vorsichtig nach der Gräfin Ansicht über die Geneigtheit des
Barons Sextus zu solchen Unternehmungen. Aber er merkte frühzeitig, daß er
sich da auf unsichern Boden begeben habe, und brach rasch davon ab. Gräfin
Sibylle schüttelte sofort mit dem Kopfe, als er nur leise auf eine etwaige Ge¬
neigtheit des Barons zu spekulativen Unternehmungen anspielte, und sagte in
ziemlich trockenem Tone, daß sie davon nichts wisse und daß sie sich darum
auch nicht kümmere. Herr Schmidt sah ein, daß er alles erreicht habe, was
er billig zu erreichen hoffen durfte, und zog sich zurück, mit dem Gefühl der
Befriedigung nicht nur darüber, daß er selbst ein neues Kapital bekommen werde,
sondern auch darüber, daß er in seiner Gutmütigkeit und Geschäftsgewandtheit
der Gräfin einen Dienst erweise. Er beschloß, die Angelegenheit der Brauerei
auf eine andre Weise in Gang zu bringen, nämlich mit Hilfe des Pfarrers
Sengstack und der Baronesse Dorothea, von deren Kolonisationsidee er ge¬
hört hatte, und ging wieder zu seinem Oheim hinüber, wo er ein solides Mittag¬
essen aufgetischt sand und wo er sich in eine nochmalige Unterredung mit dem
jungen Menschen vertiefte, welcher so große Neigung für die Literatur gezeigt hatte.

Gräfin Sibylle hatte sich inzwischen mit Dorothea und ihrem Sohne in
den Wagen gesetzt, um noch vor dem Diner, welches um sechs Uhr stattfand,
einen Besuch beim Grasen von Franeker abzustatten.

Nicht wahr, mein süßer Liebling, sagte Gräfin Sibylle beim Einsteigen zu
Dorothea, diese Familie Schmidt, welcher Ihre gute Millicent ja auch ange¬
hört, ist doch eine sehr zuverlässige und solide?

Gewiß, entgegnete Dorothea, der ihr gütiges Herz nie erlaubte, von
jemand übel zu sprechen. Millicents Brüder sind sehr strebsame und tüchtige
Männer, und ein Bruder ihres Vaters ist ja unser Inspektor.

Dorothea erkundigte sich nicht nach dem Grunde der Frage. Sie bewahrte
der Gräfin gegenüber eine abwartende Haltung und gab, beinahe absichtslos und


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[0270] Die Grafen von Altenschmerdt. Eichhausen und ihre Befürchtungen hinsichtlich Erfüllung derselben gingen ihr so lebhaft im Kopfe herum und versetzten sie in eine solche Spannung, daß ihre Neigung zu gewagten Dingen die Oberhand über ihr natürliches Mißtrauen gewann. Die fünfzehn Prozent Dividende, welche ihr Herr Schmidt in Aussicht stellte, falls sie ihm ein Kapital anvertrauen wollte, lockten sie in dieser Gemütsver¬ fassung zu sehr, als daß sie hätte widerstehen können, und sie sagte ihm zu, ein Kapital von zwanzigtausend Thalern ihm übergeben zu wollen, wenn er ihr die nötige Sicherheit dafür biete. Es war dies das ganze Vermögen, welches sie besaß, worüber sie Herrn Schmidt jedoch keine Aufklärung gab. Er ver¬ sprach ihr hypothekarische Sicherstellung der Summe, und es ward verabredet, daß er das Geld in den Wertpapieren, worin es jetzt bestand, zum Tageskurse übernehmen sollte. Herr Schmidt war äußerst befriedigt von diesem Ergebnis der Besprechung. Er hätte gern auch noch hinsichtlich seines Projekts der Bierbrauerei etwas erreicht und tastete vorsichtig nach der Gräfin Ansicht über die Geneigtheit des Barons Sextus zu solchen Unternehmungen. Aber er merkte frühzeitig, daß er sich da auf unsichern Boden begeben habe, und brach rasch davon ab. Gräfin Sibylle schüttelte sofort mit dem Kopfe, als er nur leise auf eine etwaige Ge¬ neigtheit des Barons zu spekulativen Unternehmungen anspielte, und sagte in ziemlich trockenem Tone, daß sie davon nichts wisse und daß sie sich darum auch nicht kümmere. Herr Schmidt sah ein, daß er alles erreicht habe, was er billig zu erreichen hoffen durfte, und zog sich zurück, mit dem Gefühl der Befriedigung nicht nur darüber, daß er selbst ein neues Kapital bekommen werde, sondern auch darüber, daß er in seiner Gutmütigkeit und Geschäftsgewandtheit der Gräfin einen Dienst erweise. Er beschloß, die Angelegenheit der Brauerei auf eine andre Weise in Gang zu bringen, nämlich mit Hilfe des Pfarrers Sengstack und der Baronesse Dorothea, von deren Kolonisationsidee er ge¬ hört hatte, und ging wieder zu seinem Oheim hinüber, wo er ein solides Mittag¬ essen aufgetischt sand und wo er sich in eine nochmalige Unterredung mit dem jungen Menschen vertiefte, welcher so große Neigung für die Literatur gezeigt hatte. Gräfin Sibylle hatte sich inzwischen mit Dorothea und ihrem Sohne in den Wagen gesetzt, um noch vor dem Diner, welches um sechs Uhr stattfand, einen Besuch beim Grasen von Franeker abzustatten. Nicht wahr, mein süßer Liebling, sagte Gräfin Sibylle beim Einsteigen zu Dorothea, diese Familie Schmidt, welcher Ihre gute Millicent ja auch ange¬ hört, ist doch eine sehr zuverlässige und solide? Gewiß, entgegnete Dorothea, der ihr gütiges Herz nie erlaubte, von jemand übel zu sprechen. Millicents Brüder sind sehr strebsame und tüchtige Männer, und ein Bruder ihres Vaters ist ja unser Inspektor. Dorothea erkundigte sich nicht nach dem Grunde der Frage. Sie bewahrte der Gräfin gegenüber eine abwartende Haltung und gab, beinahe absichtslos und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/270>, abgerufen am 25.08.2024.