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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Als diese beiden Leute nun, die sich durch Familienbande so nahe standen
und durch das eigentümliche Spiel des Schicksals in widerstreitenden Interessen
mit einander verknüpft waren, sich einander allein gegenüber befanden und sich gegen¬
seitig prüfend betrachteten, da entstand nach den ersten Worten der Höflichkeit
ein erwartungsvolles Schweigen, Die Gräfin, welche am vergangne" Abend
in ihrer Aufregung über die unerwartete Erscheinung Eberhardts und in ihrer
Bemühung, diese Aufregung zu verbergen, nicht zu einer genauen Betrachtung
des jungen Mannes gekommen war, studirte jetzt in seinen Zügen die Ähnlich¬
keit mit ihrem verstorbenen Gemahl und forschte zugleich in ihnen nach dem
Abbild jeues andern Gesichts, das so oft in frühern Zeiten den Gegenstand
ihrer Eifersucht gebildet hatte. Denn obwohl es nicht Liebe gewesen war, was
sie zu der Verbindung mit dem Grafen von Altenschwerdt getrieben hatte, war
sie oft in dem Zwiespalt der Gefühle, den sie in ihrer Ehe empfinden mußte,
voll Groll gegen jene andre gewesen, die wohl von dem wankelmütigen Manne
verlassen worden war, aber doch sein Herz mit den unzerreißbaren Banden einer ersten
Liebe gefesselt hielt. Jenes Weib, das aus weiter Entfernung und über das
Gelübde eines neuen Bundes hinweg den Einfluß einer edeln Persönlichkeit
geltend zu machen wußte, war ein stiller, gefährlicher Feind geblieben, der, wie
sie meinte, ihrer Herrschaft über das Gemüt des Grafen den zühesten Wider¬
stand entgegensetzte und mit ihrem Schatten allein den Glanz ihrer Person zu
verdunkeln imstande war. Mehr aber noch als solche Gedanken bewegte ihr
Gemüt die gespannte Erwartung, welche Absichten dieser Sohn jener Frau bei
seinem Besuche verfolge. Mit einem Blick, der glühend und zaghaft zugleich
war, durchforschte sie das edel geschnittene Gesicht mit den tiefen, blauen Augen,
diese von blondem Haar und Bart umrahmten Züge voll Kraft und Sanftmut,
und sie verweilte mit einem Gefühl des Neides bei Betrachtung dieser eben¬
mäßig gebauten und hohen Gestalt, die an Männlichkeit der Bildung die Figur
ihres Sohnes ebenso sehr übertraf wie an Energie im Ausdruck des Antlitzes.
Mit bitterer Empfindung glaubte sie die idealisirte Erscheinung ihres Gatten
und zugleich jene andre Erscheinung vor sich auftauchen zu sehen.

Und auf der andern Seite ward Eberhardt, indem er die Fran vor sich
sah, welche seiner Mutter den Todesstoß versetzt hatte, von einem Tumult von
Gefühlen erfaßt, der es ihm schwierig machte, Worte zu finde". Seitdem er er¬
wachse" war und um das Verhältnis wußte, welches seinem Schicksal wie dem
seiner Mutter eine verhängnisvolle Wendung gegeben, hatte diese Frau seine
Phantasie beschäftigt, und nun er sie persönlich kannte, fühlte er jene Ahnung
in sich bestätigt, welche ihm eine Dame vorgestellt hatte, wie diese da, voll Reiz
der äußern Erscheinung und voller Weltlust, glänzend, formgewandt, leidenschaft¬
lich, mit dämonischen Blick.

Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches, Herr Eschenburg?
fragte die Gräfin.


Grenzboten II. 18L3. 2V
Die Grafen von Altenschwerdt.

Als diese beiden Leute nun, die sich durch Familienbande so nahe standen
und durch das eigentümliche Spiel des Schicksals in widerstreitenden Interessen
mit einander verknüpft waren, sich einander allein gegenüber befanden und sich gegen¬
seitig prüfend betrachteten, da entstand nach den ersten Worten der Höflichkeit
ein erwartungsvolles Schweigen, Die Gräfin, welche am vergangne» Abend
in ihrer Aufregung über die unerwartete Erscheinung Eberhardts und in ihrer
Bemühung, diese Aufregung zu verbergen, nicht zu einer genauen Betrachtung
des jungen Mannes gekommen war, studirte jetzt in seinen Zügen die Ähnlich¬
keit mit ihrem verstorbenen Gemahl und forschte zugleich in ihnen nach dem
Abbild jeues andern Gesichts, das so oft in frühern Zeiten den Gegenstand
ihrer Eifersucht gebildet hatte. Denn obwohl es nicht Liebe gewesen war, was
sie zu der Verbindung mit dem Grafen von Altenschwerdt getrieben hatte, war
sie oft in dem Zwiespalt der Gefühle, den sie in ihrer Ehe empfinden mußte,
voll Groll gegen jene andre gewesen, die wohl von dem wankelmütigen Manne
verlassen worden war, aber doch sein Herz mit den unzerreißbaren Banden einer ersten
Liebe gefesselt hielt. Jenes Weib, das aus weiter Entfernung und über das
Gelübde eines neuen Bundes hinweg den Einfluß einer edeln Persönlichkeit
geltend zu machen wußte, war ein stiller, gefährlicher Feind geblieben, der, wie
sie meinte, ihrer Herrschaft über das Gemüt des Grafen den zühesten Wider¬
stand entgegensetzte und mit ihrem Schatten allein den Glanz ihrer Person zu
verdunkeln imstande war. Mehr aber noch als solche Gedanken bewegte ihr
Gemüt die gespannte Erwartung, welche Absichten dieser Sohn jener Frau bei
seinem Besuche verfolge. Mit einem Blick, der glühend und zaghaft zugleich
war, durchforschte sie das edel geschnittene Gesicht mit den tiefen, blauen Augen,
diese von blondem Haar und Bart umrahmten Züge voll Kraft und Sanftmut,
und sie verweilte mit einem Gefühl des Neides bei Betrachtung dieser eben¬
mäßig gebauten und hohen Gestalt, die an Männlichkeit der Bildung die Figur
ihres Sohnes ebenso sehr übertraf wie an Energie im Ausdruck des Antlitzes.
Mit bitterer Empfindung glaubte sie die idealisirte Erscheinung ihres Gatten
und zugleich jene andre Erscheinung vor sich auftauchen zu sehen.

