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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Beleuchtung der Gefängnisfrage.

vierzehnten Jahrhundert mit dem Blutbann belehnten Stadt, das Stadtgericht,
welches unter dem Vorsitz des Stadt- und Bannrichters aus vier rechtskundigen
Kvnsulcnten und dreizehn Schöffen, der sogenannten schweigenden Bank, bestand
und Jahrhunderte hindurch der oberste Gerichtshof für peinliche Rechtsfälle war.

Die steinerne Treppe, welche an der mittelsten Thür des großen Saales
abwärts führt, spaltet sich nach sechs Stufen in zwei Teile, von denen der eine
ostwärts in einen kleinen gepflasterten Hof und direkt an eine von der Zeit
geschwärzte schmale, aber hohe und schwere, mit mächtigem Schloß und Riegel
versehene Thür führt. Hier ist der Eingang zum alten Kriminalgefängnis der
Stadt Nürnberg, dem sogenannten Lochgefängnis,*) dessen Geschichte den ge¬
waltigen Zeitraum von ungefähr fünf Jahrhunderten umfaßt und den düstern
Annalen der berüchtigsten Gefängnisse in vergangner Zeit nicht nachsteht. Eine
schmale, im Winkel gebrochene steinerne Treppe führt hinab in jene Räume, durch
welche sich in lange und längst vergangnen Zeiten unablässig der dichte Zug
Verlorner und unbekannter Menschenkinder drängte, die dem Spruche der Justiz
verfielen: Bettler, Vaganten, lüderliche Dirnen, Diebe, Räuber und Mörder,
auch die beklagenswerten Opfer menschlicher Verblendung und religiösen Wahns:
Ketzer und Hexen.

In diesen jetzt verödeten, früher oft überfüllten Räumen harrten im Laufe
der Jahrhunderte tausende ans das Urteil einer Justiz, die, je weiter wir in
vergangne Zeiten zurückblicken, desto unheimlicher und blutiger uns entgegen-
schaut. Schuldige wie Unschuldige haben hier den Jammer und das Elend des
Gefängnisses empfunden, das auch in unsern Tagen noch genug des Unglücks
in sich verschließt, aber keinen Vergleich aushült mit den Schrecken des mittel¬
alterlichen Kerkers.

Das Lochgefängnis bildete einen Teil des Kellerraumes des alten, in den
Jahren 1332--1340 gebauten Rathauses. In den Winkeln und dem modrigen
Lufträume des gewaltigen Grundmauerwerks befinden sich zwölf mit teilweise
noch erhaltenen Nummern und kleinen Figuren (schwarze Katze, roter Hahn)
gezeichnete Kerker, jeder zwei Meter im Quadrat und zwei Meter hoch, in die
kein weiteres Licht dringt als der Schein der Laterne des Schließers. Jeder
dieser Kerker hat eine schwere, festgemachte hölzerne Pritsche mit niedrigen Seiten¬
wänden und Kopfbrett, Wandverkleidung aus Holzbohlen, giebelförmiger Be¬
deckung und vierfachem Verschluß durch doppelte Thüren, die den schmalen Kor¬
ridor von den Kerkern trennen und diese selbst versperren. In einzelnen Kerkern
ist die hölzerne Pritsche mit der bekannten Vorrichtung versehen, Hände und
Füße in den Bock zu spannen. Jede Pritsche war für drei Personen bestimmt,
die hart neben einander saßen, während Füße und Hände durch eine schwere,



*) Streng, Das Zellengesängnis Nürnbergs. Stuttgart, Ente, 1879.
Zur Beleuchtung der Gefängnisfrage.

vierzehnten Jahrhundert mit dem Blutbann belehnten Stadt, das Stadtgericht,
welches unter dem Vorsitz des Stadt- und Bannrichters aus vier rechtskundigen
Kvnsulcnten und dreizehn Schöffen, der sogenannten schweigenden Bank, bestand
und Jahrhunderte hindurch der oberste Gerichtshof für peinliche Rechtsfälle war.

Die steinerne Treppe, welche an der mittelsten Thür des großen Saales
abwärts führt, spaltet sich nach sechs Stufen in zwei Teile, von denen der eine
ostwärts in einen kleinen gepflasterten Hof und direkt an eine von der Zeit
geschwärzte schmale, aber hohe und schwere, mit mächtigem Schloß und Riegel
versehene Thür führt. Hier ist der Eingang zum alten Kriminalgefängnis der
Stadt Nürnberg, dem sogenannten Lochgefängnis,*) dessen Geschichte den ge¬
waltigen Zeitraum von ungefähr fünf Jahrhunderten umfaßt und den düstern
Annalen der berüchtigsten Gefängnisse in vergangner Zeit nicht nachsteht. Eine
schmale, im Winkel gebrochene steinerne Treppe führt hinab in jene Räume, durch
welche sich in lange und längst vergangnen Zeiten unablässig der dichte Zug
Verlorner und unbekannter Menschenkinder drängte, die dem Spruche der Justiz
verfielen: Bettler, Vaganten, lüderliche Dirnen, Diebe, Räuber und Mörder,
auch die beklagenswerten Opfer menschlicher Verblendung und religiösen Wahns:
Ketzer und Hexen.

