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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Stämme sind unzweifelhaft afrikanischen Ursprunges und weniger thatkräftig,
aber ehrlicher und zuverlässiger.

Obwohl es im Innern, abgesehen von Viehherdenwegen, gar keine Straßen
giebt und mir selten Dampfer in den malagassischen Buchten erscheinen, kann
man die gesamte Ein- und Ausfuhr der Jusel doch auf einen Wert von mehr
als fünfzehn Millionen Mark veranschlagen. So berechnet sie wenigstens Chesson,
der Sekretär des Londoner Madagaskarkomitees, welcher hinzufügt: "Die mit
dieser Zahl ausgedrückten Interessen sind nicht unwichtig für die britischen Kauf¬
leute und Fabrikanten, die einen vorteilhaften Handel mit Madagaskar treiben."
Das erklärt, abgesehen von politischen Beweggründen, genügend die Anstrengungen,
welche die Engländer machen, um sich ausschließlichen Einfluß auf die Hvvas-
regicrung zu verschaffen und so besser gerüstet zu sein, um der Konkurrenz
französischer, deutscher und amerikanischer Kaufleute in der Ausbeutung der
"och sehr entwicklungsfähigen Hilfsquellen Madagaskars erfolgreich die Spitze
zu bieten.

Die Franzosen waren die ersten und einzigen Kolonisten des Landes,
während die Hovas, die von den malayischen Inseln eingewandert waren, langsam
einige der Urstämme unterjochten. Daher entstand der jetzige Konflikt. "Die
Hovas beanspruchen den Besitz der ganzen Insel, die sie doch noch lange nicht
vollständig erobert haben, nach dem Rechte der Eroberung und wollen die Fran¬
zosen der Distrikte berauben, welche ihnen freiwillig abgetreten worden sind, und
in welchen die Autonomie der Urbevölkerung unter dem Schutze einer euro¬
päischen Nation bewahrt werden kann. Diese Nation, der man niemals eine
selbstsüchtige Kolonialpolitik vorgeworfen hat, ist so augenscheinlich bereit, die
Vorteile einer Kolonisirung Madagaskars mit andern Leuten zu teilen, daß der
französische Vertrag von 1862 ausdrücklich bestimmt, alle Nationen sollen sich
der aus diesem Traktat fließenden Privilegien erfreuen, sobald sie dieselben be¬
anspruchen, und zwar ohne gezwungen zu sein, mit ihrem eignen Namen eine
Übereinkunft zu unterzeichnen."

Die Geschichtschreiber führen die Entdeckung Madagaskars auf Tristan
d'Amrda oder auf Fernando Suarez zurück und verlegen sie in das Jahr 1506.
Andre behaupten, daß schon 1800 ein französischer Seefahrer, namens Paulmier
de Gonneville, ans der Insel gelandet sei. Unbestritten ist jedenfalls, daß 1612
der Franzose Promis zu Tholangar eine Niederlassung gründete, welche Flacourt
befestigte und Fort Dauphin nannte. Dies geschah 1648, und die Franzosen
bemühten sich, die Sprache der Malagasseu zu lernen und sich das Vertrauen
derselben zu gewinnen. Unglücklicherweise aber entsprach das Verhalten ihrer
Beamten nicht den Bemühungen Richelieus und Colberts für das Aufblühen
der französischen Niederlassungen, die überdies sehr bald von den kurz vorher
ins Land gekommenen Hovas angegriffen wurden. Dank einer steten Zuwan¬
derung von den Sunda-Landengen her und geschickt eingefädelten Blindnissen auf


Stämme sind unzweifelhaft afrikanischen Ursprunges und weniger thatkräftig,
aber ehrlicher und zuverlässiger.

Obwohl es im Innern, abgesehen von Viehherdenwegen, gar keine Straßen
giebt und mir selten Dampfer in den malagassischen Buchten erscheinen, kann
man die gesamte Ein- und Ausfuhr der Jusel doch auf einen Wert von mehr
als fünfzehn Millionen Mark veranschlagen. So berechnet sie wenigstens Chesson,
der Sekretär des Londoner Madagaskarkomitees, welcher hinzufügt: „Die mit
dieser Zahl ausgedrückten Interessen sind nicht unwichtig für die britischen Kauf¬
leute und Fabrikanten, die einen vorteilhaften Handel mit Madagaskar treiben."
Das erklärt, abgesehen von politischen Beweggründen, genügend die Anstrengungen,
welche die Engländer machen, um sich ausschließlichen Einfluß auf die Hvvas-
regicrung zu verschaffen und so besser gerüstet zu sein, um der Konkurrenz
französischer, deutscher und amerikanischer Kaufleute in der Ausbeutung der
»och sehr entwicklungsfähigen Hilfsquellen Madagaskars erfolgreich die Spitze
zu bieten.

