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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompojcmische Spazieraänge.

Rolle in der Stadt spielen sollten. Daß diese Aristokratie Geschmack fand an
der Nachahmung der Manieren des römischen Adels, auf welchen sie an ihren
Gestaden von Zeit zu Zeit einen Blick warf, hat nichts überraschendes; ihre
Stellung in der kleinen Stadt war so ziemlich dieselbe wie die der großen
Persönlichkeiten in Rom: wie diese, legte sie Beschlag auf alle öffentlichen Ämter,
wie diese, gewann und bezahlte auch sie die Gunst des Volkes durch unglaublich
freigebige Spenden. Die beiden Brüder Holconius haben auf ihre Kosten das
ganze Theater neu aufgebaut. Die Inschriften der von ihnen oder zu ihre"
Ehren erbauten Monumente gestatten uns einen Einblick in ihr öffentliches
Leben. Ihre Privatexistenz ist dagegen weniger leicht kennen zu lernen. Einst¬
weilen und bis wir das Glück haben, ihre Rechnungsbücher aufzufinden, wie
dies mit denen des Bankiers Jncundus der Fall war, kann uns besonders der
Reichtum und die Schönheit ihrer Wohnungen eine Vorstellung von ihrer
Lebensweise geben.

Wollen wir die schönen Häuser von Pompeji nach Gebühr würdigen und
uns von den Annehmlichkeiten, die sie für ihre Eigentümer gehabt haben müssen,
gehörig Rechenschaft geben, so müssen wir uns von einigen Vorurteilen los¬
machen. Die Bewohner dieser reizenden Stadt scheinen vor allem auf die
Pflege ihres Wohlbefindens bedacht gewesen zu sein, aber sie finden dasselbe
nicht in den nämlichen Dingen wie wir. Auf diesem Gebiete hat eben jedes Jahr¬
hundert seine eignen Meinungen und Liebhabereien; hier, wie überall sonst, will
jeder auf seine Fayon selig werden. Wenn wir uns allzusehr von der Tyrannei
der Gewohnheit beherrschen ließen, welche uns zu glauben verhindert, daß es
möglich sei, anders zu leben als wir, so möchten uns die Häuser von
Pompeji leicht klein und unbequem vorkommen. Vergessen wir aber einen Augen¬
blick unsre Gewohnheiten und Sitten, versuchen wir einmal im Geiste Römer
zu sein, so werden wir finden, daß die Leute, welche jene Häuser bewohnten,
dieselben ganz vortrefflich für sich eingerichtet hatten, und daß diese Häuser
ihrer ganzen Geschmacksrichtung und allen ihren Bedürfnissen vollkommen an¬
gepaßt waren. Heutzutage ist es in unsern großen Städten selbst für reiche
Leute schwer, für sich allein ein ganzes Haus zu besitzen. Größtenteils wohnen
sie in Häusern, die sie mit vielen andern teilen; ihre Wohnungen bestehen aus
einer Reihe geräumiger, luftiger, von hohen, breiten Fenstern durchbrochener Ge¬
mächer, in welche von den Straßen oder Plätzen her Luft und Licht Zugang
finden. Nicht so in Pompeji. Die Zahl der von einer einzigen Familie be¬
wohnten Häuser ist dort sehr beträchtlich. Die Haupträume liegen sämtlich im
Erdgeschoß.*) Die Reichsten haben sich ein Haus erbaut, das zwischen vier



*) Die obern Etagen müssen für weniger wichtige Räume bestimmt gewesen sein. Steile
und schmale Stufen führen zu ihnen hinauf. Etwas wie die große Treppe der modernen
Häuser, welche sämtliche Stockwerke bedient und allen Wohnungen gemeinschaftlich ist, ist
in Pompeji nicht zu finden. Vergl. bei Nissen (Pompejanische Studien S. 602) die Be-
pompojcmische Spazieraänge.

Rolle in der Stadt spielen sollten. Daß diese Aristokratie Geschmack fand an
der Nachahmung der Manieren des römischen Adels, auf welchen sie an ihren
Gestaden von Zeit zu Zeit einen Blick warf, hat nichts überraschendes; ihre
Stellung in der kleinen Stadt war so ziemlich dieselbe wie die der großen
Persönlichkeiten in Rom: wie diese, legte sie Beschlag auf alle öffentlichen Ämter,
wie diese, gewann und bezahlte auch sie die Gunst des Volkes durch unglaublich
freigebige Spenden. Die beiden Brüder Holconius haben auf ihre Kosten das
ganze Theater neu aufgebaut. Die Inschriften der von ihnen oder zu ihre»
Ehren erbauten Monumente gestatten uns einen Einblick in ihr öffentliches
Leben. Ihre Privatexistenz ist dagegen weniger leicht kennen zu lernen. Einst¬
weilen und bis wir das Glück haben, ihre Rechnungsbücher aufzufinden, wie
dies mit denen des Bankiers Jncundus der Fall war, kann uns besonders der
Reichtum und die Schönheit ihrer Wohnungen eine Vorstellung von ihrer
Lebensweise geben.

