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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

niemals gefallen hatte. Denn aus Millicents Bericht ging hervor, daß die
Gräfin sie zu allerhand Dienstleistungen heranzog. Er behielt heute jedoch seiue
Bemerkungen für sich, so schwer ihm das wurde, weil ihm daran lag, genaue
Auskunft zu erhalten, und er deshalb die Schwester nicht ärgern wollte.

Die Gräfin war, wie Millicent berichtete, ganz ohne Bedienung gekommen,
beanspruchte aber eine beständige Aufwartung. Das junge Mädchen, welches ihr
als Kammerjungfer überwiesen worden war, hatte soviel damit zu thun, der Gräfin
weiße Unterröcke zu bügeln, daß sie kaum für etwas andres Zeit übrig behielt,
und doch hatte die Gräfin immerfort Aufträge und übertrug diese andern Leuten,
die garnicht zu ihrem Dienst da waren. Bald wollte sie kaltes Wasser und bald
heißes haben, bald mußte Thee, bald Chokolade und bald Kaffee bereitet werden, wo¬
bei die Gräfin äußerst peinlich war. Immerfort gab es etwas an ihren Anzügen zu
ändern, loszutrennen, festzustecken, anders zusammenzusetzen. Ihre Toilette vormit¬
tags dauerte drei Stunden lang, die erste Stunde litt sie dabei niemand im Zimmer,
die beiden andern Stunden aber hielt sie zwei Personen zu ihrer Hilfe im Gange.
Ihr das Haar zu machen, war eine schwierige Aufgabe. Millicent behauptete
auch, noch niemals eine so geizige Dame gesehen zu haben. Sie achtete auf
das kleinste Stückchen Band und Spitze, und es fiel ihr uicht ein, den Dome¬
stiken, welche sie in fortwährendem Laufe erhielt, dafür einmal etwas zu schenken.
Bei alledem hatte sie eine Manier des Befehlens, welcher man sich nicht leicht
entziehen konnte, so unangenehm dieser Ton auch war, und Millicent gestand,
daß alles auf ihren Wink flog, und daß sie selber, Millicent, sich täglich über
die eigne Gutmütigkeit der Gräfin gegenüber ärgere. Auch der junge Graf sei
nicht der angenehmste Gast. Er ambre zu oft seine Absicht und widerrufe seine
eignen Befehle. Bald sei er sehr freundlich gegen die Domestiken, bald lasse er
sie hart an. Er sei sehr reizbar und nehme, wenn ihm etwas nicht recht sei,
einen spöttischen Ton an, der beinahe schlimmer sei als der befchlshaberische
seiner Mutter.

Und was sagt der Baron dazu? fragte Rudolf. Ist ihm der Besuch angenehm?

Millicent meinte, der Baron merke das Unangenehme ja nicht. Das merkten
nur die Dienstleute. Der Baron sei sehr erfreut über den Besuch, denn die
Gräfin wisse ihn gut zu unterhalten. Er säße jetzt oft stundenlang mit ihr in
der Bibliothek allein und zeige ihr alte Bücher, da sie eine große Passion für
Genealogie habe, oder zu haben behaupte -- denn man könne ihr in keiner
Sache trauen.

Sie will den Baron wohl heiraten? fragte Rudolf.

Millicent zuckte die Achseln. Über die meinem Verhältnisse der Familie
Sextus ließ sie sich nicht aus, sondern beschränkte sich auf die Schilderung der
Gäste.

Nachdem er alles erfahren hatte, was er aus Millicent herausziehen konnte,
ließ sich Herr Schmidt bei der Gräfin anmelden. Sie bewohnte zwei der schönsten


Die Grafen von Altenschwerdt.

niemals gefallen hatte. Denn aus Millicents Bericht ging hervor, daß die
Gräfin sie zu allerhand Dienstleistungen heranzog. Er behielt heute jedoch seiue
Bemerkungen für sich, so schwer ihm das wurde, weil ihm daran lag, genaue
Auskunft zu erhalten, und er deshalb die Schwester nicht ärgern wollte.

Die Gräfin war, wie Millicent berichtete, ganz ohne Bedienung gekommen,
beanspruchte aber eine beständige Aufwartung. Das junge Mädchen, welches ihr
als Kammerjungfer überwiesen worden war, hatte soviel damit zu thun, der Gräfin
weiße Unterröcke zu bügeln, daß sie kaum für etwas andres Zeit übrig behielt,
und doch hatte die Gräfin immerfort Aufträge und übertrug diese andern Leuten,
die garnicht zu ihrem Dienst da waren. Bald wollte sie kaltes Wasser und bald
heißes haben, bald mußte Thee, bald Chokolade und bald Kaffee bereitet werden, wo¬
bei die Gräfin äußerst peinlich war. Immerfort gab es etwas an ihren Anzügen zu
ändern, loszutrennen, festzustecken, anders zusammenzusetzen. Ihre Toilette vormit¬
tags dauerte drei Stunden lang, die erste Stunde litt sie dabei niemand im Zimmer,
die beiden andern Stunden aber hielt sie zwei Personen zu ihrer Hilfe im Gange.
Ihr das Haar zu machen, war eine schwierige Aufgabe. Millicent behauptete
auch, noch niemals eine so geizige Dame gesehen zu haben. Sie achtete auf
das kleinste Stückchen Band und Spitze, und es fiel ihr uicht ein, den Dome¬
stiken, welche sie in fortwährendem Laufe erhielt, dafür einmal etwas zu schenken.
Bei alledem hatte sie eine Manier des Befehlens, welcher man sich nicht leicht
entziehen konnte, so unangenehm dieser Ton auch war, und Millicent gestand,
daß alles auf ihren Wink flog, und daß sie selber, Millicent, sich täglich über
die eigne Gutmütigkeit der Gräfin gegenüber ärgere. Auch der junge Graf sei
nicht der angenehmste Gast. Er ambre zu oft seine Absicht und widerrufe seine
eignen Befehle. Bald sei er sehr freundlich gegen die Domestiken, bald lasse er
sie hart an. Er sei sehr reizbar und nehme, wenn ihm etwas nicht recht sei,
einen spöttischen Ton an, der beinahe schlimmer sei als der befchlshaberische
seiner Mutter.

