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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

nicht die anständigsten sind. Ein wahrhaft rechtlicher Mann wird selten reich.
Deshalb vermute ich, daß die Ahnherren der meisten adlichen Geschlechter ehr¬
geizige und gewissenlose Streber waren, lind ich glaube, daß all dieser schöne
Stolz auf alte Abstammung eine hohle Einbildung ist. Und du willst auf einen
bloßen alten Namen hin einen Mann beleidigen, der alle jene Gaben, welche
Menschen nicht verleihen können, von der Natur empfing, und der ihnen alle
Talente hinzugefügt hat, welche zu erwerben ein Verdienst ist!

Dorothea hatte sich in ihrem Eifer für die Verteidigung des guten Na¬
mens des geliebten Mannes über die Schranken der Klugheit hinaus fortreißen
lassen, welche sie doch zu Anfang des Gesprächs sich vorgenommen hatte inne¬
zuhalten. Sie hatte ihren Vater durch ihre beißenden Bemerkungen in seinem
verwundbarsten Punkte getroffen. Er war so entsetzt und so beleidigt dadurch,
daß er solche Ansichten in seinem eignen Schlosse und von seiner eignen Tochter
hören mußte, daß er darüber ganz zu bemerken vergaß, was ein andrer Vater
jetzt sicher bemerkt hätte: daß nämlich ein tiefes, aus dem Herzen kommendes
Interesse Dorothea aufgeregt hatte.

Baron Sextus erhob sich zitternd vor Zorn, und ehe Dorothea wußte,
wie ihr geschah, brannte eine Ohrfeige auf ihrer Wange.

Es war der erste Schlag, den sie von ihrem Vater empfangen hatte, und
sie war für eine Sekunde ganz betäubt, mehr vom Schreck als vom Schmerz.
Sie erhob sich unwillkürlich, um das Zimmer zu verlasse", aber sie war so be¬
stürzt und verwirrt, daß sie einen Fehltritt that, ausglitt und, indem sie sich
an der Stuhllehne halten wollte, den Stuhl mit zu Boden riß und mit der
Stirne auf dessen harte, eichene Rücklehne schlug, sodaß sie fast ganz die Be¬
sinnung verlor.

Baron Sextus, welcher mit zornfunkelndem Augen vor ihr gestanden hatte
und keine Worte finden konnte, die scharf genug waren, um seinem Grimm ge¬
eigneten Ausdruck zu geben, sah nicht sobald seine Tochter am Boden liegen
und Blut in ihrem Gesicht, als er herzustürzte und sie bei ihrem Bemühen,
sich zu erheben, unterstützte. Er faßte sie unter die Arme, zog sie in die Höhe
und führte sie nach dem Sopha. Dann eilte er an den Tisch, füllte ein Glas
mit Wasser und kehrte mit diesem und mit einer benetzten Serviette zum Sopha
zurück, um das Blut zu stillen. Das erfrischende Gefühl des kalten Wassers
in ihrem Gesicht brachte Dorothea bald wieder zu sich selbst, sie trank einen
Schluck und sah ihrem Vater ins Auge. Sie konnte leicht bemerken, daß die
tiefste Beschämung seinen Zorn vertrieben hatte, und daß er voll Reue über
seine brutale Handlungsweise war. Mit eifriger Geschäftigkeit war er um das
junge Mädchen bemüht und suchte offenbar seine Verlegenheit zu verstecken,
indem er ihr ein Kissen unter den Kopf schob, ihre Füße auf den Sitz legte
und die Serviette häufig frisch anfeuchtete. Es stellte sich heraus, daß das
Blut, welches auf das Fichu herabgetröpfelt war, nicht aus einer Wunde quoll,


Die Grafen von Altenschwerdt.

nicht die anständigsten sind. Ein wahrhaft rechtlicher Mann wird selten reich.
Deshalb vermute ich, daß die Ahnherren der meisten adlichen Geschlechter ehr¬
geizige und gewissenlose Streber waren, lind ich glaube, daß all dieser schöne
Stolz auf alte Abstammung eine hohle Einbildung ist. Und du willst auf einen
bloßen alten Namen hin einen Mann beleidigen, der alle jene Gaben, welche
Menschen nicht verleihen können, von der Natur empfing, und der ihnen alle
Talente hinzugefügt hat, welche zu erwerben ein Verdienst ist!

Dorothea hatte sich in ihrem Eifer für die Verteidigung des guten Na¬
mens des geliebten Mannes über die Schranken der Klugheit hinaus fortreißen
lassen, welche sie doch zu Anfang des Gesprächs sich vorgenommen hatte inne¬
zuhalten. Sie hatte ihren Vater durch ihre beißenden Bemerkungen in seinem
verwundbarsten Punkte getroffen. Er war so entsetzt und so beleidigt dadurch,
daß er solche Ansichten in seinem eignen Schlosse und von seiner eignen Tochter
hören mußte, daß er darüber ganz zu bemerken vergaß, was ein andrer Vater
jetzt sicher bemerkt hätte: daß nämlich ein tiefes, aus dem Herzen kommendes
Interesse Dorothea aufgeregt hatte.

Baron Sextus erhob sich zitternd vor Zorn, und ehe Dorothea wußte,
wie ihr geschah, brannte eine Ohrfeige auf ihrer Wange.

Es war der erste Schlag, den sie von ihrem Vater empfangen hatte, und
sie war für eine Sekunde ganz betäubt, mehr vom Schreck als vom Schmerz.
Sie erhob sich unwillkürlich, um das Zimmer zu verlasse», aber sie war so be¬
stürzt und verwirrt, daß sie einen Fehltritt that, ausglitt und, indem sie sich
an der Stuhllehne halten wollte, den Stuhl mit zu Boden riß und mit der
Stirne auf dessen harte, eichene Rücklehne schlug, sodaß sie fast ganz die Be¬
sinnung verlor.

Baron Sextus, welcher mit zornfunkelndem Augen vor ihr gestanden hatte
und keine Worte finden konnte, die scharf genug waren, um seinem Grimm ge¬
eigneten Ausdruck zu geben, sah nicht sobald seine Tochter am Boden liegen
und Blut in ihrem Gesicht, als er herzustürzte und sie bei ihrem Bemühen,
sich zu erheben, unterstützte. Er faßte sie unter die Arme, zog sie in die Höhe
und führte sie nach dem Sopha. Dann eilte er an den Tisch, füllte ein Glas
mit Wasser und kehrte mit diesem und mit einer benetzten Serviette zum Sopha
zurück, um das Blut zu stillen. Das erfrischende Gefühl des kalten Wassers
in ihrem Gesicht brachte Dorothea bald wieder zu sich selbst, sie trank einen
Schluck und sah ihrem Vater ins Auge. Sie konnte leicht bemerken, daß die
tiefste Beschämung seinen Zorn vertrieben hatte, und daß er voll Reue über
seine brutale Handlungsweise war. Mit eifriger Geschäftigkeit war er um das
junge Mädchen bemüht und suchte offenbar seine Verlegenheit zu verstecken,
indem er ihr ein Kissen unter den Kopf schob, ihre Füße auf den Sitz legte
und die Serviette häufig frisch anfeuchtete. Es stellte sich heraus, daß das
Blut, welches auf das Fichu herabgetröpfelt war, nicht aus einer Wunde quoll,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/156>, abgerufen am 01.10.2024.