Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Beleuchtung der Gefängnisfragc,

zum Aufheben eingerichtete, mit Einschnitten versehene eichene Diele festgehalten
wurden. Welche Unreinlichkeit und welche entsetzlich verpestete Luft muß bei
dem Mangel jeglicher Ventilation und den primitiven Aborten dort geherrscht
haben! Im Winter boten gegen die eisige Kälte schwachen Schutz eiserne Kohlen-
Pfannen, in Steinen befestigt, die auf dem Boden lagen, und die sich in einzelnen
Kerkern noch befinden. Die kleinen Nischen in der Mauer deö Korridors, in
welchen früher rußige Öllichter brannten, stehen heute leer; dichte Finsternis
herrscht überall und weicht nur uns die nächste Entfernung vor dem Lichtschein
der Laterne des Führers. Die zahlreichen Thüren mit den schweren Riegeln
und Schlössern, die den Korridor von den einzelnen Kerkern abschlossen, und
die Thüren der Kerker selbst sind entfernt oder hängen lose in den Angeln.
Tiefe Stille herrscht, wo früher so viele Flüche, Gotteslästerungen und unflätige
Reden von den Wänden hallten oder Gebete emporstiegen um Abkürzung un¬
erträglicher Leiden. In einem früher gleichfalls durch Doppelthüren abgesperrten
engen und finstern Gange trägt eine schmale, niedrige Thür die beim Schein
der Laterne kaum noch lesbare Aufschrift: Folterkammer 1511. Die Thür¬
einfassung von Eichenholz ist durch die Zeit geschwärzt, die Thüren sind ent¬
fernt; steinerne Stufen führen hinab in ein schmales, längliches, vom Tageslicht
wie die übrigen Räume abgesperrtes Gemach, spitz gewölbt, von ansehnlicher
Höhe, in alten Versen, den räumlichen Verhältnissen ganz entsprechend, die "Ka¬
pelle" genannt. Dem Eingange gegenüber ist ein Podium vou Holz, über dem¬
selben in der Mauer eingelassen eine starke eichene Welle, oben im Gewölbe
eine Balkenvorrichtung mit Rolle, auf der das Seil lief, womit die Gefolterten
in die Höhe gezogen wurden. Wie viele mögen, die vorschriftsmäßigen weißen
Socken an den Füßen, durch diese niedrige Thür getreten und zitternd, den
Angstschweiß auf der Stirn, die steinernen Stufen herab gekommen sein, den
trostlosen Blick auf die furchtbare Vorrichtung und die finstern Gestalten ge¬
heftet, die, von Fackellicht unheimlich beleuchtet, aus dem dunkeln Raum hervor¬
traten! Jetzt ist der schauerliche Ort wieder in Finsternis versunken, und tiefe
Stille herrscht auch hier, wo die nackten Mauern so oft wiederhallten von dem
markerschütternden Schrei des peinlich Befragten, wenn der "Löw," der erste
Gehilfe des Nachrichters, die mächtige Welle drehte, die schweren Gewichte an
den Füßen dem langsam in die Höhe Gewundenen die Glieder dehnten, Bänder
und Sehnen zerrissen, bis die stärksten Nerven und eiserner Wille zuletzt der
sinnreichen Grausamkeit erlagen, womit man die peinliche Frage zu verlängern
und die furchtbarsten Schmerzen zu steigern wußte. Unlösbares Rätsel: Oben
der herrliche Saal, geschmückt mit den unerreichten Werken einer zur vollen
Blüte entfalteten, edeln, freien, zartfühlenden Kunst, ein glänzender Rahmen zu
dem furchtbaren Bilde der unter der Erde arbeitenden Justiz, die den Scharf¬
sinn und die Kombinationsgabe des Untersuchungsrichters durch die Faust des
Henkers und die Folter ersetzte, ohne daß eine harte, unbarmherige Zeit, sei es


Zur Beleuchtung der Gefängnisfragc,

zum Aufheben eingerichtete, mit Einschnitten versehene eichene Diele festgehalten
wurden. Welche Unreinlichkeit und welche entsetzlich verpestete Luft muß bei
dem Mangel jeglicher Ventilation und den primitiven Aborten dort geherrscht
haben! Im Winter boten gegen die eisige Kälte schwachen Schutz eiserne Kohlen-
Pfannen, in Steinen befestigt, die auf dem Boden lagen, und die sich in einzelnen
Kerkern noch befinden. Die kleinen Nischen in der Mauer deö Korridors, in
welchen früher rußige Öllichter brannten, stehen heute leer; dichte Finsternis
herrscht überall und weicht nur uns die nächste Entfernung vor dem Lichtschein
der Laterne des Führers. Die zahlreichen Thüren mit den schweren Riegeln
und Schlössern, die den Korridor von den einzelnen Kerkern abschlossen, und
die Thüren der Kerker selbst sind entfernt oder hängen lose in den Angeln.