Und auf der andern Seite ward Eberhardt, indem er die Fran vor sich
sah, welche seiner Mutter den Todesstoß versetzt hatte, von einem Tumult von
Gefühlen erfaßt, der es ihm schwierig machte, Worte zu finde». Seitdem er er¬
wachse» war und um das Verhältnis wußte, welches seinem Schicksal wie dem
seiner Mutter eine verhängnisvolle Wendung gegeben, hatte diese Frau seine
Phantasie beschäftigt, und nun er sie persönlich kannte, fühlte er jene Ahnung
in sich bestätigt, welche ihm eine Dame vorgestellt hatte, wie diese da, voll Reiz
der äußern Erscheinung und voller Weltlust, glänzend, formgewandt, leidenschaft¬
lich, mit dämonischen Blick.

Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches, Herr Eschenburg?
fragte die Gräfin.


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[0161] Die Grafen von Altenschwerdt. Als diese beiden Leute nun, die sich durch Familienbande so nahe standen und durch das eigentümliche Spiel des Schicksals in widerstreitenden Interessen mit einander verknüpft waren, sich einander allein gegenüber befanden und sich gegen¬ seitig prüfend betrachteten, da entstand nach den ersten Worten der Höflichkeit ein erwartungsvolles Schweigen, Die Gräfin, welche am vergangne» Abend in ihrer Aufregung über die unerwartete Erscheinung Eberhardts und in ihrer Bemühung, diese Aufregung zu verbergen, nicht zu einer genauen Betrachtung des jungen Mannes gekommen war, studirte jetzt in seinen Zügen die Ähnlich¬ keit mit ihrem verstorbenen Gemahl und forschte zugleich in ihnen nach dem Abbild jeues andern Gesichts, das so oft in frühern Zeiten den Gegenstand ihrer Eifersucht gebildet hatte. Denn obwohl es nicht Liebe gewesen war, was sie zu der Verbindung mit dem Grafen von Altenschwerdt getrieben hatte, war sie oft in dem Zwiespalt der Gefühle, den sie in ihrer Ehe empfinden mußte, voll Groll gegen jene andre gewesen, die wohl von dem wankelmütigen Manne verlassen worden war, aber doch sein Herz mit den unzerreißbaren Banden einer ersten Liebe gefesselt hielt. Jenes Weib, das aus weiter Entfernung und über das Gelübde eines neuen Bundes hinweg den Einfluß einer edeln Persönlichkeit geltend zu machen wußte, war ein stiller, gefährlicher Feind geblieben, der, wie sie meinte, ihrer Herrschaft über das Gemüt des Grafen den zühesten Wider¬ stand entgegensetzte und mit ihrem Schatten allein den Glanz ihrer Person zu verdunkeln imstande war. Mehr aber noch als solche Gedanken bewegte ihr Gemüt die gespannte Erwartung, welche Absichten dieser Sohn jener Frau bei seinem Besuche verfolge. Mit einem Blick, der glühend und zaghaft zugleich war, durchforschte sie das edel geschnittene Gesicht mit den tiefen, blauen Augen, diese von blondem Haar und Bart umrahmten Züge voll Kraft und Sanftmut, und sie verweilte mit einem Gefühl des Neides bei Betrachtung dieser eben¬ mäßig gebauten und hohen Gestalt, die an Männlichkeit der Bildung die Figur ihres Sohnes ebenso sehr übertraf wie an Energie im Ausdruck des Antlitzes. Mit bitterer Empfindung glaubte sie die idealisirte Erscheinung ihres Gatten und zugleich jene andre Erscheinung vor sich auftauchen zu sehen. Und auf der andern Seite ward Eberhardt, indem er die Fran vor sich sah, welche seiner Mutter den Todesstoß versetzt hatte, von einem Tumult von Gefühlen erfaßt, der es ihm schwierig machte, Worte zu finde». Seitdem er er¬ wachse» war und um das Verhältnis wußte, welches seinem Schicksal wie dem seiner Mutter eine verhängnisvolle Wendung gegeben, hatte diese Frau seine Phantasie beschäftigt, und nun er sie persönlich kannte, fühlte er jene Ahnung in sich bestätigt, welche ihm eine Dame vorgestellt hatte, wie diese da, voll Reiz der äußern Erscheinung und voller Weltlust, glänzend, formgewandt, leidenschaft¬ lich, mit dämonischen Blick. Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches, Herr Eschenburg? fragte die Gräfin. Grenzboten II. 18L3. 2V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/161>, abgerufen am 01.10.2024.