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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Lin Apostel der Geniezeit.

als den Mann ein, der zu unparteiischer Untersuchung gekommen sei. Wie aber
wäre Kaufmann in seinem wilden Ungestüm dazu fähig gewesen? Er wollte
ja nur "wirken," unmittelbare Spuren seines Kommens hinterlassen, und so
trat er denn bald mit einer neuen Konstitution für das Philanthropin auf, die
sich freilich nur mit äußerlichen Dingen befaßte und Zwietracht unter die ver-
bündeten Genossen brachte. So wenigstens erscheinen die Vorgänge nach Mochels
Bericht, welcher hier unsre einzige Quelle ist und welcher Kaufmanns Gebahren
als ein ganz hohles und nichtiges hinstellt.

Anders urteilte allerdings Basedow selbst, welcher, in eben diesen Tagen,
seiner bis dahin fruchtlosen Bemühungen überdrüssig, sich von der Leitung der
Anstalt zurückzog, um sie dein tüchtigen Campe zu überlassen. Im dritten Stück
des "Philanthropinischen Archivs" erkannte er ausdrücklich die wohlwollende
Gesinnung Kaufmanns an, der, dnrch das bisherige Schicksal des Dessauischen
Philanthrop ins zu neuen Überlegungen veranlaßt, seinen mit Freunden gefaßten
Vorsatz vorschiebe, ein den menschlichen Bedürfnissen angemessenes Erziehungs-
institut zu stiften, um erst die Vervollkommnung des Dessauischen abzuwarten.
Vorerst sei er durch einen "bestimmter" Beruf" in Anspruch genommen, was
wohl nur soviel sagen soll, daß Kaufmann noch fortfahren wollte, Lavnters
Evangelium zu verbreiten. Der nüchterne Campe wollte dagegen von all dem
genialen Treiben und Drängen nichts wissen; er hoffte alles Heil von den
Berliner "Wasserphilvsophen," wie Spalding, Mendelssohn, Nicolai, Engel von
den Genies genannt wurden. So gingen die Ansichten über das, was Not
that, in Dessau widerspruchsvoll durcheinander, und so wird uns begreiflich,
daß je nach dem Standpunkte, den die verschiednen Männer einnahmen, auch das
Urteil über Kaufmann verschieden ausfallen mußte. Im allgemeinen aber war der
Eindruck, den Kaufmann in Dessau hinterließ, kein günstiger. Reil giebt zu
verstehen, sowohl bei Hofe wie in der Stadt habe sich "dieses Universalgenie,"
das er als "großsprecherisch, hinterlistig, gleißnerisch, den Weiblein gefährlich,
dabei roh und unflätig" bezeichnet, höchst lächerlich und verächtlich gemacht.
Jedenfalls hat Kaufmanns Fahrt nach Dessau keinen Erfolg gehabt, und das¬
selbe gilt auch von dem nun folgenden Teil seines Zuges, aus dem wir nur
noch die wichtigsten Momente hervorheben.

Zu diesen gehört unstreitig der Eintritt Kaufmanns in den Freimaurer-
orden, der wohl zu Darmstadt erfolgte. Gleichzeitig tauchte in ihm der Ge¬
danke auf, sich nach Rußland zu wenden, um dort ein großes Erziehungshaus
zu gründen. Wie haltlos Kaufmann noch immer in seinen Überzeugungen war,
wie ihm ernstere Verstandesoperativnen noch ganz unmöglich waren, das zeigte
sich um deutlichsten, als ihm in Berlin, wo er auf seiner russischen Reise Halt
machte, von Sulzer auf den Zahn gefühlt wurde. Herder, dessen Ideale Kauf¬
mann "voll Wärme und Hingerissen von ungestümen Empfindungen, aber --
ohne Vernunft," wie Sulzer ihn schildert, recht eigentlich entsprach, war auch


Lin Apostel der Geniezeit.

als den Mann ein, der zu unparteiischer Untersuchung gekommen sei. Wie aber
wäre Kaufmann in seinem wilden Ungestüm dazu fähig gewesen? Er wollte
ja nur „wirken," unmittelbare Spuren seines Kommens hinterlassen, und so
trat er denn bald mit einer neuen Konstitution für das Philanthropin auf, die
sich freilich nur mit äußerlichen Dingen befaßte und Zwietracht unter die ver-
bündeten Genossen brachte. So wenigstens erscheinen die Vorgänge nach Mochels
Bericht, welcher hier unsre einzige Quelle ist und welcher Kaufmanns Gebahren
als ein ganz hohles und nichtiges hinstellt.

Anders urteilte allerdings Basedow selbst, welcher, in eben diesen Tagen,
seiner bis dahin fruchtlosen Bemühungen überdrüssig, sich von der Leitung der
Anstalt zurückzog, um sie dein tüchtigen Campe zu überlassen. Im dritten Stück
des „Philanthropinischen Archivs" erkannte er ausdrücklich die wohlwollende
Gesinnung Kaufmanns an, der, dnrch das bisherige Schicksal des Dessauischen
Philanthrop ins zu neuen Überlegungen veranlaßt, seinen mit Freunden gefaßten
Vorsatz vorschiebe, ein den menschlichen Bedürfnissen angemessenes Erziehungs-
institut zu stiften, um erst die Vervollkommnung des Dessauischen abzuwarten.
Vorerst sei er durch einen „bestimmter» Beruf" in Anspruch genommen, was
wohl nur soviel sagen soll, daß Kaufmann noch fortfahren wollte, Lavnters
Evangelium zu verbreiten. Der nüchterne Campe wollte dagegen von all dem
genialen Treiben und Drängen nichts wissen; er hoffte alles Heil von den
Berliner „Wasserphilvsophen," wie Spalding, Mendelssohn, Nicolai, Engel von
den Genies genannt wurden. So gingen die Ansichten über das, was Not
that, in Dessau widerspruchsvoll durcheinander, und so wird uns begreiflich,
daß je nach dem Standpunkte, den die verschiednen Männer einnahmen, auch das
Urteil über Kaufmann verschieden ausfallen mußte. Im allgemeinen aber war der
Eindruck, den Kaufmann in Dessau hinterließ, kein günstiger. Reil giebt zu
verstehen, sowohl bei Hofe wie in der Stadt habe sich „dieses Universalgenie,"
das er als „großsprecherisch, hinterlistig, gleißnerisch, den Weiblein gefährlich,
dabei roh und unflätig" bezeichnet, höchst lächerlich und verächtlich gemacht.
Jedenfalls hat Kaufmanns Fahrt nach Dessau keinen Erfolg gehabt, und das¬
selbe gilt auch von dem nun folgenden Teil seines Zuges, aus dem wir nur
noch die wichtigsten Momente hervorheben.

Zu diesen gehört unstreitig der Eintritt Kaufmanns in den Freimaurer-
orden, der wohl zu Darmstadt erfolgte. Gleichzeitig tauchte in ihm der Ge¬
danke auf, sich nach Rußland zu wenden, um dort ein großes Erziehungshaus
zu gründen. Wie haltlos Kaufmann noch immer in seinen Überzeugungen war,
wie ihm ernstere Verstandesoperativnen noch ganz unmöglich waren, das zeigte
sich um deutlichsten, als ihm in Berlin, wo er auf seiner russischen Reise Halt
machte, von Sulzer auf den Zahn gefühlt wurde. Herder, dessen Ideale Kauf¬
mann „voll Wärme und Hingerissen von ungestümen Empfindungen, aber —
ohne Vernunft," wie Sulzer ihn schildert, recht eigentlich entsprach, war auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/243>, abgerufen am 01.10.2024.