Die Franzosen waren die ersten und einzigen Kolonisten des Landes,
während die Hovas, die von den malayischen Inseln eingewandert waren, langsam
einige der Urstämme unterjochten. Daher entstand der jetzige Konflikt. „Die
Hovas beanspruchen den Besitz der ganzen Insel, die sie doch noch lange nicht
vollständig erobert haben, nach dem Rechte der Eroberung und wollen die Fran¬
zosen der Distrikte berauben, welche ihnen freiwillig abgetreten worden sind, und
in welchen die Autonomie der Urbevölkerung unter dem Schutze einer euro¬
päischen Nation bewahrt werden kann. Diese Nation, der man niemals eine
selbstsüchtige Kolonialpolitik vorgeworfen hat, ist so augenscheinlich bereit, die
Vorteile einer Kolonisirung Madagaskars mit andern Leuten zu teilen, daß der
französische Vertrag von 1862 ausdrücklich bestimmt, alle Nationen sollen sich
der aus diesem Traktat fließenden Privilegien erfreuen, sobald sie dieselben be¬
anspruchen, und zwar ohne gezwungen zu sein, mit ihrem eignen Namen eine
Übereinkunft zu unterzeichnen."

Die Geschichtschreiber führen die Entdeckung Madagaskars auf Tristan
d'Amrda oder auf Fernando Suarez zurück und verlegen sie in das Jahr 1506.
Andre behaupten, daß schon 1800 ein französischer Seefahrer, namens Paulmier
de Gonneville, ans der Insel gelandet sei. Unbestritten ist jedenfalls, daß 1612
der Franzose Promis zu Tholangar eine Niederlassung gründete, welche Flacourt
befestigte und Fort Dauphin nannte. Dies geschah 1648, und die Franzosen
bemühten sich, die Sprache der Malagasseu zu lernen und sich das Vertrauen
derselben zu gewinnen. Unglücklicherweise aber entsprach das Verhalten ihrer
Beamten nicht den Bemühungen Richelieus und Colberts für das Aufblühen
der französischen Niederlassungen, die überdies sehr bald von den kurz vorher
ins Land gekommenen Hovas angegriffen wurden. Dank einer steten Zuwan¬
derung von den Sunda-Landengen her und geschickt eingefädelten Blindnissen auf


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[0227] Stämme sind unzweifelhaft afrikanischen Ursprunges und weniger thatkräftig, aber ehrlicher und zuverlässiger. Obwohl es im Innern, abgesehen von Viehherdenwegen, gar keine Straßen giebt und mir selten Dampfer in den malagassischen Buchten erscheinen, kann man die gesamte Ein- und Ausfuhr der Jusel doch auf einen Wert von mehr als fünfzehn Millionen Mark veranschlagen. So berechnet sie wenigstens Chesson, der Sekretär des Londoner Madagaskarkomitees, welcher hinzufügt: „Die mit dieser Zahl ausgedrückten Interessen sind nicht unwichtig für die britischen Kauf¬ leute und Fabrikanten, die einen vorteilhaften Handel mit Madagaskar treiben." Das erklärt, abgesehen von politischen Beweggründen, genügend die Anstrengungen, welche die Engländer machen, um sich ausschließlichen Einfluß auf die Hvvas- regicrung zu verschaffen und so besser gerüstet zu sein, um der Konkurrenz französischer, deutscher und amerikanischer Kaufleute in der Ausbeutung der »och sehr entwicklungsfähigen Hilfsquellen Madagaskars erfolgreich die Spitze zu bieten. Die Franzosen waren die ersten und einzigen Kolonisten des Landes, während die Hovas, die von den malayischen Inseln eingewandert waren, langsam einige der Urstämme unterjochten. Daher entstand der jetzige Konflikt. „Die Hovas beanspruchen den Besitz der ganzen Insel, die sie doch noch lange nicht vollständig erobert haben, nach dem Rechte der Eroberung und wollen die Fran¬ zosen der Distrikte berauben, welche ihnen freiwillig abgetreten worden sind, und in welchen die Autonomie der Urbevölkerung unter dem Schutze einer euro¬ päischen Nation bewahrt werden kann. Diese Nation, der man niemals eine selbstsüchtige Kolonialpolitik vorgeworfen hat, ist so augenscheinlich bereit, die Vorteile einer Kolonisirung Madagaskars mit andern Leuten zu teilen, daß der französische Vertrag von 1862 ausdrücklich bestimmt, alle Nationen sollen sich der aus diesem Traktat fließenden Privilegien erfreuen, sobald sie dieselben be¬ anspruchen, und zwar ohne gezwungen zu sein, mit ihrem eignen Namen eine Übereinkunft zu unterzeichnen." Die Geschichtschreiber führen die Entdeckung Madagaskars auf Tristan d'Amrda oder auf Fernando Suarez zurück und verlegen sie in das Jahr 1506. Andre behaupten, daß schon 1800 ein französischer Seefahrer, namens Paulmier de Gonneville, ans der Insel gelandet sei. Unbestritten ist jedenfalls, daß 1612 der Franzose Promis zu Tholangar eine Niederlassung gründete, welche Flacourt befestigte und Fort Dauphin nannte. Dies geschah 1648, und die Franzosen bemühten sich, die Sprache der Malagasseu zu lernen und sich das Vertrauen derselben zu gewinnen. Unglücklicherweise aber entsprach das Verhalten ihrer Beamten nicht den Bemühungen Richelieus und Colberts für das Aufblühen der französischen Niederlassungen, die überdies sehr bald von den kurz vorher ins Land gekommenen Hovas angegriffen wurden. Dank einer steten Zuwan¬ derung von den Sunda-Landengen her und geschickt eingefädelten Blindnissen auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/227>, abgerufen am 03.07.2024.