Tiefe Stille herrscht, wo früher so viele Flüche, Gotteslästerungen und unflätige
Reden von den Wänden hallten oder Gebete emporstiegen um Abkürzung un¬
erträglicher Leiden. In einem früher gleichfalls durch Doppelthüren abgesperrten
engen und finstern Gange trägt eine schmale, niedrige Thür die beim Schein
der Laterne kaum noch lesbare Aufschrift: Folterkammer 1511. Die Thür¬
einfassung von Eichenholz ist durch die Zeit geschwärzt, die Thüren sind ent¬
fernt; steinerne Stufen führen hinab in ein schmales, längliches, vom Tageslicht
wie die übrigen Räume abgesperrtes Gemach, spitz gewölbt, von ansehnlicher
Höhe, in alten Versen, den räumlichen Verhältnissen ganz entsprechend, die „Ka¬
pelle" genannt. Dem Eingange gegenüber ist ein Podium vou Holz, über dem¬
selben in der Mauer eingelassen eine starke eichene Welle, oben im Gewölbe
eine Balkenvorrichtung mit Rolle, auf der das Seil lief, womit die Gefolterten
in die Höhe gezogen wurden. Wie viele mögen, die vorschriftsmäßigen weißen
Socken an den Füßen, durch diese niedrige Thür getreten und zitternd, den
Angstschweiß auf der Stirn, die steinernen Stufen herab gekommen sein, den
trostlosen Blick auf die furchtbare Vorrichtung und die finstern Gestalten ge¬
heftet, die, von Fackellicht unheimlich beleuchtet, aus dem dunkeln Raum hervor¬
traten! Jetzt ist der schauerliche Ort wieder in Finsternis versunken, und tiefe
Stille herrscht auch hier, wo die nackten Mauern so oft wiederhallten von dem
markerschütternden Schrei des peinlich Befragten, wenn der „Löw," der erste
Gehilfe des Nachrichters, die mächtige Welle drehte, die schweren Gewichte an
den Füßen dem langsam in die Höhe Gewundenen die Glieder dehnten, Bänder
und Sehnen zerrissen, bis die stärksten Nerven und eiserner Wille zuletzt der
sinnreichen Grausamkeit erlagen, womit man die peinliche Frage zu verlängern
und die furchtbarsten Schmerzen zu steigern wußte. Unlösbares Rätsel: Oben
der herrliche Saal, geschmückt mit den unerreichten Werken einer zur vollen
Blüte entfalteten, edeln, freien, zartfühlenden Kunst, ein glänzender Rahmen zu
dem furchtbaren Bilde der unter der Erde arbeitenden Justiz, die den Scharf¬
sinn und die Kombinationsgabe des Untersuchungsrichters durch die Faust des
Henkers und die Folter ersetzte, ohne daß eine harte, unbarmherige Zeit, sei es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152929"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Beleuchtung der Gefängnisfragc,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722" next="#ID_724"> zum Aufheben eingerichtete, mit Einschnitten versehene eichene Diele festgehalten<lb/>
wurden.  Welche Unreinlichkeit und welche entsetzlich verpestete Luft muß bei<lb/>
dem Mangel jeglicher Ventilation und den primitiven Aborten dort geherrscht<lb/>
haben! Im Winter boten gegen die eisige Kälte schwachen Schutz eiserne Kohlen-<lb/>
Pfannen, in Steinen befestigt, die auf dem Boden lagen, und die sich in einzelnen<lb/>
Kerkern noch befinden.  Die kleinen Nischen in der Mauer deö Korridors, in<lb/>
welchen früher rußige Öllichter brannten, stehen heute leer; dichte Finsternis<lb/>