Wollen wir die schönen Häuser von Pompeji nach Gebühr würdigen und
uns von den Annehmlichkeiten, die sie für ihre Eigentümer gehabt haben müssen,
gehörig Rechenschaft geben, so müssen wir uns von einigen Vorurteilen los¬
machen. Die Bewohner dieser reizenden Stadt scheinen vor allem auf die
Pflege ihres Wohlbefindens bedacht gewesen zu sein, aber sie finden dasselbe
nicht in den nämlichen Dingen wie wir. Auf diesem Gebiete hat eben jedes Jahr¬
hundert seine eignen Meinungen und Liebhabereien; hier, wie überall sonst, will
jeder auf seine Fayon selig werden. Wenn wir uns allzusehr von der Tyrannei
der Gewohnheit beherrschen ließen, welche uns zu glauben verhindert, daß es
möglich sei, anders zu leben als wir, so möchten uns die Häuser von
Pompeji leicht klein und unbequem vorkommen. Vergessen wir aber einen Augen¬
blick unsre Gewohnheiten und Sitten, versuchen wir einmal im Geiste Römer
zu sein, so werden wir finden, daß die Leute, welche jene Häuser bewohnten,
dieselben ganz vortrefflich für sich eingerichtet hatten, und daß diese Häuser
ihrer ganzen Geschmacksrichtung und allen ihren Bedürfnissen vollkommen an¬
gepaßt waren. Heutzutage ist es in unsern großen Städten selbst für reiche
Leute schwer, für sich allein ein ganzes Haus zu besitzen. Größtenteils wohnen
sie in Häusern, die sie mit vielen andern teilen; ihre Wohnungen bestehen aus
einer Reihe geräumiger, luftiger, von hohen, breiten Fenstern durchbrochener Ge¬
mächer, in welche von den Straßen oder Plätzen her Luft und Licht Zugang
finden. Nicht so in Pompeji. Die Zahl der von einer einzigen Familie be¬
wohnten Häuser ist dort sehr beträchtlich. Die Haupträume liegen sämtlich im
Erdgeschoß.*) Die Reichsten haben sich ein Haus erbaut, das zwischen vier



*) Die obern Etagen müssen für weniger wichtige Räume bestimmt gewesen sein. Steile
und schmale Stufen führen zu ihnen hinauf. Etwas wie die große Treppe der modernen
Häuser, welche sämtliche Stockwerke bedient und allen Wohnungen gemeinschaftlich ist, ist
in Pompeji nicht zu finden. Vergl. bei Nissen (Pompejanische Studien S. 602) die Be-
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[0255] pompojcmische Spazieraänge. Rolle in der Stadt spielen sollten. Daß diese Aristokratie Geschmack fand an der Nachahmung der Manieren des römischen Adels, auf welchen sie an ihren Gestaden von Zeit zu Zeit einen Blick warf, hat nichts überraschendes; ihre Stellung in der kleinen Stadt war so ziemlich dieselbe wie die der großen Persönlichkeiten in Rom: wie diese, legte sie Beschlag auf alle öffentlichen Ämter, wie diese, gewann und bezahlte auch sie die Gunst des Volkes durch unglaublich freigebige Spenden. Die beiden Brüder Holconius haben auf ihre Kosten das ganze Theater neu aufgebaut. Die Inschriften der von ihnen oder zu ihre» Ehren erbauten Monumente gestatten uns einen Einblick in ihr öffentliches Leben. Ihre Privatexistenz ist dagegen weniger leicht kennen zu lernen. Einst¬ weilen und bis wir das Glück haben, ihre Rechnungsbücher aufzufinden, wie dies mit denen des Bankiers Jncundus der Fall war, kann uns besonders der Reichtum und die Schönheit ihrer Wohnungen eine Vorstellung von ihrer Lebensweise geben. Wollen wir die schönen Häuser von Pompeji nach Gebühr würdigen und uns von den Annehmlichkeiten, die sie für ihre Eigentümer gehabt haben müssen, gehörig Rechenschaft geben, so müssen wir uns von einigen Vorurteilen los¬ machen. Die Bewohner dieser reizenden Stadt scheinen vor allem auf die Pflege ihres Wohlbefindens bedacht gewesen zu sein, aber sie finden dasselbe nicht in den nämlichen Dingen wie wir. Auf diesem Gebiete hat eben jedes Jahr¬ hundert seine eignen Meinungen und Liebhabereien; hier, wie überall sonst, will jeder auf seine Fayon selig werden. Wenn wir uns allzusehr von der Tyrannei der Gewohnheit beherrschen ließen, welche uns zu glauben verhindert, daß es möglich sei, anders zu leben als wir, so möchten uns die Häuser von Pompeji leicht klein und unbequem vorkommen. Vergessen wir aber einen Augen¬ blick unsre Gewohnheiten und Sitten, versuchen wir einmal im Geiste Römer zu sein, so werden wir finden, daß die Leute, welche jene Häuser bewohnten, dieselben ganz vortrefflich für sich eingerichtet hatten, und daß diese Häuser ihrer ganzen Geschmacksrichtung und allen ihren Bedürfnissen vollkommen an¬ gepaßt waren. Heutzutage ist es in unsern großen Städten selbst für reiche Leute schwer, für sich allein ein ganzes Haus zu besitzen. Größtenteils wohnen sie in Häusern, die sie mit vielen andern teilen; ihre Wohnungen bestehen aus einer Reihe geräumiger, luftiger, von hohen, breiten Fenstern durchbrochener Ge¬ mächer, in welche von den Straßen oder Plätzen her Luft und Licht Zugang finden. Nicht so in Pompeji. Die Zahl der von einer einzigen Familie be¬ wohnten Häuser ist dort sehr beträchtlich. Die Haupträume liegen sämtlich im Erdgeschoß.*) Die Reichsten haben sich ein Haus erbaut, das zwischen vier *) Die obern Etagen müssen für weniger wichtige Räume bestimmt gewesen sein. Steile und schmale Stufen führen zu ihnen hinauf. Etwas wie die große Treppe der modernen Häuser, welche sämtliche Stockwerke bedient und allen Wohnungen gemeinschaftlich ist, ist in Pompeji nicht zu finden. Vergl. bei Nissen (Pompejanische Studien S. 602) die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/255>, abgerufen am 24.08.2024.