In diesen jetzt verödeten, früher oft überfüllten Räumen harrten im Laufe
der Jahrhunderte tausende ans das Urteil einer Justiz, die, je weiter wir in
vergangne Zeiten zurückblicken, desto unheimlicher und blutiger uns entgegen-
schaut. Schuldige wie Unschuldige haben hier den Jammer und das Elend des
Gefängnisses empfunden, das auch in unsern Tagen noch genug des Unglücks
in sich verschließt, aber keinen Vergleich aushült mit den Schrecken des mittel¬
alterlichen Kerkers.

Das Lochgefängnis bildete einen Teil des Kellerraumes des alten, in den
Jahren 1332—1340 gebauten Rathauses. In den Winkeln und dem modrigen
Lufträume des gewaltigen Grundmauerwerks befinden sich zwölf mit teilweise
noch erhaltenen Nummern und kleinen Figuren (schwarze Katze, roter Hahn)
gezeichnete Kerker, jeder zwei Meter im Quadrat und zwei Meter hoch, in die
kein weiteres Licht dringt als der Schein der Laterne des Schließers. Jeder
dieser Kerker hat eine schwere, festgemachte hölzerne Pritsche mit niedrigen Seiten¬
wänden und Kopfbrett, Wandverkleidung aus Holzbohlen, giebelförmiger Be¬
deckung und vierfachem Verschluß durch doppelte Thüren, die den schmalen Kor¬
ridor von den Kerkern trennen und diese selbst versperren. In einzelnen Kerkern
ist die hölzerne Pritsche mit der bekannten Vorrichtung versehen, Hände und
Füße in den Bock zu spannen. Jede Pritsche war für drei Personen bestimmt,
die hart neben einander saßen, während Füße und Hände durch eine schwere,



*) Streng, Das Zellengesängnis Nürnbergs. Stuttgart, Ente, 1879.
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[0179] Zur Beleuchtung der Gefängnisfrage. vierzehnten Jahrhundert mit dem Blutbann belehnten Stadt, das Stadtgericht, welches unter dem Vorsitz des Stadt- und Bannrichters aus vier rechtskundigen Kvnsulcnten und dreizehn Schöffen, der sogenannten schweigenden Bank, bestand und Jahrhunderte hindurch der oberste Gerichtshof für peinliche Rechtsfälle war. Die steinerne Treppe, welche an der mittelsten Thür des großen Saales abwärts führt, spaltet sich nach sechs Stufen in zwei Teile, von denen der eine ostwärts in einen kleinen gepflasterten Hof und direkt an eine von der Zeit geschwärzte schmale, aber hohe und schwere, mit mächtigem Schloß und Riegel versehene Thür führt. Hier ist der Eingang zum alten Kriminalgefängnis der Stadt Nürnberg, dem sogenannten Lochgefängnis,*) dessen Geschichte den ge¬ waltigen Zeitraum von ungefähr fünf Jahrhunderten umfaßt und den düstern Annalen der berüchtigsten Gefängnisse in vergangner Zeit nicht nachsteht. Eine schmale, im Winkel gebrochene steinerne Treppe führt hinab in jene Räume, durch welche sich in lange und längst vergangnen Zeiten unablässig der dichte Zug Verlorner und unbekannter Menschenkinder drängte, die dem Spruche der Justiz verfielen: Bettler, Vaganten, lüderliche Dirnen, Diebe, Räuber und Mörder, auch die beklagenswerten Opfer menschlicher Verblendung und religiösen Wahns: Ketzer und Hexen. In diesen jetzt verödeten, früher oft überfüllten Räumen harrten im Laufe der Jahrhunderte tausende ans das Urteil einer Justiz, die, je weiter wir in vergangne Zeiten zurückblicken, desto unheimlicher und blutiger uns entgegen- schaut. Schuldige wie Unschuldige haben hier den Jammer und das Elend des Gefängnisses empfunden, das auch in unsern Tagen noch genug des Unglücks in sich verschließt, aber keinen Vergleich aushült mit den Schrecken des mittel¬ alterlichen Kerkers. Das Lochgefängnis bildete einen Teil des Kellerraumes des alten, in den Jahren 1332—1340 gebauten Rathauses. In den Winkeln und dem modrigen Lufträume des gewaltigen Grundmauerwerks befinden sich zwölf mit teilweise noch erhaltenen Nummern und kleinen Figuren (schwarze Katze, roter Hahn) gezeichnete Kerker, jeder zwei Meter im Quadrat und zwei Meter hoch, in die kein weiteres Licht dringt als der Schein der Laterne des Schließers. Jeder dieser Kerker hat eine schwere, festgemachte hölzerne Pritsche mit niedrigen Seiten¬ wänden und Kopfbrett, Wandverkleidung aus Holzbohlen, giebelförmiger Be¬ deckung und vierfachem Verschluß durch doppelte Thüren, die den schmalen Kor¬ ridor von den Kerkern trennen und diese selbst versperren. In einzelnen Kerkern ist die hölzerne Pritsche mit der bekannten Vorrichtung versehen, Hände und Füße in den Bock zu spannen. Jede Pritsche war für drei Personen bestimmt, die hart neben einander saßen, während Füße und Hände durch eine schwere, *) Streng, Das Zellengesängnis Nürnbergs. Stuttgart, Ente, 1879.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/179>, abgerufen am 01.10.2024.