herrscht überall und weicht nur uns die nächste Entfernung vor dem Lichtschein<lb/>
der Laterne des Führers.  Die zahlreichen Thüren mit den schweren Riegeln<lb/>
und Schlössern, die den Korridor von den einzelnen Kerkern abschlossen, und<lb/>
die Thüren der Kerker selbst sind entfernt oder hängen lose in den Angeln.<lb/>
Tiefe Stille herrscht, wo früher so viele Flüche, Gotteslästerungen und unflätige<lb/>
Reden von den Wänden hallten oder Gebete emporstiegen um Abkürzung un¬<lb/>
erträglicher Leiden. In einem früher gleichfalls durch Doppelthüren abgesperrten<lb/>
engen und finstern Gange trägt eine schmale, niedrige Thür die beim Schein<lb/>
der Laterne kaum noch lesbare Aufschrift: Folterkammer 1511.  Die Thür¬<lb/>
einfassung von Eichenholz ist durch die Zeit geschwärzt, die Thüren sind ent¬<lb/>
fernt; steinerne Stufen führen hinab in ein schmales, längliches, vom Tageslicht<lb/>
wie die übrigen Räume abgesperrtes Gemach, spitz gewölbt, von ansehnlicher<lb/>
Höhe, in alten Versen, den räumlichen Verhältnissen ganz entsprechend, die &#x201E;Ka¬<lb/>
pelle" genannt. Dem Eingange gegenüber ist ein Podium vou Holz, über dem¬<lb/>
selben in der Mauer eingelassen eine starke eichene Welle, oben im Gewölbe<lb/>
eine Balkenvorrichtung mit Rolle, auf der das Seil lief, womit die Gefolterten<lb/>
in die Höhe gezogen wurden. Wie viele mögen, die vorschriftsmäßigen weißen<lb/>
Socken an den Füßen, durch diese niedrige Thür getreten und zitternd, den<lb/>
Angstschweiß auf der Stirn, die steinernen Stufen herab gekommen sein, den<lb/>
trostlosen Blick auf die furchtbare Vorrichtung und die finstern Gestalten ge¬<lb/>
heftet, die, von Fackellicht unheimlich beleuchtet, aus dem dunkeln Raum hervor¬<lb/>
traten!  Jetzt ist der schauerliche Ort wieder in Finsternis versunken, und tiefe<lb/>
Stille herrscht auch hier, wo die nackten Mauern so oft wiederhallten von dem<lb/>
markerschütternden Schrei des peinlich Befragten, wenn der &#x201E;Löw," der erste<lb/>
Gehilfe des Nachrichters, die mächtige Welle drehte, die schweren Gewichte an<lb/>
den Füßen dem langsam in die Höhe Gewundenen die Glieder dehnten, Bänder<lb/>
und Sehnen zerrissen, bis die stärksten Nerven und eiserner Wille zuletzt der<lb/>
sinnreichen Grausamkeit erlagen, womit man die peinliche Frage zu verlängern<lb/>
und die furchtbarsten Schmerzen zu steigern wußte. Unlösbares Rätsel: Oben<lb/>
der herrliche Saal, geschmückt mit den unerreichten Werken einer zur vollen<lb/>
Blüte entfalteten, edeln, freien, zartfühlenden Kunst, ein glänzender Rahmen zu<lb/>
dem furchtbaren Bilde der unter der Erde arbeitenden Justiz, die den Scharf¬<lb/>
sinn und die Kombinationsgabe des Untersuchungsrichters durch die Faust des<lb/>