Und was sagt der Baron dazu? fragte Rudolf. Ist ihm der Besuch angenehm?

Millicent meinte, der Baron merke das Unangenehme ja nicht. Das merkten
nur die Dienstleute. Der Baron sei sehr erfreut über den Besuch, denn die
Gräfin wisse ihn gut zu unterhalten. Er säße jetzt oft stundenlang mit ihr in
der Bibliothek allein und zeige ihr alte Bücher, da sie eine große Passion für
Genealogie habe, oder zu haben behaupte — denn man könne ihr in keiner
Sache trauen.

Sie will den Baron wohl heiraten? fragte Rudolf.

Millicent zuckte die Achseln. Über die meinem Verhältnisse der Familie
Sextus ließ sie sich nicht aus, sondern beschränkte sich auf die Schilderung der
Gäste.

Nachdem er alles erfahren hatte, was er aus Millicent herausziehen konnte,
ließ sich Herr Schmidt bei der Gräfin anmelden. Sie bewohnte zwei der schönsten


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[0268] Die Grafen von Altenschwerdt. niemals gefallen hatte. Denn aus Millicents Bericht ging hervor, daß die Gräfin sie zu allerhand Dienstleistungen heranzog. Er behielt heute jedoch seiue Bemerkungen für sich, so schwer ihm das wurde, weil ihm daran lag, genaue Auskunft zu erhalten, und er deshalb die Schwester nicht ärgern wollte. Die Gräfin war, wie Millicent berichtete, ganz ohne Bedienung gekommen, beanspruchte aber eine beständige Aufwartung. Das junge Mädchen, welches ihr als Kammerjungfer überwiesen worden war, hatte soviel damit zu thun, der Gräfin weiße Unterröcke zu bügeln, daß sie kaum für etwas andres Zeit übrig behielt, und doch hatte die Gräfin immerfort Aufträge und übertrug diese andern Leuten, die garnicht zu ihrem Dienst da waren. Bald wollte sie kaltes Wasser und bald heißes haben, bald mußte Thee, bald Chokolade und bald Kaffee bereitet werden, wo¬ bei die Gräfin äußerst peinlich war. Immerfort gab es etwas an ihren Anzügen zu ändern, loszutrennen, festzustecken, anders zusammenzusetzen. Ihre Toilette vormit¬ tags dauerte drei Stunden lang, die erste Stunde litt sie dabei niemand im Zimmer, die beiden andern Stunden aber hielt sie zwei Personen zu ihrer Hilfe im Gange. Ihr das Haar zu machen, war eine schwierige Aufgabe. Millicent behauptete auch, noch niemals eine so geizige Dame gesehen zu haben. Sie achtete auf das kleinste Stückchen Band und Spitze, und es fiel ihr uicht ein, den Dome¬ stiken, welche sie in fortwährendem Laufe erhielt, dafür einmal etwas zu schenken. Bei alledem hatte sie eine Manier des Befehlens, welcher man sich nicht leicht entziehen konnte, so unangenehm dieser Ton auch war, und Millicent gestand, daß alles auf ihren Wink flog, und daß sie selber, Millicent, sich täglich über die eigne Gutmütigkeit der Gräfin gegenüber ärgere. Auch der junge Graf sei nicht der angenehmste Gast. Er ambre zu oft seine Absicht und widerrufe seine eignen Befehle. Bald sei er sehr freundlich gegen die Domestiken, bald lasse er sie hart an. Er sei sehr reizbar und nehme, wenn ihm etwas nicht recht sei, einen spöttischen Ton an, der beinahe schlimmer sei als der befchlshaberische seiner Mutter. Und was sagt der Baron dazu? fragte Rudolf. Ist ihm der Besuch angenehm? Millicent meinte, der Baron merke das Unangenehme ja nicht. Das merkten nur die Dienstleute. Der Baron sei sehr erfreut über den Besuch, denn die Gräfin wisse ihn gut zu unterhalten. Er säße jetzt oft stundenlang mit ihr in der Bibliothek allein und zeige ihr alte Bücher, da sie eine große Passion für Genealogie habe, oder zu haben behaupte — denn man könne ihr in keiner Sache trauen. Sie will den Baron wohl heiraten? fragte Rudolf. Millicent zuckte die Achseln. Über die meinem Verhältnisse der Familie Sextus ließ sie sich nicht aus, sondern beschränkte sich auf die Schilderung der Gäste. Nachdem er alles erfahren hatte, was er aus Millicent herausziehen konnte, ließ sich Herr Schmidt bei der Gräfin anmelden. Sie bewohnte zwei der schönsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/268>, abgerufen am 25.08.2024.