Henkers und die Folter ersetzte, ohne daß eine harte, unbarmherige Zeit, sei es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Zur Beleuchtung der Gefängnisfragc, zum Aufheben eingerichtete, mit Einschnitten versehene eichene Diele festgehalten wurden. Welche Unreinlichkeit und welche entsetzlich verpestete Luft muß bei dem Mangel jeglicher Ventilation und den primitiven Aborten dort geherrscht haben! Im Winter boten gegen die eisige Kälte schwachen Schutz eiserne Kohlen- Pfannen, in Steinen befestigt, die auf dem Boden lagen, und die sich in einzelnen Kerkern noch befinden. Die kleinen Nischen in der Mauer deö Korridors, in welchen früher rußige Öllichter brannten, stehen heute leer; dichte Finsternis herrscht überall und weicht nur uns die nächste Entfernung vor dem Lichtschein der Laterne des Führers. Die zahlreichen Thüren mit den schweren Riegeln und Schlössern, die den Korridor von den einzelnen Kerkern abschlossen, und die Thüren der Kerker selbst sind entfernt oder hängen lose in den Angeln. Tiefe Stille herrscht, wo früher so viele Flüche, Gotteslästerungen und unflätige Reden von den Wänden hallten oder Gebete emporstiegen um Abkürzung un¬ erträglicher Leiden. In einem früher gleichfalls durch Doppelthüren abgesperrten engen und finstern Gange trägt eine schmale, niedrige Thür die beim Schein der Laterne kaum noch lesbare Aufschrift: Folterkammer 1511. Die Thür¬ einfassung von Eichenholz ist durch die Zeit geschwärzt, die Thüren sind ent¬ fernt; steinerne Stufen führen hinab in ein schmales, längliches, vom Tageslicht wie die übrigen Räume abgesperrtes Gemach, spitz gewölbt, von ansehnlicher Höhe, in alten Versen, den räumlichen Verhältnissen ganz entsprechend, die „Ka¬ pelle" genannt. Dem Eingange gegenüber ist ein Podium vou Holz, über dem¬ selben in der Mauer eingelassen eine starke eichene Welle, oben im Gewölbe eine Balkenvorrichtung mit Rolle, auf der das Seil lief, womit die Gefolterten in die Höhe gezogen wurden. Wie viele mögen, die vorschriftsmäßigen weißen Socken an den Füßen, durch diese niedrige Thür getreten und zitternd, den Angstschweiß auf der Stirn, die steinernen Stufen herab gekommen sein, den trostlosen Blick auf die furchtbare Vorrichtung und die finstern Gestalten ge¬ heftet, die, von Fackellicht unheimlich beleuchtet, aus dem dunkeln Raum hervor¬ traten! Jetzt ist der schauerliche Ort wieder in Finsternis versunken, und tiefe Stille herrscht auch hier, wo die nackten Mauern so oft wiederhallten von dem markerschütternden Schrei des peinlich Befragten, wenn der „Löw," der erste Gehilfe des Nachrichters, die mächtige Welle drehte, die schweren Gewichte an den Füßen dem langsam in die Höhe Gewundenen die Glieder dehnten, Bänder und Sehnen zerrissen, bis die stärksten Nerven und eiserner Wille zuletzt der sinnreichen Grausamkeit erlagen, womit man die peinliche Frage zu verlängern und die furchtbarsten Schmerzen zu steigern wußte. Unlösbares Rätsel: Oben der herrliche Saal, geschmückt mit den unerreichten Werken einer zur vollen Blüte entfalteten, edeln, freien, zartfühlenden Kunst, ein glänzender Rahmen zu dem furchtbaren Bilde der unter der Erde arbeitenden Justiz, die den Scharf¬ sinn und die Kombinationsgabe des Untersuchungsrichters durch die Faust des Henkers und die Folter ersetzte, ohne daß eine harte, unbarmherige Zeit, sei es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/180>, abgerufen am 01.10.2024.